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Ratsinformation

ALLRIS - Vorlage

Beschlussvorlage Stadtverordnetenvers. - VO/4574/2016

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Beratungsfolge

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Beschlussvorschlag

Die Stadtverordnetenversammlung wird gebeten, folgenden Beschluss zu fassen:

 

Das Bürgerbegehren „Erhalt des Vitos-Parks“ wird als unzulässig zurückgewiesen.

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Sachverhalt

1

 

Begründung:

 

Am 17.12.2016 wurde das in der Anlage beigefügte Bürgerbegehren „Erhalt des Vitos-Parks“ eingereicht mit der Frage:

 

Sind Sie dafür, das Parkgelände um die Vitos-Klinik für Naherholung und Stadtklima zu erhalten und hierzu gemäß § 2 Absatz 1 Baugesetzbuch den Aufstellungsbeschluss für den Bebauungsplan Nr. 10/1, 4. Änderung zu fassen?“

 

r das eingereichte Bürgerbegehren wurde geprüft, ob die formellen und materiellen Voraussetzungen des § 8 b Hessische Gemeindeordnung (HGO) erfüllt sind.

 

  1. Formelle Zulässigkeit

 

In formeller Hinsicht genügt das Bürgerbegehren, den gesetzlichen Anforderungen. Die Schriftform ist eingehalten, es wurde eine Begründung angefügt, ein Kostenvorschlag gemacht und drei Vertrauenspersonen benannt. Nach § 8 b Abs. 3 S. 3 HGO muss das Bürgerbegehren in Gemeinden mit mehr als 50.000 Einwohnern von mindestens 5 Prozent der bei der letzten Gemeindewahl amtlich ermittelten Zahl der wahlberechtigten Einwohner unterzeichnet sein. Es waren danach für ein Bürgerbegehren in Marburg 2.844 gültige Unterschriften erforderlich. Das Bürgerbegehren wurde am 17.12.2015 mit 2.860 gültigen Unterschriften eingereicht. Das notwendige Quorum ist damit erreicht.

 

  1. Materielle Zulässigkeit der Einleitung eine Bebauungsplanverfahrens mittels Bürgerentscheid

 

Ein Bürgerbegehren, das sich auf die Aufstellung eines Bebauungsplans richtet, ist bereits grundsätzlich unzulässig.

 

§ 8 b Abs. 2 Nr. 5 a HGO regelt, dass ein Bürgerentscheid nicht stattfindet über Entscheidungen im Rahmen der Bauleiplanung mit Ausnahme des Aufstellungsbeschlusses nach § 2 Abs. 1 BauGB. Nach dem Wortlaut der Vorschrift ist demnach die Initiierung eines Aufstellungsbeschlusses zulässig. Dies entspricht auch der Intention des Landesgesetzgebers. Ausweislich der Begründung zur Einfügung der Ziffer 5 a in den § 8 b Abs. 2 HGO soll die Einleitung des Planungsverfahrens bürgerentscheidfähig sein. Dies soll ausdrücklich auch für Initiativbürgerbegehren, die auf das Fassen eines Aufstellungsbeschlusses gerichtet sind,  gelten (LTDrs. 18/4031 S. 29).

 

Ungeachtet der gesetzgeberischen Intention widerspricht diese landesrechtliche Regelung dem Vorrang des Bundesrechts. Das Bauleitverfahren ist umfassend und abschließend im BauGB geregelt. § 1 Abs. 3 S. 1 BauGB bestimmt, dass die Gemeinden die Bauleitpläne aufzustellen haben, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann sich das Planungsermessen zwar zu einer originären Planungspflicht verdichten, wenn qualifizierte städtebauliche Gründe von besonderem Gewicht vorliegen (BVerwG, Urteil vom 17.09.2003, Az. 4 C 14.01). Aus § 1 Abs. 3 S. 1 BauGB ergibt sich aber, dass es sich bei kommunalen Planungspflichten immer um Pflichten des objektiven Rechts handelt. Die Planungspflichten können daher nur von den kommunalen Aufsichtsbehörden mit den Mittel der Kommunalaufsicht durchgesetzt werden (vgl. Söfker in Ernst/Zinkhahn/Bielenberg, BauGB, Kommentar, § 1 Rn. 42). Infolgedessen bestimmt § 1 Abs. 3 S. 2 BauGB, dass seitens Dritter kein Anspruch auf die Aufstellung von Bauleitplänen besteht und ein Anspruch auch nicht durch Vertrag begründet werden kann. Die Vorschrift gilt für die Aufstellung von Bauleitplänen sowie nach § 1 Abs. 8 BauGB auch für deren Änderung, Ergänzung und Aufhebung.

