„Angesichts der Vielzahl an qualitativ sehr guten Ideen ist uns die Entscheidung nicht leichtgefallen“, sagte OB Spies bei der Bekanntgabe der Juryentscheidung. Der Kulturdezernent freute sich, schließlich Heiko Hünnerkopf als Sieger des Wettbewerbs vorstellen zu können. Dessen Idee: viertelkreisförmig Winkelprofile vor dem Jäger-Denkmal installieren. Je nach Blickwinkel verblendet diese Installation die Sicht auf das bestehende Denkmal teilweise oder sogar komplett. „Es stellt sich der gewaltigen Säule des Jäger-Denkmals. Dabei lässt es das Denkmal nicht verschwinden, sondern setzt einen klaren Gegenpunkt“, so der OB. „Ich wünsche mir, dass Menschen durch eine solche optische Irritation dazu angeregt werden, sich mit der Installation, den Marburger Jägern und deren Opfern auseinanderzusetzen.“ Dieser Kunstwettbewerb zeige damit besonders deutlich, wie eng die Verbindung zwischen Bildender Kunst und Politik sei. Spies dankte der Jury und dem städtischen Kulturamt für deren Fingerspitzengefühl, Zeit und Engagement und erklärte, dass er sich eine Umsetzung der Installation in Absprache mit dem Künstler möglichst noch für dieses Jahr wünsche.
„Ich freue mich sehr über die Entscheidung der Jury. Mit meiner Arbeit ,Verblendung‘ möchte ich zum Diskurs beitragen, um einerseits die Erinnerung wachzuhalten und anderseits die Unfähigkeit zur Einsicht zu überwinden. Gerade die Demokratie lebt vom Diskurs, von der Meinungsvielfalt und der Beteiligung daran“, sagte Heiko Hünnerkopf selbst. Er lobte das öffentliche Forum, in dem die acht Finalistinnen und Finalisten ihre Ideen vortrugen, als sehr bereichernd – und freute sich über „die hier entgegengebrachte Wertschätzung von den Vertreterinnen und Vertretern der Stadt gegenüber den Künstlerinnen und Künstlern, die Kollegialität unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern und die Qualität der präsentierten Arbeiten.“
© Stadt Marburg, Patricia Grähling
In der Begründung der Jury des Kunstwettbewerbs heißt es: „Mit seinem Entwurf ,Verblendung‘ findet der Künstler und Kommunikationsdesigner Heiko Hünnerkopf eine verständliche, aber keineswegs triviale Formsprache. Mit starker Wirkung im öffentlichen Raum und als kritischer Kommentar zum Jäger-Denkmal ist die ,Verblendung‘ doppeldeutig gemeint: Als optische (Teil-)Verblendung dieses Denkmals von 1923, aber auch als Thematisierung der ideologischen Verblendung der ,Marburger Jäger‘ als angesehene Akteure der Marburger Stadtgesellschaft in einem militaristischen Kaiserreich. In der Gestaltung ist die künstlerische Intervention sanft und radikal zugleich: Sie lässt das Jäger-Denkmal einerseits unberührt und sorgt doch für eine visuell eindringliche Irritation. Der überzeugende Gesamteindruck wird komplettiert durch Detailinformationen an den Winkelprofilen.“
© Stadt Marburg, Patricia Grähling
Der zweite Preis geht an Burkhard Hagen Fischer und seinen Entwurf „Die Anderen“. Die Jury: „Der Entwurf des Berliner Architekten und Künstlers Burkhard Hagen Fischer basiert auf einer originellen Dekonstruktion der Denkmalanlage. Das von ihm geplante Arrangement der Sandsteinstufensegmente und in Scheiben geschnittenen Seitenblöcke lässt die Anmutung einer Gräber- oder Sarkophag-Reihe entstehen und weist eindrücklich auf die Opfer der Marburger Jäger hin. Fischer entwickelt ein schlüssiges Konzept, Dekonstruktion und konfrontative Neu-Konstruktion zu verbinden.“
