Ein vielstimmiger Chor, ein Gast aus Berlin, eine Latin-Band und Grundschulkinder aus Marburg haben gemeinsam mit Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies den Neujahrsempfang 2021 der Universitätsstadt gestaltet. Eine so bunte Mischung an Akteur*innen im Erwin-Piscator-Haus – das geht derzeit nur digital. Auch das Publikum war beim Neujahrsempfang 2021 ausschließlich online zugegen. „Persönlich“ mit OB Spies auftreten durfte nur ein kleiner Roboter.
Ein neues Bühnenbild, Stehtische im Saal, Musik zur Eröffnung. Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies betritt – offiziell mit Amtskette – die Bühne und begrüßt zum traditionellen Neujahrsempfang der Stadt. Die Gäste kann er, anders als sonst, nicht sehen: Sie sitzen zuhause vor den Bildschirmen, hören die Neujahrsrede vom heimischen Wohnzimmer aus.
„In diesem Moment, vor dem leeren Saal, vermisse ich Sie alle besonders. Denn Politik lebt vom Austausch mit den Menschen in unserer Stadt“, sagt OB Spies. Digitale Treffen seien eben kein Ersatz, nicht für Mannschaftssport, nicht für gemeinsames Tanzen oder für echte Feiern. Auf der anderen Seite ist die Gästeliste zum ersten Mal nach oben offen und unbegrenzt, alle können dabei sein beim Neujahrsempfang der Stadt – das Internet kennt anders als jeder noch so große Saal keine Raumkapazitäten und Platzbeschränkungen.
© Patricia Grähling, Stadt Marburg
Statt der sonst üblichen rund 1000 geladenen Gäste im Saal sind diesmal knapp 3000 Zuschauer*innen während der Premieren-Übertragung über die Homepage und die Facebook-Seite der Stadt zugeschaltet. Und auch mehr Menschen als sonst gestalten den Abend aktiv mit, treten auf, reden, singen, informieren.
Zum Beispiel die Kinder der Jahrgangsstufe 4 der Erich-Kästner-Schule in Cappel. Sie erzählen, was ihnen in Marburg gefällt: die Natur und die Landschaft, die Einkaufsmöglichkeiten, das Rathaus. Und sie erklären, wie sie einmal wohnen wollen. Da spielt auch das Geld schon eine Rolle: „Wenn ich viel Geld habe, möchte ich in einem Haus haben. Wenn ich wenig Geld habe, geht nur eine Wohnung“, erklärt ein Mädchen nüchtern.
„Die ,Systemrelevanten‘ brauchen keinen Applaus. Sie brauchen Wohnraum!“
„Bezahlbarer Wohnraum bleibt die größte soziale Frage unserer Zeit“, sagt Spies dazu. Wohnen sei Menschenrecht. 2950 Wohnungen seien seit 2013* in Marburg entstanden – darunter gut 500 Sozialwohnungen. Weitere 1000 Wohnungen werden derzeit geplant. Sein Credo „Bauen, bauen, bauen“ wirke, der Anstieg der Mieten in Marburg sei vorerst gestoppt. Aber: „In den nächsten fünf Jahren müssen es nochmal 3000 Wohnungen werden“, betont Spies nicht nur mit Blick auf das neue Wohngebiet am Hasenkopf. Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen sollen sich ein Eigenheim in Marburg leisten können – einen Vorschlag dafür werde er dieses Jahr der Stadtverordnetenversammlung vorlegen, kündigt Spies an. „Die ,Systemrelevanten‘ brauchen keinen Applaus. Sie brauchen bezahlbaren Wohnraum!“, fasst der OB zusammen.
Klimaschutz bewegt auch die Kinder: Mülltrennung, Strom sparen und Pferde
Auch der Klimaschutz bewegt die Grundschulkinder: Elektroautos spielen in ihren Beiträgen eine große Rolle und die Mobilität mit Fahrrad und Bus – „die Busse fahren ja eh“. Eine interessante Idee außerdem: „Mit dem Pferd zur Arbeit. Denn Pferde hinterlassen keine Abgase“. Wichtig für die jüngsten Teilnehmer*innen des Empfangs zudem: Mülltrennung, Renaturierung der Lahn, Energiesparen: „Ganz oft mache ich der Mama das Licht aus“, erklärt eine Schülerin.
