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Ratsinformation
Fraktionsantrag - VO/0762/2005
Grunddaten
- Betreff:
-
Dringlicher Antrag aller Fraktionen betr. EU-Dienstleistungsrichtlinie
- Status:
- öffentlich (Vorlage abgeschlossen)
- Vorlageart:
- Fraktionsantrag
- Federführend:
- 09 - Unterstützung kommunaler Gremien
- Bearbeiter*in:
- Norbert Wagner
Beratungsfolge
Status | Datum | Gremium | Beschluss | NA |
---|---|---|---|---|
●
Erledigt
|
|
Stadtverordnetenversammlung
|
Entscheidung
|
|
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16.12.2005
|
Beschlussvorschlag
EU
Dienstleistungsrichtlinie
Die
Stadtverordnetenversammlung möge beschließen:
Die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Marburg fordert
die Europäische Kommission auf, die EU-Dienstleistungsrichtlinie in folgenden
Punkten abzuändern oder sie in der vorliegenden Form vollständig zurück zu
ziehen.
Zu überarbeiten ist vor allem das Herkunftslandprinzip, das
zu rechtlicher Unsicherheit, zu arbeits- und sozialrechtlicher
Ungleichbehandlung von Beschäftigten, zum Abbau nationaler Souveränitäten und
demokratischer Rechte von Beschäftigten und Verbrauchern und zu Verstößen gegen
bzw. zum Abbau von Sicherheitsstandards, Gesundheits-, und
Umweltschutzbestimmungen sowie zur Gefährdung der öffentlichen Daseinsvorsorge
führen muss. Die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Marburg befürwortet eine
Europapolitik, die systematisch auf der Harmonisierung der Rahmenbedingungen
und auf transparenten, gemeinsamen Regelungen aufbaut.
Die
Stadtverordnetenversammlung übermittelt ihre Entschließung dem Präsidenten des
Europäischen Parlaments, der Europäischen Kommission sowie den bundesdeutschen
Abgeordneten des Europäischen Parlaments, dem Bundestag, und dem Bundesrat
sowie der Bundesregierung, dem Deutschen Städtetag und der Hessischen
Landesregierung.
Die
Stadtverordnetenversammlung unterstützt die geplanten Protestaktionen gegen die
Dienstleistungsrichtlinie und appelliert an die Bürgerinnen und Bürger der
Stadt Marburg sich an den lokalen Protestaktionen und der großen Demonstration
zu Beginn des Jahres 2006 in Straßburg zu beteiligen.
Sachverhalt
Begründung:
Aufgrund der Abstimmung im Binnenmarktausschuss der Europäischen
Parlaments am 22./23.11.2005 ist zu befürchten, dass eine sozialverträgliche
Gestaltung der EU-Dienstleistungsrichtlinie misslingt, denn:
·
Das
Herkunftslandprinzip in der von der EU-Richtlinie vorgeschlagenen Form ist u.
a. nicht akzeptabel, weil 25 parallel gültige Rechtssysteme in 20 Sprachen in
einem Land zu einer weitgehenden Intransparenz und Rechtsunsicherheit für alle
Beteiligten vor allem für die Schwächeren führt. Hier muss, wie beim
gemeinsamen Binnenmarkt für Güter, das Recht des Marktortes bei systematisch
voranschreitender Harmonisierung gelten. Die Anwendung des Herkunftslandprinzip
darf daher ausschließlich in den Bereichen Anwendung finden, in denen bereits
eine europaweite Harmonisierung der Rahmenbedingungen von Rechtsbereichen und
Standards stattgefunden hat.
·
Die Anwendung des
Herkunftslandprinzips auf den Bereich des Arbeits- und Sozialrechts verletzt
das Gleichbehandlungsgebot des EG-Vertrages und des Grundgesetzes. Kollektive
und individuelle Arbeitnehmerrechte müssen unabhängig vom Unternehmenssitz für
alle Beschäftigte innerhalb eines Landes gleichermaßen gelten. Arbeits- und
sozialrechtliche Fragen müssen daher vollständig aus dem Geltungsbereich der Dienstleistungsrichtlinie
ausgeschlossen werden. Aus dem gleichen Grund muss auch grenzüberschreitende
Leiharbeit vom Anwendungsbereich ausgenommen werden.
·
Die öffentliche
Daseinsvorsorge und soziale Dienstleistungen müssen weiterhin in
nationalstaatlicher und kommunaler Verantwortung geregelt werden sie müssen
vollständig und ausdrücklich vom Anwendungsbereich einer Richtlinie über
Dienstleistungen im Binnenmarkt ausgenommen werden;
·
Die Verlagerung der
öffentlichen Kontrolle von Recht und Gesetz von dem Ort, an dem Dienstleistung
erbracht wird (Marktort, Arbeitsort), an den Firmensitz, ist nicht hinnehmbar.
Zum einen wird so die Durchsetzung von Recht und Ordnung nicht gesichert, zum
anderen stellt dies einen nicht zu rechtfertigenden Eingriff in die nationale
Souveränität und die demokratischen Rechte der Bürger jedes Staates dar. Das
Herkunftsland wird kaum in der Lage sein, aus der Ferne Beschwerden und
Rechtsverstöße aufzuklären und wirksam zu ahnden.
·
Der
Niederlassungsbegriff muss präzisiert werden. Die Bezeichnung einer
Niederlassung in einem Mitgliedstaat muss davon abhängig gemacht werden, dass
dort tatsächlich eine Wirtschaftstätigkeit stattfindet und nicht allein eine
Postadresse mit geringfügiger Verwaltungsarbeit dahinter steht, um so die nationalen
Voraussetzungen für eine Unternehmenstätigkeit zu umgehen. Darüber hinaus muss
sicher gestellt werden, dass bei dauerhafter Dienstleistungserbringung in einem
Empfängerland dort auch eine Niederlassung erfolgen muss.
Mit der Dienstleistungsrichtlinie attackiert die Kommission
offen die soziale Dimension in den europäischen Verträgen. Denn schon dort war
nicht nur der einheitliche Binnenmarkt Ziel, sondern auch ein hohes Niveau an
Beschäftigung, sozialem Schutz, Umweltqualität sowie die Hebung des
Lebensstandards. Der Entwurf der Richtlinie ist hingegen allein auf ökonomische
Ziele deutlicher gesagt: auf einzelunternehmerische Erfolgskriterien wie
Wettbewerb, Kostensenkung und Gewinnmaximierung ausgerichtet. Die
Entsenderichtlinie wird, obwohl dem Wortlaut nach angeblich von der
Dienstleistungsrichtlinie ausgenommen, in Wirklichkeit durch sie ausgehebelt.
Für die europaweite freie Ausübung von
Dienstleistungen müssen zweifellos bestehende Schranken abgebaut werden. Dies
muss jedoch durch eine allmähliche Angleichung und Verbesserung
(Harmonisierung) von Rechtsbereichen und Standards europaweit erfolgen. Solange
dieser Prozess nicht abgeschlossen ist, müssen die nationalen Standards am
Arbeitsort weiter gelten, etwa bei Arbeits-, Qualifikations- und
Sozialvorschriften, Sicherheitsstandards, Gesundheits-, und
Umweltschutzbestimmungen. Die Einhaltung dieser Vorschriften muss durch die
Behörden am Arbeitsort gewährleistet sein. Diese Kontrollmöglichkeiten dürfen
in keiner Weise eingeschränkt oder behindert werden. Ansonsten wird ein
Wettlauf um die laxeste Rechtsordnung und die niedrigsten Standards in Europa
beginnen und nicht mehr zu stoppen sein.
Die
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