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Ratsinformation

ALLRIS - Vorlage

Fraktionsantrag - VO/0182/2002

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Beratungsfolge

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Beschlussvorschlag

Die Stadtverordnetenversammlung möge beschließen:

 

-        Alle noch lebenden Zwangsarbeiter/innen (Zivilpersonen wie Kriegsgefangene) aus Ost-, Süd- und Westeuropa werden im Rahmen individueller Leistungen in Höhe von 2.000 € entschädigt.

         -         Voraussetzung für die Auszahlung einer Entschädigung ist der eindeutige Nachweis des Zwangsarbeitseinsatzes in Marburg beziehungsweise den heute zur Stadt gehörenden Stadtteilen unabhängig von der Dauer des Zwangsarbeitseinsatzes.

         -     Ist der Nachweis aufgrund der vorhandenen Datenbank (1.700 Einträge ehemaliger Zwangsarbeiter/innen) und gegebenenfalls weiterer Recherchen von der Stadt Marburg nicht zu erbringen, werden die Partnerorganisationen, die als Ansprechpartner der Bundesstiftung in den jeweiligen Ländern fungieren, aufgefordert, den Nachweis über den Zwangsarbeitseinsatz in Marburg für die Betroffenen zu belegen.

         -     Im Todesfall der Leistungsberechtigten sind die Erben zu entschädigen, wenn die Leistungsberechtigten nach Beginn der Beschlussfassung der STVV am 26.4.2002 verstorben sind.

 

-        Die Antragsfrist zur Entschädigung von Zwangsarbeit in Marburg wird auf den 31.12.2002 festgelegt. In begründeten Einzelfällen kann von dieser Frist nach Beschluss durch die Stadtverordnetenversammlung abgewichen werden.

 

-        Für die ordnungsgemäße Abwicklung der Entschädigungszahlung sind Verträge zwischen der Stadt Marburg und den jeweiligen Partnerorganisationen auszuarbeiten, die sich an dem bereits bewährten Mustervertrag zwischen der Stadt München und der Ukrainischen Partnerorganisation orientieren.  Für Antragsteller aus Westeuropa sind auch Direktüberweisungen möglich.

 

-        Mit der Auszahlung soll in Anbetracht des hohen Alters der Betroffenen unverzüglich begonnen werden.  Zur Zeit kann für 52 Personen eindeutig der Zwangsarbeitseinsatz in, Marburg nachgewiesen werden.

 

-        Ferner ist ein Besuchsprogramm mit ehemaligen Marburger Zwangsarbeiterlinnen zu planen, auch um gegebenenfalls die Entschädigungszahlungen anlässlich dieser Besuche übergeben zu können.

 

 

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Sachverhalt

 

Begründung:

 

Durch Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 28.09.2001 wurde einstimmig anerkannt, dass die Stadt Marburg und ihre Gremien es als moralische Pflicht betrachten, alle ehemaligen noch lebenden Zwangsarbeiter/innen, die während der NS-Diktatur in Marburg und den heute zur Stadt Marburg gehörenden Stadtteilen eingesetzt wurden, in noch näher zu klärender Form zu entschädigen.  Ferner wurde festgelegt, dass aus Gründen der Gleichbehandlung alle Arten von Zwangsarbeit (ehemalige ausländische Kriegsgefangene, zivile Zwangsarbeiterlinnen, italienische Militärinternierte und Häftlinge) berücksichtigt werden. 

 

Die Entschädigung ehemaliger Kriegsgefangener wurde in den oben genannten Beschluss der Stadtverordnetenversammlung explizit einbezogen. Grundlage dieser Entscheidung waren unter anderem humanitäre Überlegungen, nach denen das besondere Schicksal der am unwürdigsten behandelten Zwangsarbeitergruppen, den sowjetischen Kriegsgefangenen und italienischen Militärinternierten (IMI), von der Stadt Marburg ausdrücklich anerkannt wurde.

