© Heiko Krause, Universitätsstadt MarburgDer scheidende und der neue Oberbürgermeister der Universitätsstadt Marburg, Egon Vaupel und Dr. Thomas Spies, beteiligten sich am Sonntag bei einem Festakt im Hessischen Staatsarchiv am Friedrichsplatz am traditionellen Fertigschreiben der Thora und am Einbringen in die Gemeinde der Synagoge in der Liebigstraße.
Die Thora sind die biblischen fünf Bücher Mose, aus ihnen wird im Gottesdienst der Wochenabschnitt gelesen. Die Thorarolle wird mit Tusche und Feder von Hand auf Pergament geschrieben – das dauert sehr lange und macht die Thorarolle sehr kostbar. Dank der großzügigen Spenden, die der Förderverein eingeworben hat, konnte die Jüdische Gemeinde in diesem Jahr ihre zweite neue Thorarolle erwerben. Wenn man bedenkt, dass die bisher genutzten Thorarollen etwa 170 Jahre alt sind, dann wird deutlich, dass die Einbringung einer neuen Thorarolle ein bedeutendes Ereignis ist. Begleitet wurde es von vielen Vertretern aus Politik, Religionen und Gesellschaft.
In ihrer Begrüßung verwies die stellvertretende Archivleiterin Dr. Annegret Wenz-Haubfleisch, darauf, dass das Gebäude, in dem die Feier stattfand, in der Zeit des Nationalsozialismus gebaut wurde, der Zeit, in der furchtbare Verbrechen an den Juden verübt wurden. Heute dokumentierten dies zahlreiche Bestände des Staatsarchivs. Zugleich zeigten sie aber auch, dass die Juden in Marburg zuvor auch viel zum gesellschaftlichen Leben beigetragen haben, „deshalb ist es wohl doch der richtige Ort“.
© Heiko Krause, Universitätsstadt Marburg„Es ist mir eine große Ehre, zum zweiten Mal bei einem so wichtigen Ereignis für die Jüdische Gemeinde, die Grüße des Magistrats zu überbringen“, betonte Egon Vaupel, der auch im Namen von Dr. Thomas Spies und Stadtverordnetenvorsteher Heinrich Löwer sprach. Die Einweihung der neuen Synagoge vor zehn Jahren, sei ein bedeutendes Datum gewesen, so Vaupel während seiner letzten offiziellen Rede vor seiner Verabschiedung am 30. November. Sie stehe dafür, dass in Marburg „jüdisches Leben wächst, blüht und die ganze Stadt befruchtet“. Den größten Anteil daran habe der Vorsitzende der Jüdische Gemeinde und Ehrenbürger der Stadt, Amnon Orbach, so das scheidende Stadtoberhaupt.
Der Festakt im Staatsarchiv finde leider in einer Zeit statt, in der Ausgrenzung und Diskriminierung vor allem in sozialen Netzwerken an der Tagesordnung sind, sagte Vaupel. Das mache ihn betroffen und wütend. Zugleich, hob er aber hervor, würden in Marburg die Menschen aufstehen und Gesicht zeigen, „Seite an Seite über alle Religionen“. Das zeigten auch die zahlreichen, die sich ebenfalls am Fertigstellen der Thorarolle beteiligten und damit ein Zeichen setzten. „Lassen Sie Marburg auch in Zukunft die Stadt sein, die Menschen, die Hunger haben, einen Platz am Tisch gibt und ein Dach über den Kopf, egal wo sie herkommen“, wünschte sich das scheidende Stadtoberhaupt abschließend.
© Heiko Krause, Universitätsstadt MarburgFür den Förderverein für Synagoge und Kulturzentrum der Jüdischen Gemeinde sprach Erhart Dettmering. Er betonte, dass nach dem Zweiten Weltkrieg der Neuanfang in Marburg schwer gewesen sei, erst 1961 sei eine Gedenktafel für die von den Nazis niedergebrannte alte Synagoge errichtet worden. Unter den Oberbürgermeistern Dr. Hanno Drechsler, Dietrich Möller und Egon Vaupel sei in Marburg aber nach und nach wieder viel jüdisches Leben eingekehrt und das werde mit dem Fest auch unterstrichen. Mit der Einweihung der Synagoge, der Anschaffung eines speziellen Gestühls und der zwei Thorarollen habe der Verein seine Ziele erreicht, freute sich Dettmering. 190.000 Euro an Spenden und Mitgliedsbeiträgen hätten zur Verfügung gestellt werden können. Jetzt fehlten nur noch 3.000 Euro an Nebenkosten, die beschafft werden müssen, dann werde sich der Förderverein im kommenden Jahr auflösen, kündigte Dettmering an.
© Heiko Krause, Universitätsstadt MarburgBevor Rabbiner und Sofer Josef Chranovski mit ausgewählten Gästen die Thora vollendete, erläuterte Amnon Orbach, warum die Gemeinde überhaupt eine zweite braucht. An jedem Samstag werde einer von 52 Abschnitten gelesen, berichtete er. Dafür würde weitergerollt. An Feiertagen müssten aber andere Passagen zusätzlich gelesen werden, mit einer zweiten Thora sei das Rollen zwischendurch nicht nötig.
© Heiko Krause, Universitätsstadt MarburgAuch Orbach lobte das gute Miteinander der Religionen in Marburg. „Denn ohne Frieden und Brüderlichkeit, kann keine Kultur bestehen. Die Synagoge und das Kulturzentrum der Jüdischen Gemeinde stünden allen Menschen zum Gebet offen, betonte der Gemeindevorsitzende. Und nicht ohne Stolz berichtete er, dass es mit etwa 30 Schulen aus Stadt und Landkreis eine Kooperation gebe, Kinder und Jugendliche würden in der Synagoge viel über das Judentum erfahren. Nachdem die Thorarolle fertig geschrieben war, wurde sie singend und tanzend von den Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde und ihrer Gäste durch die Liebigstraße zur Synagoge getragen, wo weiter gefeiert wurde.
Das Programm zum Synagogenjubiläum hatte bereits am Freitag mit einem Gottesdienst zum Empfang des Schabbat begonnen. Zu Gast waren „Die Drei Kantoren“, die das Gebet musikalisch begleiteten: der Tenor Ido Ben-Gal, der Bariton Amnon Seelig und der Bass Assaf Levitin, die eine Mischung aus jüdischer Liturgie und israelischer Virtuosität boten. Am Samstag schloss sich ein weiterer musikalischer Gottesdienst mit den Kantoren zum Schabbat an. Am Samstagabend lud die Jüdische Gemeinde zu einem öffentlichen Konzertabend in die Synagoge ein, wo „Die Drei Kantoren“ zusammen mit der Kantorin Aviv Weinberg auftraten.