© Stadt Marburg, i. A. Heiko Krause
Wegen des großen öffentlichen Interesses wurde die Ausstellung nicht im Rathaus, sondern in der Lutherischen Pfarrkirche eröffnet, die mit gut 200 Menschen fast bis auf den letzten Platz gefüllt war. „Ich habe selten ein so ungewöhnliches Projekt eröffnet“, freute sich Stadträtin Dr. Kerstin Weinbach. „Es ist ein Protest gegen den Terror und demonstriert zugleich Empathie und Trauer“.
Ausgangspunkt der Kunstwerke der Ausstellung war eine Rolle mit alten Werbeplakaten aus dem Jahr 1965, die Jacques Fivel in seiner Sammlung wiederentdeckte und weitergab. 106 Künstlerinnen und Künstler - einige von ihnen waren als Zeugen und Geiseln im „Bataclan“ direkt mit dem Anschlag konfrontiert - haben das historische Plakat umgestaltet. Zur Eröffnung waren die beiden Künstlerinnen Marjolaine Dégremont und Philippinne Schaefer gekommen. „Es war uns wichtig, zu reagieren“, sagte Schaefer. „Wir leben in großer Freiheit, sind uns dessen bewusst und wollen dafür eintreten.“
„Die Attentate haben Paris erschüttert“, so Dégremont. Vor allem die jungen Leute hätten so etwas noch nicht erlebt. „Die Zivilgesellschaft muss gegen den Terror stehen“, so ihre Forderung. Die Ausstellung solle daher eine Debatte anstoßen. Dass die Ausstellung nach Marburg gekommen ist, beruht auf einer Begegnung Kariona Kupkas vom Fachdienst Kultur der Stadt Marburg mit Dégremont bei einem Besuch in Paris, wo die Idee geboren wurde, eine Auswahl von 60 Exponaten im Marburger Rathaus zu zeigen, wo sie nun bis zum 26. April zu sehen sind.
„Kunst ist dabei eine besondere Waffe“, sagte die französische Generalkonsulin Sophie Laszlo in ihrem Grußwort. Die Künstlerinnen und Künstler versuchten mit ihren Werken, den Hass zu verstehen, der hinter dem Anschlag steht. „Und diesen Hass müssen wir auf allen Ebenen bekämpfen, denn er stellt die Zivilgesellschaft in Frage.“ Dass die Ausstellung in Marburg gezeigt wird, sei ein großes Zeichen von Solidarität, lobte sie.
Hauptredner der Eröffnung war der Wissenschaftler und Publizist Professor Dr. Alfred Grosser. Grosser, Jahrgang 1925, musste als Kind mit seiner jüdischen Familie aus Deutschland fliehen und setzt sich schon seit den 50er Jahren für die deutsch-französische Aussöhnung und ein freiheitlich-tolerantes Europa ein. Er sprach, moderiert vom Leiter des Fachdienstes Kultur Richard Laufner, zum Thema „Mensch werden lassen - trotz Verzweiflung an der heutigen Welt“.
Man dürfe Menschen nicht abwertend „die“ nennen, auch nicht im Zusammenhang mit islamistischem Terror, mahnte Grosser. Die meisten Muslime, in Frankreich wie in Deutschland, seien schließlich friedliche Bürgerinnen und Bürger. Und die europäischen Opfer seien in ihrer Zahl im Vergleich wenig, denn weltweit seien es vor allem Muslime, die ihm zum Opfer fallen. Dass junge Leute sich in französischen Vorstädten radikalisieren, liegt nach Auffassung Grossers an Diskriminierung junger Muslime, die nicht, gleichwohl sie die Staatsbürgerschaft haben, als Franzosen angesehen werden. „Deshalb suchen sie eine neue Identität. Nicht die Islamisierung war zuerst da, sondern die Diskriminierung“.