 

Ein Bürger hat somit keinen Anspruch auf Aufstellung, Änderung, Ergänzung oder Aufhebung eines Bebauungsplans (so ausdrücklich bestätigend BVerwG, Beschluss vom 02.09.2009, Az. 4 BN 16/09). Daraus folgt, dass ein Bürger auch keinen Anspruch auf Forthrung eines eigeleiteten Bebauungsplanverfahrens hat (BVerwG, Beschluss vom 09.10.1996, Az. 4 B 180.96; Beschluss vom 24.04.1997, Az. 4 B 65.97). Selbst wenn also das Fassen eines Aufstellungsbeschlusses durch einen Bürgerbescheid herbeigeführt werden könnte, würde daraus kein einklagbarer Anspruch erwachsen, das damit eingeleitete Bebauungsplanverfahren auch fortzuführen. Ein derart gefasster Aufstellungsbeschluss läuft rechtlich ins Leere. Schon aus diesem Grund widerspricht die in der HGO geregelte Einleitung eines Bebauungsplanverfahrens durch einen Bürgerentscheid der Systematik des Baugesetzbuches.

 

Darüber hinaus setzt das in  § 1 Abs. 7 BauGB  verankerte Gebot, bei der Aufstellung der Bauleitpläne die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen, der direktdemokratischen Einflussnahme auf die kommunale Bauleitplanung durch Bürgerentscheid enge Grenzen. Während die planerische Abwägung nicht in einer einmaligen Entscheidung, sondern in einem dynamischen Prozess mit einer Kette gestufter Präferenzentscheidungen unter Abschichtung der Alternativen erfolgt, zielt der Bürgerentscheid mit seiner geschlossenen nur mit "ja" oder "nein" beantwortbaren Fragestellung auf eine Einzelentscheidung mit beschränkt bindender Wirkung (VGH München, Urteil vom 27.07.2005, Az. 4 CE 05.1961). Das bedeutet, dass bei der Aufstellung eines Bebauungsplans eine Vielzahl öffentlicher und privater Interessen zu berücksichtigen und abzuwägen ist, die sich nicht in das Schema einer Abstimmung mit "Ja" oder "Nein" pressen lässt (OVG Münster, Beschlüsse vom 06.12.2007, Az. 15 B 1744/07 und vom 16.05.2007, Az. 15 A 874/07; OVG Münster, Urteil vom 24.04.2002, Az. 15 A 5594/00).

 

Das Bauplanungsrecht sieht ein bundesgesetzlich geregeltes und in formeller und materieller Hinsicht vorgeformtes Verfahren vor, in das sich das regelmäßig auf wenige Aspekte der Gesamtplanung bezogene Bürgerbegehren nicht einfügt. Im Ergebnis normiert das Baugesetzbuch die Entscheidung, ob ein Bauleitplanverfahren eingeleitet wird als unveräerliches Recht der Gemeinde und lässt damit einer Einleitung durch einen Bürgerentscheid keinen Raum (so im Ergebnis auch Bennemann/Hagemeier, in: Bennemann u.a, Kommunalverfassungsrecht Hessen, Kommentar, HGO, § 8 b, Rn. 48a).

 

  1. Materielle Zulässigkeit des Bürgebegehrens „Erhalt des Vitos-Parks“

 

Das Bürgerbegehren „Erhalt des Vitos-Parks“ ist jedoch auch dann unzulässig, wenn man die Einleitung eines Bebauungsplanverfahrens durch einen Bürgerentscheid für rechtlich zulässig erachten würde.

