Um zur Beantwortung dieser Fragen größere archäologische Untersuchungen mit entsprechenden Konsequenzen für Natur und Aufenthaltsqualität zu vermeiden, gehen Experten aktuell in einer Archivrecherche auf den historischen Grund. Die Archivrecherche soll Aufschluss geben über folgende Fragen: Wie ist das Wehr aufgebaut? Wie alt sind welche Teile des Bauwerks und woraus bestehen sie? Besteht die Gründung des Wehres aus einem fast 500 Jahre alten Holzpfahlgerüst und hat einen Wehrkörper aus ebenso alten Sandsteinen? Oder wurde das ursprüngliche Wehr erst später im 19. Jahrhundert mit behauenen Decksteinen aus Sandstein belegt? Das lässt sich nur herausfinden, indem man in Archiven genauer über das Grüner Wehr forscht.
Die andere, deutlich aufwändigere Möglichkeit, um für ein neues Gutachten wichtige Informationen zu erhalten, wäre, das Bauwerk zu öffnen. Für eine archäologische Untersuchung müssten etwa ein Drittel des Wehres abgetragen und anschließend wieder aufgebaut werden. Damit wäre gewährleistet, dass nicht gerade eine Stelle untersucht wird, die in der Vergangenheit bereits repariert wurde. Die Untersuchung müsste außerhalb der Hochwassersaison gemacht werden. Einschließlich Baustraße, Rodungsarbeiten, Ausgleichmaßnahmen, Eingriffsminimierung und Baugrubenspundung würden dafür etwa 1,3 Millionen Euro benötigt, hinzu kämen die archäologische Fachbegleitung und Ingenieurleistungen von mindestens 200.000 Euro – ein unverhältnismäßiger Aufwand für den unerwarteten Fall, dass eine grundhafte Sanierung nicht notwendig sein sollte.
Stattdessen hat die Stadt Marburg eine professionelle Archivrecherche in Auftrag gegeben, um mehr über den Aufbau des Wehres zu erfahren. Das bedeutet, dass derzeit in verschiedenen Archiven, unter anderem im Staatsarchiv, nach Unterlagen, Plänen und Informationen über das Bauwerk gesucht wird. Die Ergebnisse erwartet die Stadt Ende November.
„Die Archivrecherche ersetzt das zugesagte Kurzgutachten nicht, sondern bereitet es vor“, erklärt Bürgermeister und Baudezernent Wieland Stötzel. „Wir hoffen, dass wir durch die Archivrecherche noch mehr über das Grüner Wehr erfahren. Wenn es neue Erkenntnisse gibt, kann das die Qualität des darauffolgenden Kurzgutachtens erheblich verbessern“, so Stötzel. Wie genau die vorhandene Wehranlage aufgebaut ist, welche Teile welches Alter haben und welche Materialien im Einzelnen verwendet wurden, ist bislang weitgehend ungeklärt.
Diese Vorgehensweise hat die Stadt Marburg in einem persönlichen Gespräch mit der Bürgerinitiative abgestimmt. Diese hat den Vorschlag begrüßt. „Sobald die Ergebnisse der Recherche vorliegen, wird es weitere Treffen mit den Mitgliedern der BI geben,“ erklärt Stötzel. Dann sollen Themen und Fragen, die das Gutachten klären soll, genauer besprochen werden. „Wir gehen gemeinsam einen Weg, der transparent und einvernehmlich mit den Marburgerinnen und Marburgern in der BI abgestimmt wurde“, betont der Bürgermeister. Mit dem Gutachten rechnet die Stadt Marburg bislang im Sommer 2019. Erst danach werden der Umfang und die Art und Weise der Baumaßnahme thematisiert, am Ende stehen Detailfragen wie die Ausgestaltung des Umfeldes. „Die Stadt Marburg wird am Grüner Wehr keine Bauarbeiten beginnen, bevor die Weidenhäuser Brücke nicht wieder geöffnet ist und wir das weitere Vorgehen mit den Marburger Bürgerinnen und Bürgern beraten haben. Die Brücke hat derzeit im Bauamt der Stadt Priorität“, macht Stötzel klar.
Wenn eine gemeinsame Lösung für die Wehranlage gefunden wird, wird diese erneut den städtischen Gremien und Beiräten vorgelegt werden. Danach muss das förmliche wasserrechtliche Planfeststellungsverfahren beim Regierungspräsidium beantragt werden. Wie schon von Beginn an von Seiten der Stadt betont wurde, zeigt dies deutlich, dass die Sanierung oder Erneuerung des Wehres kein kurzfristiges Projekt der Stadt Marburg ist, sondern die Vorbereitungen bis zu einer Umsetzung noch Jahre in Anspruch nehmen werden.