© Stadt Marburg, Patricia Grähling
Mit Bannern und bunt bemalten Schildern hatten sich 7500 Menschen vor dem Erwin-Piscator-Haus versammelt. „Unsere Liebe ist stärker als euer Hass“ stand hier auf einem Schild, „Herz statt Hetze“ hatte ein junger Mann auf sein Schild gemalt. Die vielen Menschen sind dem Aufruf der Stadt mit Magistrat und Stadtparlament sowie den rund 120 unterstützenden Institutionen, Vereinen und Unternehmen gefolgt, um gemeinsam friedlich zu zeigen, dass in Marburg kein Platz für Rechtsextremismus ist.
© Stadt Marburg, Patricia Grähling
Zusammen zog die Gruppe vom Erwin-Piscator-Haus über Biegenstraße, Rudolphsplatz und Universitätsstraße über den Hanno-Drechsler-Platz in die Oberstadt. Als die ersten Menschen den Marktplatz erreichten, zog sich der Demonstrationszug immer noch bis zum Rudolphsplatz hinunter, immer mehr Teilnehmerinnen und Teilnehmer drängten mit Fahnen und Bannern singend und skandierend auf den Marktplatz, füllten die Nebenstraßen.
Auf dem Marktplatz fand die Abschlusskundgebung statt, bei der Vertreterinnen und Vertreter der Stadtgesellschaft eindrucksvolle Worte fanden. „Es darf keinen Zweifel geben: Wer Menschen nach Kategorien abwertet, seien sie rassistisch, homophob oder antisemitisch, wer rechtsextremes Gedankengut verbreitet, der stellt sich außerhalb unserer demokratischen Gesellschaft“, sagte das Stadtoberhaupt Spies, immer wieder unterbrochen von lautstarker Zustimmung und Applaus. Spies erklärte auch, dass nicht alle Menschen, die auf eine Pegida-Demonstration gingen auch gleich Rechtsextremisten seien – es seien Menschen, die Angst hätten vor der ungeheuren Dynamik des modernen Lebens, vor Veränderung oder sozialem Abstieg. Diese Ängste dürften nicht ignoriert werden – denn alle Menschen müssten die Gewissheit haben, dass die Gesellschaft für sie einstehe. „Aber niemand darf ignorieren, wenn bei einer Demo der Hitlergruß gezeigt und Menschen gejagt werden. Es darf und muss von allen anständigen Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes erwartet werden, dass sie einen Ort, eine Demonstration verlassen, auf der rassistische Parolen skandiert werden und auf der Gewalt ausgeübt wird.“ Wieder zustimmender Applaus, begleitet von den skandierenden Rufen „Nationalsozialismus raus aus den Köpfen“.
Die stellvertretende Stadtverordnetenvorsteherin Dr. Elke Neuwohner erklärte, ebenso von Applaus begleitet wie alle weiteren Redebeiträge: „Im Stadtparlament, für das ich hier spreche, sind wir uns nicht immer einig. Und das müssen wir auch nicht. Denn wir bilden ein breites Spektrum aus Meinungen und Weltbildern ab. Unzertrennbar einig sind wir uns aber darin, dass Hass und Hetze nicht das Zusammenleben bestimmen dürfen. Wir Marburgerinnen und Marburger treten gemeinsam ein für eine lebendige Demokratie ohne Hass und Hetze.“
Auch Prof. Evelyn Korn, Vizepräsidentin der Philipps-Universität schloss sich an: „Alle unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und unsere Studierenden haben viele Facetten und jeder und jede Einzelne ist besonders.“ Sie alle bildeten die Uni, die Teil sei dieser Stadt, dieses Landes und der internationalen Gemeinschaft.
Georg Simonsky berichtete von den Ereignissen in Chemnitz, wo seine Gruppe – Teilnehmende der Gegendemonstration am Samstag – angegriffen und bedroht wurde. „Das, was gerade passiert, geht uns alle an, denn es ist ein Angriff auf unsere demokratische Gesellschaft“, sagte er. Gewalt gegen Menschen dürfe nicht akzeptiert werden. „Es ist 5 vor 12. Den Luxus, nichts zu tun, können wir uns nicht mehr leisten.“
„Die Kosten für die Flüchtlingshilfe sind die unmittelbaren Kosten unserer Lebensweise, unserer Wirtschaftspolitik und unserer Waffenexporte“, so die Literaturwissenschaftlerin Prof. Maximiliane Jäger-Gogol, die für die Zivilgesellschaft sprach.
Auch Burkhard zur Nieden, Dekan der evangelischen Kirche Marburg, sprach bei der Kundgebung: „Die Kirche ist der natürliche Gegner der Nationalsozialisten“, betonte er. Von diesen wolle er sich sein Land nicht kaputt machen lassen. „Wir brauchen Menschen, die unsere Verfassung mit Leben füllen, deswegen ist es wichtig, dass wir alle hier stehen.“ Und wenn man mal in einer Situation sei, in der „wir mal nicht mehr sind“ – da brauche es erst recht Haltung, um für diese Meinung einzustehen.
Umrahmt wurde die Kundgebung mit einem Kulturprogramm. Das Hessische Landestheater hat den Auftakt gemacht mit Texten, unter anderem von Berthold Brecht. Robert Oberbeck hat die Redebeiträge bei der Kundgebung musikalisch begleitet und sorgte für einen Gänsehautmoment, als er – zusammen mit Dekan zur Nieden am Akkordeon – anstimmte und aus tausenden Kehlen „Keep on rockin` in a free world“ erklang.
Schulterschluss gegen Rechtsextremismus
Getragen wurde der Aufruf zur Demonstration vom Magistrat der Stadt sowie vom Stadtparlament mit SPD, CDU, Grünen, Linke, Bürgern für Marburg, Marburger Bürgerliste/FDP und Pirat von allen in der Stadtverordnetenversammlung vertretenen Parteien und Gruppen. Mit Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies und Stadtverordnetenvorsteherin Marianne Wölk an der Spitze riefen auch Landrätin Kirsten Fründt und Kreistagsvorsitzender Detlef Ruffert sowie rund 120 Unternehmen, Institutionen und Vereine dazu auf.
Vorausgegangen war der Demonstration ein Beschluss der Stadtverordnetenversammlung in der jüngsten Parlamentssitzung am vergangenen Freitag, 31. August. Im Beschluss heißt es im Wortlaut: „Die Stadtverordnetenversammlung verurteilt die pogromähnlichen Ausschreitungen in Chemnitz. Es ist Aufgabe des Staats alle Menschen vor Gewalt zu schützen. Zugleich beginnt der Kampf gegen Rechtsextremismus in den Kommunen. Wir sagen deshalb gemeinsam: In Marburg ist kein Platz für rechtsextremistisches Gedankengut! Die Aufklärung von Menschen, das Abbauen von Vorurteilen und das Gestalten eines friedlichen Zusammenlebens sind gemeinsame Aufgabe von Kommune und Bürgerinnen und Bürger.“ Um nach den Ereignissen in Chemnitz in Marburg ein starkes Zeichen gegen Gewalt und Rassismus zu setzen, wurde die Demonstration kurzfristig organisiert.
Die Rede von Dekan Burkhard zur Nieden als Audiodatei gibt es hier: .