 

Ein Bürgerbegehren ist nämlich immer dann ausgeschlossen, wenn es einen konkreten Bezug zu einem bereits in der Bauleitplanung befindlichen Vorhaben aufweist (VG Kassel, Urteil vom 28.09.2012, Az. 3 K 659/12.KS). Dabei ist ein Bürgerbegehren immer dann unzulässig, wenn es der Sache nach erkennbar gegen die mit der Planaufstellung zum Ausdruck gebrachten Zielvorstellungen der Gemeinde gerichtet ist und den planerischen Festsetzungen objektiv widerspricht (VG Kassel, a.a.O.; VG Düsseldorf, Urteil vom 02.03.2007, Az. 1 K 4143/06). So liegt der Fall hier. Im Grunde richtet sich das Bürgerbegehren gegen Bebauungsplanverfahren Nr. 10/1, 3. Änderung „Cappeler Straße/Friedrich-Ebert-Straße“. Dies ergibt sich unmittelbar aus der Begründung des Bürgerbegehrens, in der es heißt:

 

Unter anderem ging es zuletzt darum, anstelle des 19.000 m² großen Roteichenwaldes 186 Wohnungen zu errichten. Zwei der drei erforderlichen Beschlüsse für die entsprechende 3. Planänderung hat das Stadtparlament schon am 31.08.2012 und 19.03.2015 getroffen (jeweils einstimmig), der dritte ist angekündigt. Der untere Richtsberg droht zum sozialen Brennpunkt zu verkommen.

 

Die Möglichkeiten für Bürgerbegehren, welche der fortschreitenden Parkzerstörung Einhalt gebieten, sind leider begrenzt. … Lediglich darf der Bürger noch Bebauungsplanverfahren mittels Aufstellungsbeschluss einleiten.“

 

Der Bebauungsplan Nr. 10/1, 3. Änderung ist durch die Stadtverordnetenversammlung in der Sitzung vom 18.12.2015 beschlossen worden. Das Verfahren ist damit so weit fortgeschritten, dass es ein unmittelbar hierauf gerichtetes Bürgerbegehren durch § 8 b Abs. 2 Nr. 5 a HGO ausgeschlossen ist. Ein kassatorisches Bürgerbegehren hätte sich gegen den Aufstellungsbeschluss im Jahr 2012 richten müssen. Da die Frist hierfür verstrichen ist, wird das Bürgerbegehren nunmehr in das formelle Gewand eines einen Aufstellungsbeschluss initiierenden Bürgerbegehrens gekleidet. Inhaltlich soll jedoch die Umsetzung des Bebauungsplans Nr. 10/1, 3. Änderung verhindert werden. Hierüber kann auch nicht der Umstand hinweg täuschen, dass sich der Geltungsbereich für den vorgeschlagenen Aufstellungsbeschluss auf den gesamten Geltungsbereich des Bebauungsplans 10/1 aus dem Jahr 1976 erstreckt. Denn diese Erstreckung dient lediglich der Ausweisung von Ersatzbauflächen. Eigentlicher Regelungsgehalt bleibt der Erhalt des Roteichenwalds und die Verhinderung einer Bebauung dieser Fläche. Dies kommt auch durch die in der Begründung des Bebauungsplans gewählte Formulierung zum Ausdruck:

 

Im Teilgebiet der 3. Änderung soll das entschädigungsfrei mögliche Höchstmaß an Grünfläche und Bäumen gesichert werden.“

 

Der Bebauungsplan 10/1, 3. Änderung sieht den Erhalt des Roteichenwalds jedoch nicht, auch nicht in Teilen, vor. Die gesamte Fläche ist als allgemeines Wohngebiet bzw. Sondergebiet „Psychatrische Klinik“ ausgewiesen. Die ausgewiesenen privaten Grünflächen und Parkanlagen beinhalten nicht den Erhalt der Bestandsbäume. Diese Entscheidung wurde getroffen nachdem gutachterlich festgestellt wurde, dass bei Herausnahme einzelner Bestandsbäume und der Durchführung von Pflegemaßnahmen, die übrigen Bäume nicht mehr die notwendige Standsicherheit aufweisen. Das bedeutet, dass ein Erfolg des Bürgerbegehrens die Bauleitplanung der Stadt Marburg obsolet werden lassen würde. Eine Bebauung des Gebiets in der geplanten Form wäre dann ausgeschlossen.