Der dritte Preis geht an die junge Kunststudentin und Steinbildhauerin Antje Dathe (Jg. 1987) aus Halle/Saale. Die Jury: „Ihr Entwurf ,Die Schattenseite‘ nutzt in gelungener Kommunikation und Konfrontation mit dem Jäger-Denkmal den Schattenwurf als verständliches Bild und Symbol. Diesen Schatten gestaltet die Künstlerin aus anthrazitfarbenen Natursteinstelen. Beschriftungen auf den Stelen informieren über die Untaten und die Opfer der Marburger Jäger.“
„Wir wollten das Thema Gedenkinstallation politisch angemessen darstellen – in hoher Qualität. Daher haben wir den Wettbewerb international ausgeschrieben und einige Kunstschaffende als Teilnehmerinnen und Teilnehmer gesetzt“, erklärte Kulturamtsleiter Richard Laufner. Die Universitätsdozentin Dr. Maximiliane Jäger-Gogoll lobte die multidisziplinär zusammengesetzte Jury. „Das war ein sehr spannender Prozess für uns mit konstruktiven Diskussionen.“ Sie und Kunsthistorikerin Dr. Carola Schneider betonten dies im Namen der Jury als gelungenes Zusammenspiel von Politik und Gesellschaft. Stadtverordnetenvorsteherin Marianne Wölk bedankte sich im Namen der Stadtverordnetenversammlung bei allen Beteiligten für die hervorragende Umsetzung des Parlamentsbeschlusses zu einer Gedenkinstallation für die Opfer der Marburger Jäger. „Mir wäre es unglaublich schwer gefallen, eine Entscheidung treffen zu müssen“, sagte sie abschließend.
Videos zu den Wettbewerbsbeiträgen der Finalistinnen und Finalisten sind im Youtube-Kanal der Universitätsstadt Marburg zu sehen.
Hintergrund
Das Stadtparlament hatte im Dezember 2016 den Beschluss für diesen Kunstwettbewerb für eine Gedenkinstallation in Auseinandersetzung mit dem Jäger-Denkmal im Schülerpark gefasst. Diese Installation solle „in direkter Kommunikation/Konfrontation“ mit dem Kriegerdenkmal im Schülerpark stehen und „ein Beitrag für die Aufarbeitung der Geschichte des Militarismus in Marburg und ein lokaler Beitrag für eine Kultur des Friedens und der Völkerverständigung sein“. Bis zum Bewerbungsschluss am 1. Dezember 2017 waren 55 Bewerbungen aus den fünf Ländern Deutschland, Österreich, Belgien, Frankreich und Namibia eingegangen. Am 19. Januar traf die Jury eine Vorauswahl von acht Einsendungen, die sich am 24. Mai in einem Forum Kunstwettbewerb und einer anschließenden 9-tägigen Ausstellung auch der Stadtöffentlichkeit vorstellte. Die Preise des Kunstwettbewerbs sind mit 2000 Euro, 1500 Euro und 1000 Euro dotiert.
Die Jury
Der Jury gehören neben OB Dr. Thomas Spies folgende Sachverständige an: Dr. Richard Laufner (Leiter Fachdienst Kultur), Florian Baumgarten (Untere Denkmalschutzbehörde), Silvia Vignoli (Fachdienst Klimaschutz, Stadtgrün und Friedhöfe), Elisabeth Auernheimer (Marburger Geschichtswerkstatt), die Künstlerin und Kunstdozentin Doris Conrads, die Universitätsdozentin Dr. Maximiliane Jäger-Gogoll, Dr. Carola Schneider (Kunsthistorikerin und Geschäftsführerin des Marburger Kunstvereins) sowie Dr. Harald Kimpel (Kunsthistoriker und Publizist).
Zu den „Marburger Jägern“
1866 in Marburg aufgestellt, wurde das Hessische Jäger-Bataillon Nr. 11 im Krieg gegen Frankreich 1870/71 erstmals eingesetzt und war an der Niederschlagung der Pariser Kommune beteiligt. Die Jäger kämpften 190/01 beim Boxeraufstand in China und 1904/07 gegen Herero und Nama im heutigen Namibia. 1914 war die Einheit an Kriegsverbrechen in Dinant (Belgien) beteiligt. Die künftige Gedenkinstallation soll laut Parlamentsbeschluss „in direkter Kommunikation/Konfrontation“ mit dem Kriegerdenkmal im Schülerpark stehen. Zugleich soll sie „ein Beitrag für die Aufarbeitung der Geschichte des Militarismus in Marburg und ein lokaler Beitrag für eine Kultur des Friedens und der Völkerverständigung sein“. Die Stadtschrift „Marburger Jäger“ kann im Rathaus-Verlag erworben werben.