© Nadja Schwarzwäller i.A.d. Stadt Marburg
Armut bedeutet nicht nur, wenig Geld zu haben. Armut betrifft auch andere Ebenen. „Armut ist Einsamkeit.“ „Armut ist keine Teilhabe an der Gesellschaft.“ Sätze wie diese waren in der vergangenen Woche in Bilderrahmen auf einem „gedeckten Tisch“ vor dem Erwin-Piscator-Haus zu lesen, zwischen schönem Geschirr, Blumen und Sektflaschen – Dingen, die sich viele Menschen auch in Marburg nicht so einfach leisten können.
Egal, ob direkt vor Ort, in Deutschland oder anderswo auf der Welt – „wir werden in absehbarer Zeit nicht in einen Zustand kommen, in dem keine Armut mehr herrscht“, stellte Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies bei der Veranstaltung des Marburger Bündnisses für Familie fest. Umso wichtiger aber sei es, Prävention zu betreiben, um weitere Armut zu verhindern und denen, die aktuell davon betroffen sind, zu helfen. Darin sieht das Stadtoberhaupt eine große Herausforderung für die Gesellschaft.
Eigentlich war für den 22. Oktober die „Erste Marburger Armutskonferenz“ geplant, um sich mit dem Thema zu beschäftigen. Wegen der Corona-Pandemie wurde daraus nun ein dezentraler Aktionstag unter dem Motto „Gemeinsam handeln gegen Armut“. Das Ergebnis zeuge von „eindrucksvoller Kreativität“, lobte Dr. Thomas Spies die Organisator*innen der Projektgruppe „Familie und Armut“. Deren Leiterin Monique Meier von der Sozialplanung der Universitätsstadt bekräftigte, dass das Bündnis ein sehr aktives sei und der Aktionstag mehr als nur ein Ersatz für die ausgefallene Konferenz.
© Nadja Schwarzwäller i.A.d. Stadt Marburg
Mit dem „gedeckten Tisch“ präsentierten sich alle Beteiligten des Netzwerks zur Bekämpfung von Armut symbolisch. Zudem hatte die Kulturloge eine „Armutspyramide“ errichtet, die die Auswirkungen des Themas veranschaulichte. Die Familienkasse Hessen bot an einem Stand persönliche Beratungen an. Und Referentinnen des Citypastoral Marburg informierten über die Solidaritätsaktion „Elisabethtaler“ – ein Gutschein für Bedürftige, der bis Ende des Jahres in 26 Cafés und Bäckereien in der Stadt als Zahlungsmittel gilt.
Bürger*innen hatten die Möglichkeit, auf Plakatwänden des städtischen Fachbereichs Arbeit, Soziales und Wohnen festzuhalten, in welchen Bereichen im Alltag ihnen Armut begegnet und was für sie selbst Armut bedeutet. Die Antworten sollen bei der Armutskonferenz, die nach aktuellem Stand für November 2021 geplant ist, verwendet werden. Das Kreisjobcenter Marburg-Biedenkopf war ebenfalls vor dem EPH vertreten und machte auf das „Bildungs- und Teilhabepaket“ aufmerksam.
An verschiedenen innerstädtischen Orten war der Verein Arbeit und Bildung mit Statements zum Thema Altersarmut präsent, vor dem Oberstadtaufzug hatte der Kinderschutzbund eine Bilder-Ausstellung zum Thema Kinder-Armut vorbereitet. Im Waldtal bot der Arbeitskreis Soziale Brennpunkte (AKSB) Bewohner*innen des Stadtteils die Möglichkeit, Sprechblasen mit Aussagen zu ihrer Lebensrealität in Bezug auf Armut zu gestalten. Und am Richtsberg suchten Vertreter*innen des Bewohnernetzwerks für soziale Fragen (BSF) ebenfalls das Gespräch darüber, was Armut für die Betroffenen eigentlich bedeutet.
Karin Ackermann-Feulner vom BSF erklärte, dass vor allem Menschen, die noch nicht lange in Deutschland leben, andere Kriterien in Bezug auf den Begriff haben. „Da geht es um Dinge wie den Zugang zu sauberem Wasser oder nichts zu essen zu haben“, so Ackermann-Feulner. Viele Menschen verbinden auch das Thema Einsamkeit mit Armut, gerade im Alter. „Altersarmut ist ganz schwer zu erkennen, sie versteckt sich“, bestätigte OB Spies. Und weil das, was ein Mensch im Alter hat – oder eben auch nicht – meist als Konsequenz der persönlichen Lebensleistung gesehen werde, sei Armut im Alter noch beschämender für die Betroffenen.
Scham stellt grundsätzlich eines der großen Probleme dar. Aktuell macht aber auch die Corona-bedingte Situation den von Armut betroffenen Menschen ebenso wie den Helfer*innen in Ämtern oder Beratungsstellen zu schaffen. Hilde Rektorschek von der Kulturloge berichtete, wie groß die Angst ist, dass die Menschen, denen es nicht gut geht, vergessen werden. Dr. Corinna Zander vom Sozialdienst Katholischer Frauen bestätigte, dass einige der Betroffenen, die sonst zur persönlichen Beratung kommen, in den vergangenen Monaten ausgeschlossen waren – zum Beispiel aufgrund von Sprachbarrieren oder fehlenden Zugängen zu digitalen Medien. „Wir haben Menschen aus dem Blick verloren“, so Zander. Um genau dieser Entwicklung etwas entgegenzusetzen, war der Aktionstag in Marburg gedacht.
Zur Projektgruppe „Familie und Armut“ des Bündnisses für Familie, die den Aktionstag gestaltet hat, gehören:
- Agentur für Arbeit
- AKSB e.V. – Arbeitskreis Soziale Brennpunkte e.V.
- Arbeit und Bildung, „In Würde teilhaben“
- BSF e.V. – Bewohnernetzwerk für Soziale Fragen e.V.
- Caritasverband Marburg e.V.
- Citypastoral Marburg
- Der Paritätische Mittelhessen
- Dt. Kinderschutzbund Marburg-Biedenkopf e.V.
- Diakonisches Werk Marburg-Biedenkopf
- Evangelische Familien-Bildungsstätte
- Familienkasse Hessen, Netzwerk für Familienleistungen
- IKJG e.V. – Initiative für Kinder-, Jugend- und Gemeinwesenarbeit e.V.
- Initiative Afghanisches Hilfswerk e.V.
- Kreisjobcenter Marburg-Biedenkopf, Fachbereich „Integration und Arbeit“
- Kulturloge Marburg e.V.
- Praxis GmbH
- Privatpersonen
- Sozialdienst katholischer Frauen Marburg e.V.
- Stadt Marburg
Fachbereiche „Kinder, Jugend, Familie“ und „Arbeit, Soziales, Wohnen“
Fachdienst Altenplanung, Seniorenbeirat, Fachdienst Soziale Leistungen
Sozialplanung (Geschäftsstelle der Projektgruppe)