 

Darüber hinaus lassen sich weitere Gründe für diese Beschlussfassung aufzeigen:

Für die Stadt Marburg zeigt sich nach heutigem Forschungsstand eine besondere Situation im Umgang mit Kriegsgefangenen. Aufgrund der Vorabuntersuchung durch die Marburger Geschichtswerkstatt ist eindeutig in den Quellen belegbar, dass die Stadt in hohem Maße durch die „Verleihung“ von Kriegsgefangenen an Marburger Unternehmen profitierte. Für die Jahre 1942 und 1943 wird ein Gewinn von umgerechnet insgesamt 905.443,46 DM genannt. Durch den Einsatz von Kriegsgefangenen bei städtischen Einrichtungen als Straßenbahnfahrer oder bei der Müllabfuhr wurden zusätzliche Gewinne erzielt. Ohne diesen Einsatz wäre die öffentliche Versorgung für mehrere Jahre zum Erliegen gekommen.

 

Der Einsatz von Kriegsgefangenen für die Kriegswirtschaft war nach der Genfer Konvention von 1929 (diese regelt die Behandlung von Kriegsgefangenen) ausdrücklich verboten. Der Gefangenenstatus wurde jedoch vom NS-Regime kontinuierlich mißachtet, wie beispielsweise ein Runderlaß des Reichsministeriums des Innern von 1942 bestätigt: „Die Kriegswirtschaft erfordert den Einsatz aller zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte. Deshalb werden die Kriegsgefangenen in vollem Umfange in den Dienst unserer Wirtschaft gestellt.“

Eine eindeutige Grenzziehung zwischen zivilen Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen ist zudem nicht immer möglich, denn auch in für Marburg belegbaren Fällen wurde der jeweilige Status (Kriegsgefangene wurden in einen Zivilarbeitsstatus überführt und teilweise zurücküberführt) durch die Militärbehörde mehrfach gewechselt.

Dieses Problem zeigt sich insbesondere bei den IMI’s, denen nach damaliger Definition kein Kriegsgefangenenstatus zugesprochen wurde. Angesichts der Sonderstellung war diese Gruppe ursprünglich in dem Stiftungsgesetz der Bundesrepublik berücksichtigt. Die unzureichende Höhe der Entschädigungssumme für die westeuropäischen Partnerorganisationen und ein nachträglich erstelltes Gutachten durch das Bundesfinanzministerium führten dazu, die Gruppe der IMI’s aus dem Leistungsbezug wieder herauszunehmen. Klagen von Betroffenen sind aufgrund eines Gegengutachtens bereits anhängig.

 

Um die Gleichbehandlung aller in der Stadt Marburg zur Zwangsarbeit eingesetzten Gruppen zu gewährleisten, sollte keine Ausgrenzung der Kriegsgefangenen von den Entschädigungszahlungen durch die Stadt erfolgen.

 

Da Kriegsgefangene nicht in den Datenbanken der Partnerorganisationen aufgenommen sind, wird es kaum möglich sein, noch lebende Personen dieser Kategorie zu ermitteln. Diese Einschätzung wurde von der ukrainischen Partnerorganisation bestätigt, sie gilt ebenso für Rußland, Weißrußland und Italien. Bisher konnten lediglich 5 Personen aufgefunden werden.

 

Neben der bekundeten Verpflichtung, durch die Forschungsarbeit auch für nachfolgende Generationen an das Schicksal dieser Menschen zu erinnern und das ihnen zugefügte Unrecht aufzuzeigen, soll insbesondere durch eine in diesem Antrag festgelegte individuelle Entschädigungszahlung der Stadt Marburg an ehemalige Zwangsarbeiter/innen dieser Verpflichtung konkret Ausdruck verliehen werden.

Das sehr hohe Alter der zu entschädigenden Personen zwingt dazu, ohne weiteren Aufschub mit der Auszahlung der festgelegten Entschädigungssumme unverzüglich zu beginnen.

 

Aufgrund der angelaufenen umfangreichen Recherchen zur Ermittlung der Anschriften ehemaliger Zwangsarbeiter/innen der Stadt Marburg liegen erste persönliche Antwortschreiben und Ergebnisse vor.  Zur Erkundung der in Frage kommenden Personen wurden die von der Bundesstiftung genannten 17 Partnerorganisationen und darüber hinaus 24 weitere Opferverbände in mehreren Ländern angeschrieben.

 

Mittlerweile konnten aus den eingegangenen Listen der Partnerorganisationen (Ukraine, Italien, Tschechien), durch die Angaben von Opferverbänden (Polen und Russland) und durch Direktanfragen beim Stadtarchiv Marburg 52 Personen ermittelt werden, die nachweislich in Marburg Zwangsarbeit geleistet haben.  Für weitere 173 Personen ist ein eindeutiger Nachweis (Abgleich mit der von der Geschichtswerkstatt Marburg erstellten Datenbank und weiterer Plausibilitätsprüfungen) noch nicht endgültig abgeschlossen.  Des weiteren gibt es bisher noch keine Rückmeldungen der Partnerorganisationen aus Polen, Russland und Frankreich, Länder aus denen viele der ehemaligen Zwangsarbeiter/innen stammen.