 

Die Initiatoren des Bürgerbegehrens haben im Bebauungsplanverfahren im Rahmen der Offenlage ihre Bedenken bereits vorgebracht. Ihre Anregungen wurden in der Abwägung nicht berücksichtigt. Darüber hinaus haben sie gegen die durch den Landkreis erteilte Baumfällgenehmigung geklagt und sind zumindest im Wege des Eilrechtschutzes erfolglos geblieben. Auch diese Bemühungen sprechen dafür, dass das Bürgerbegehren im Grunde nicht auf die Aufstellung eines Bebauungsplans sondern vielmehr gegen den bereits beschlussreifen Bebauungsplan gerichtet ist. Das Bürgerbegehren in der vorliegenden Form stellt eine Umgehung des Ausschlusstatbestands des § 8 b Abs.2 Nr. 5a HGO dar. Im Ergebnis ist es als verfristetes kassatorisches Bürgerbegehren unzulässig.

 

  1. Kostendeckungsvorschlag

 

Das Bürgerbegehren ist ungeachtet dessen auch deshalb unzulässig, weil es an einem den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Kostendeckungsvorschlag mangelt. Gemäß § 8 b Abs. 3 HGO hat das Bürgerbegehren eine nach den gesetzlichen Bestimmungen durchführbaren Vorschlag für die Deckung der Kosten der verlangten Maßnahme enthalten. Sinn und Zweck des Kostendeckungsvorschlags ist darin zu sehen, dass den Initiatoren und später auch den abstimmenden Bürgern die finanziellen Auswirkungen der begehrten Maßnahme deutlich gemacht werden. Daher sind an den Kostendeckungsvorschlag entsprechend hohe Anforderungen zu stellen.

 

Da Umschichtungen innerhalb des Gemeindehaushalts dazu führen, dass anderen Bereichen Gelder entzogen werden und dort daher Angebote bzw. Leistungen gekürzt werden müssen, ist die Art und der Umfang der Umschichtungen genau mitzuteilen. Es muss angegeben werden, welchen Bereichen des städtischen Haushalts Mittel entzogen werden sollen oder wie auf sonstige Art und Weise die Mittel beschafft werden sollen (VGH Kassel, Beschluss vom 23.11.1995, Az. 6 TG 3539/95). Der Kostendeckungsvorschlag des Bürgerbegehrens sieht Umschichtungen aus dem Haushalt vor, ohne diese zu konkretisieren. Der Vorschlag der Ergänzung durch Sponsoring durch Bürger bleibt ebenfalls unkonkret und becksichtigt nicht die Frage der rechtlichen Zulässigkeit von privatem Sponsoring. Unabhängig davon erscheint die Kostenschätzung von 12.000 € als nicht realistisch.

 

  1. Fazit

 

Das Bürgerbegehren ist aus drei selbständig tragenden Gründen unzulässig. Bereits die generelle Zulässigkeit eines auf das Fassen eines Aufstellungsbeschlusses gerichteten Bürgerbegehrens begegnet erheblichen rechtlichen Bedenken. Unabhängig davon stellt das Bürgerbegehren „Erhalt des Vitos-Parks“ nach seinem Inhalt und seiner Zielsetzung ein unzulässiges verfristetes kassatorisches Bürgerbegehren dar. Darüber hinaus genügt auch der Kostendeckungsvorschlag nicht den gesetzlichen Anforderungen.

 

Diese rechtliche Einschätzung hat der Hessische Städtetag mit Schreiben vom 09.11.2015 ausdrücklich geteilt. Das Ergebnis der rechtlichen Prüfung wurde sowohl dem Magistrat als auch der Stadtverordnetenversammlung bereits zur Kenntnis gegeben. Darüber hinaus wurden die Vertrauenspersonen des Bürgerbegehrens bereits mit Schreiben vom 28.10.2015 über die rechtliche Einschätzung unterrichtet. Das nunmehr eingereichte Bürgerbegehren blieb inhaltlich unverändert.

 

Bei der Entscheidung über die Zulassung eines Bürgerbegehrens zum Bürgerentscheid handelt es sich um eine gebundene Entscheidung, die für Ermessenserwägungen keinen Spielraum lässt. Die Zulassungsentscheidung ist damit insbesondere politischen Überlegungen unzugänglich. Da vorliegend die Voraussetzungen des § 8 b HGO nicht erfüllt sind, muss das Bürgerbegehren als unzulässig zurückgewiesen werden.

 

 

 

 

Dr. Thomas Spies

Oberbürgermeister

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