„Wären Sie doch schon früher da gewesen“, sagt Gerda Theis und lächelt. Die 76-Jährige meint das keinesfalls als Vorwurf, vielmehr drückt sie ihre Freude darüber aus, dass sie und ihr Mann mit Sabine Schmerberg nun eine verlässliche und kontinuierliche Ansprechpartnerin haben, die das Ehepaar bei Fragen, Schwierigkeiten oder Wünschen einfach anrufen kann. „Die Menschen wenden sich mit unterschiedlichen Fragestellungen und Anliegen an mich“, berichtet die Soziallotsin und nennt Beispiele wie „Ich hätte gern eine Erzählpatin oder jemanden, der mit mir spazieren geht“ oder „Wie komme ich von zuhause zum Dorfcafé? Ich bin nicht mehr so mobil“. Gerade jüngere Senior*innen suchen oft nach ihrer Erwerbtätigkeit oder Familienphase Anschluss oder Möglichkeiten zum Mitmachen.
Häufiges Thema sind aber auch Fragen rund um seniorengerechtes Wohnen. Die „Gemeindeschwester 2.0“ besucht dann kostenlos die älteren Menschen zuhause und erkennt beispielsweise Stolperfallen oder gibt praktische Tipps. Bei Ehepaar Theis war das etwa die Anbringung eines Treppengeländers bei den Stufen im Wohnzimmer und das Wegräumen von Dekoration, die zu Stürzen führen kann. „Schwester Sabine“, wie das Ehepaar sie liebevoll nennt, hat eine Schulung zur Wohnraumberatung gemacht und weiß: „Die meisten Menschen wollen so lange wie möglich im häuslichen Umfeld bleiben.“
Genau das ist auch das Ziel des Projekts „Gemeindeschwester 2.0“, für das die Universitätsstadt in Kooperation mit der Altenplanung und der Marburger Altenhilfe St. Jakob den Zuschlag bekam. Als fünfte Kommune in Hessen wird Marburgs zugehende Seniorenarbeit vom Hessischen Ministerium für Soziales und Integration im Rahmen der Offensive „Land hat Zukunft – Heimat Hessen“ gefördert. Damit die älteren Menschen in Cyriaxweimar, Dagobertshausen, Dilschhausen, Elnhausen, Haddamshausen, Hermershausen, Wehrshausen und Michelbach möglichst lange in ihrer gewohnten Umgebung bleiben können, steht ihnen die „Gemeindeschwester 2.0“ beratend zur Seite, sie sieht und hört genau hin, wo die Probleme liegen.
Aufgrund ihrer langjährigen Berufserfahrung, unter anderem als Krankenschwester im ambulanten und stationären Bereich und als Gutachterin für den medizinischen Dienst, verfügt Sabine Schmerberg über eine Vielzahl von Kompetenzen und Kenntnissen, die ihr für ihre Tätigkeit als „Gemeindeschwester“ zugutekommen. Sie ist vernetzt mit sämtlichen Organisationen in Marburg und vermittelt zum Beispiel Kontakte zu Ansprechpersonen, etwa für eine Erzählpatenschaft, oder zu Beratungsstellen wie dem BiP mit Pflegebüro und Pflegestützpunkt. Sie weiß, was benötigt wird, wenn es um Kontakte und Alltagsgestaltung geht, die Beantragung einer Pflegstufe oder Hilfsmöglichkeiten.
Doch nicht nur ihr Wissen überzeugt die Senior*innen: „Sie ist so sympathisch, wir haben sie direkt gemocht“, sagt Gerda Theis. Ihre offene Art kommt gut an, außerdem hört die Gemeindeschwester genau zu und fragt nach. Ob es nun an ihrer Ausbildung zum systemischen Coach und zur Mediatorin, ihren langjährigen und vielseitigen beruflichen Erfahrungen oder einfach an ihrer Persönlichkeit und der Freude an ihrer Tätigkeit als Gemeindeschwester liegt: Die Menschen, die Sabine Schmerberg besucht, fassen schnell Vertrauen zu ihr. Dafür ist die Soziallotsin dankbar, „schließlich komme ich zu den Menschen in ihr ganz privates, häusliches Umfeld, da ist Vertrauen wichtig.“
Dieses Vertrauen muss sich die Gemeindeschwester aber auch erarbeiten. Als Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies vor rund fünf Monaten das Pilotprojekt vorstellte, kannten die Senior*innen in den westlichen Außenstadtteilen die 57-Jährige noch nicht. Daher hat sie beispielsweise Kontakt mit Initiativen, Vereinen oder auch Pfarrern aufgenommen und besucht regelmäßig Treffpunkte für ältere Menschen, etwa Dorfcafés wie in Elnhausen, „Omis Kaffeeklatsch“ in Michelbach oder die Angebote des Arbeitskreises „Aktives Allnatal“ mit regelmäßigen Mittagstischen, der Spaziergehgruppe oder dem Erzählkaffee.
Dabei lernen die älteren Menschen Sabine Schmerberg kennen und entscheiden selbst, ob sie mit der Gemeindeschwester Kontakt aufnehmen möchten. Denn das ist ein wichtiges Prinzip ihrer Arbeit: „Ich rufe Sie niemals einfach so von mir aus an oder klingele an Ihrer Haustür“, betont sie beispielsweise beim Dorfcafé in Elnhausen – auch im Hinblick auf mögliche Tricks von Betrüger*innen. Denn von Anrufen ausgedachter Nichten und Neffen berichtet beispielsweise eine Seniorin beim Erstgespräch mit der Gemeindeschwester. Auch solche Hinweise nimmt „Schwester Sabine“ direkt auf und überlegt mit der Altenplanung, ob nicht einmal eine Informationsveranstaltung zum Thema sinnvoll sein könnte.
Beim Dorfcafé in Elnhausen stellt sie diesmal noch einmal sich selbst und die SOS-Rettungsdose vor. Diese hatte sie auch mit zum Ehepaar Theis genommen. „Sie bringt immer gute Ideen mit, die wir vorher nicht kannten“, sagt Dieter Theis und nennt als weiteres Beispiel Bewegungskarten zum Mobilitätstraining für zuhause. „Wir machen die Übungen jetzt immer regelmäßig, das ist für uns beide gut“, sagt Gerda Theis. Auch dabei wird deutlich, dass die „Gemeindeschwester 2.0“ keine ergänzende Pflegekraft ist, sondern eine zentrale „Kümmerin“, um die Lücke zwischen medizinischer und sozialer Versorgung für ältere Menschen zu schließen, die keine Leistungen aus der Pflegekasse beziehen.
„Dieses Pilotprojekt leistet einen wichtigen Beitrag dazu, Einsamkeit zu vermeiden und davon betroffenen Menschen wieder einen Zugang in das gemeinschaftliche Leben zu geben“, hatte Spies damals prognostiziert. Nach fünf Monaten Einsatz der „Gemeindeschwester“ wird deutlich, dass dies mit ihr durchaus gelingt. „Ich zeige den Menschen Wege und Möglichkeiten auf, die sie dann selber gehen. Ich unterstütze sie dabei, aber sie bleiben dennoch selbständig. Wir schöpfen gemeinsam aus den Ressourcen, die sie haben, um weiter ihr eigenständiges Leben zuhause führen zu können, wie sie es schon so viele Jahrzehnte zuvor gemeistert haben.“
Gemeindeschwester Sabine Schmerberg ist telefonisch zu erreichen unter (06421) 201-1462 und per Mail an gemeindeschwester@marburg-stadt.de.