 

Daher lässt sich eine genaue Anzahl der zu entschädigenden Personen zum augenblicklichen Zeitpunkt noch nicht nennen.  Dies wird auch in den nächsten Monaten nicht möglich sein, da wir bei den Plausibilitätsprüfungen auf die Arbeit der Partnerorganisationen oder des Internationalen Suchdienstes (ITS) in Bad Arolsen angewiesen sind.

 

Um möglichst vielen ehemaligen Zwangsarbeiter/innen die Chance einer Entschädigungszahlung zu geben, wird die Frist auf das Ende des Jahres 2002 gelegt, da bis zu diesem Zeitpunkt die Recherche der Projektgruppe "Zwangsarbeit von Ausländern in Marburg 1939 -1945" in den einschlägigen Archiven abgeschlossen sein wird.  Wenn nach der Fristsetzung noch Anfragen an die Stadt Marburg ergehen, sollte in begründeten Härtefällen eine Ausnahmeregelung möglich sein.

 

Entsprechend der im Stiftungsgesetz der Bundesrepublik Deutschland vorgesehenen Entschädigung von Erbberechtigten, sollte auch für Marburg eine Regelung festgelegt werden, wonach die Erben im Todesfall die Entschädigungszahlung erhalten. Dies wird für alle Personen gelten, die bis zur Beschlussfassung der Stadtverordnetenversammlung am 26.04.2002 nicht verstorben waren.

 

Die Kontaktaufnahme mit verschiedenen Städten (wie beispielsweise München, Darmstadt, Frankfurt, Hilden) hat ergeben, dass die ehemaligen Zwangsarbeiter/innen eine individuelle Entschädigung bevorzugen. Gleichzeitig wurde von ihnen der Wunsch formuliert, die Orte ihres Zwangsarbeitseinsatzes noch einmal aufsuchen zu können.

Die Entschädigungshöhe wurde von den einzelnen Städten individuell angesetzt und umfasst eine Spanne zwischen 12.000,-DM (München) und 300,-DM (Hilden). Die von Marburg vorgesehene Entschädigungszahlung in Höhe von 2.000 € orientiert sich sowohl an den Ausgaben der Bundesstiftung als auch an bereits von anderen Städten gezahlten Leistungen.  Auch die Summe von 2.000 € ist als symbolischer Betrag zu sehen, da eine tatsächliche Entschädigung für das erlittene Unrecht nicht möglich ist.

 

Die Abwicklung der Auszahlungen kann zumindest für die Ukraine, aus deren Liste allein 128 Personen als Arbeitsort Marburg angegeben haben, und möglicherweise für weitere osteuropäische Länder über die dortigen Partnerorganisationen erfolgen.

Zur Partnerorganisation der Ukraine, ein gut organisierter und effizient arbeitender Suchdienst, bestehen bereits sehr gute Kontakte, zudem gibt es positive Erfahrungen anderer Städte bezüglich der Auszahlungsabwicklung und einer späteren Überprüfung der geleisteten Auszahlung mit dieser Organisation.

Für die Auszahlung der individuellen Entschädigung wurde von der Stadt München ein detaillierter Vertrag mit der Ukrainischen Partnerorganisation abgeschlossen.  Da sich dieser Vertrag als praktikabel erwiesen hat und durch ihn die vollständige Auszahlung der Gelder an die Betroffenen gewährleistet ist, haben Darmstadt, Hilden und augenblicklich auch Frankfurt diesen Vertrag für die Abwicklung der Entschädigungszahlungen  im Wesentlichen übernommen.

Eine Kopie des Vertrags der Stadt Hilden liegt diesem Antrag bei und sollte auch der Stadt Marburg als Grundlage dienen.  Über eine Verwaltungskostenpauschale ist abweichend zum vorliegenden Vertrag mit den jeweiligen Partnerorganisationen gesondert zu verhandeln.

 

 

 

gez.

 

Löwer

Stadtverordnetenvorsteher

 

 

Anlage

 

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Finanz. Auswirkung

 

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