Grosser forderte differenziertes Denken in der Gesellschaft, um Rechtspopulistinnen und Rechtspopulisten nicht in die Hände zu spielen, die den Islam an sich als Bedrohung verkaufen. Menschen auf der Flucht müsse geholfen werden, gleich welcher Religionsgemeinschaft sie angehören. In diesem Zusammenhang lobte er ausdrücklich die Flüchtlingspolitik Deutschlands. Zum Abschluss der Eröffnungsveranstaltung trug sich der prominente Gast unter den Augen von Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies und Stadträtin Weinbach ins Goldene Buch der Universitätsstadt Marburg ein.
Geöffnet ist die Ausstellung bis zum 26. April täglich von 11 bis 18 Uhr – an Tagen mit Veranstaltung bis 19 Uhr. Ergänzend findet ein Rahmenprogramm mit folgenden Veranstaltungen statt: Am Montag, 10. April, referiert der Sozialpsychologe Professor Dr. Ulrich Wagner von der Marburger Philipps-Universität um 19 Uhr im Lomonossow-Keller zu „Ba-Ta-Clan, Breitscheidplatz und wir: Auswirkungen der Terror-Bedrohung“. Am Mittwoch, 12. April, spricht die Politologin und Islamwissenschaftlerin Dr. Julia Emig vom Hessischen Landesamt für Verfassungsschutz zu „Salafismus - Bedrohungslage in Deutschland“, ebenfalls um 19 Uhr und ebenfalls im Lomonossow-Keller.
Das nächste Erzählcafé, organisiert vom Ausländerbeirat und vom Projekt „Mosaiksteine“, widmet sich am Dienstag, 18. April, dem Thema „Toleranz im Alltag - hat sich unser täglicher Umgang durch die Attentate geändert?“ und am Donnerstag, 20. April, stellt Professor Dr. Rachid Ouaissa vom Centrum für Nah- und Mitteloststudien die Frage „Fördert die westliche Politik im Nahen Osten den islamistischen Terrorismus?“ – beide Veranstaltungen finden ebenfalls um 19 Uhr im Lomonossow-Keller statt.
Am Montag, 24. April, organisiert das Zentrum für Friedens- und Konfliktforschung ein Gespräch zu „Religionen, Toleranz und Gewalt – in Schriften, Geschichte und Gegenwart“ im historischen Rathaussaal (19 Uhr). Die Religionswissenschaftlerin Edibe Hertel aus Fulda spricht am Dienstag, 25. April, um 19.30 Uhr im Jüdischen Kulturzentrum über „Die Situation der Christen in Syrien, im Irak und in der Türkei“.
Weitere Begleitveranstaltungen außerhalb des Ausstellungzeitraums sind die Vorträge von Dr. Kamal Sido, früherer Vorstand des Ausländerbeirats der Stadt Marburg, über „Die Kämpfer im Zeichen des Kreuzes“ (Donnerstag, 6. April, 19 Uhr, historischer Rathaussaal) und von Bischof Anba Damian (koptischer Generalbischof) über „Die Märtyrerkirche in Ägypten: die Kopten“ (Mittwoch, 3. Mai, 19.30 Uhr, Erwin-Piscator-Haus) sowie der Auftritt von „Les Yeux d‘la Tête“ aus Paris mit einer BA-TA-CLAN-Bilderschau im Foyer des Kulturzentrums KFZ am Dienstag, 9. Mai, um 20.30 Uhr.
In Zusammenarbeit mit Horst Lehnert, Studiendirektor a. D. der Blindenstudienanstalt, organisiert der Fachdienst Kultur am Mittwoch, 19. April, eine Führung für Menschen mit Sehbehinderung und am Freitag, 21. April eine Führung für Blinde. Treffpunkt ist jeweils um 16 Uhr am Eingang des Rathauses, Markt 1, 35037 Marburg. Für Rückfragen steht der Fachdienst Kultur unter (06421) 201-1544 zur Verfügung.
Alle Informationen zur Ausstellung und zum Rahmenprogramm sowie den Ausstellungskatalog gibt es auf der Homepage der Universitätsstadt Marburg unter www.marburg.de/ba-ta-clan.