Die Klimakrise zu stoppen, das sind wir den Kindern verpflichtet, betont Spies. Kreative Ideen sind dazu notwendig – wie zum Beispiel der Solarenergie-generierende Straßenbelag, mit dem die Stadtwerke dieses Jahr eine Testfläche ausstatten. Und natürlich der Klima-Aktionsplan, mit dem Marburg Maßstäbe gesetzt hat. Klimaneutral bis 2030 – dieses ehrgeizige Ziel sei nur gemeinsam zu erreichen. Die Stadt hilft dabei und fördert die Bürger*innen, die mitmachen wollen – das erklärt Bürgermeister und Klimadezernent Wieland Stötzel, der sich aus seinem Büro zuschaltet. Stötzel ruft dazu auf, die Förderprogramme der Stadt zu nutzen, etwa für energetische Sanierung oder Elektrofahrräder. „Machen Sie es wie ich und fahren Sie mit dem Rad zur Arbeit. Mobilität ist ein wichtiger Baustein für mehr Klimaschutz“, so Stötzel. Mit Fahrradspuren, Radfahrampeln, mehr Fahrradparkplätzen habe Marburg schon viel getan, ergänzt Spies. Es folgt die Elektrifizierung der Stadtbusse – und die gemeinsame Verkehrswende. „3762 Bürger*innen haben bei unserer Umfrage mitgemacht und uns Ideen, Wünsche und Anregungen für Mobilität in Marburg mitgegeben“, sagt Spies. Daraus entstehe in 2021 ein umfassendes Mobilitätskonzept für Marburg, für die Menschen.
„In Marburg wird kein Kind zurückgelassen“
Zu einem Marburg der Zukunft gehört auch eine gute Kinderbetreuung. Stadträtin Dinnebier - zugeschaltet aus dem heimischen Wohnzimmer – berichtet von rund 500 neuen Krippen- und Kitaplätze in Marburg seit 2016. Keine Kita-Gebühren, bessere Bildung in den Betreuungseinrichtungen – „das war mir persönlich sehr wichtig: Chancengleichheit von Anfang an“, sagt Dinnebier. Deswegen fließe auch viel Geld in die Sanierung der Schulen, in schöne, moderne Lernorte – und in die Digitalisierung, in fast 1000 Tablet-Computer für den Unterricht: „In Marburg wird kein Kind zurückgelassen; schon gar nicht in der Krise.“
© Thomas Steinforth, Stadt Marburg
Neben dem Thema Soziales, also den Millionen Euro für Projekte gegen Einsamkeit und Armut im Alter, für Stadtpass und Ehrenamt, für das neue Altenzentrum am Richtsberg oder das bundesweit einmalige Gesundheits- und Nachbarschaftszentrum im Waldtal und vieles mehr, spricht Spies wie jedes Jahr zu Neujahr auch diesmal wieder eindringlich gegen Rassismus, Diskriminierung, Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit, die in der Stadt keinen Platz haben. „Marburg steht für Respekt, Toleranz und Miteinander. Dafür gehen bei uns 7500 Menschen auf die Straße“, so Spies.
Für das Marburg der Zukunft spielt aber auch die Gegenwart eine Rolle – und damit Corona: Das Virus ist gefährlich, betont Spies, viele Menschen haben Angehörige verloren. Der OB ruft dazu auf, die Corona-Regeln weiter einzuhalten – und spricht über Hilfe: „Unsere starke Wirtschaft hat uns sehr geholfen“, so Spies. Deshalb habe die Stadt auch der Wirtschaft helfen können, etwa mit dem Stadt-Geld im Sommer.
Und sie bietet weitere Hilfen an wie Mieterschutz, Bildungsgutscheine, iPads für Homeschooling und Taxi-Gutscheine für Senior*innen. Wichtig sei nun: „Lassen Sie sich impfen“, ruft das Stadtoberhaupt auf. „Impfungen haben uns von verheerenden Seuchen befreit. Lassen Sie uns diese Chance nicht vertun. Es ist ein Geschenk und eine Verpflichtung.“ Dass Marburg einer der Orte sei, an denen der Covid-Impfstoff – ganz in der Tradition Emil-von-Behrings - produziert wird, sei das Verdienst der klugen Wirtschaftspolitik seiner Amtsvorgänger, betont Spies.
Marburg gemeinsam erfinden
Tradition und Geschichte, Gegenwart und die Stadt der Zukunft – all das spielt eine entscheidende Rolle beim Stadtjubiläum „Marburg800“ 2022. Dazu gibt es dieses Jahr die Veranstaltungsreihe „Marburg800 weiter denken“. Alle Bürger*innen sind zum Mitmachen und Mitdenken eingeladen. „Gemeinsam mit Ihnen wollen wir eine langfristige Zukunftsvision für ein gutes Leben für alle in der Stadt, mit der Stadt und über sie hinaus entwickeln“, fasst Spies zusammen. Passend tritt hat Poetry-Slammer Lars Ruppel – online – auf und spricht über Marburg, darüber, wie man sich fühlt, wenn man in Marburg lebt; über Menschen, „die mehr als die Vorwahl verbindet“, über Menschen, die Marburg erfinden; „Marburg ist alles, was war plus alles was wird, verbunden durch das, was jetzt gerade passiert, multipliziert mit all dem, was du für diese Stadt willst“ und „Marburg lebt als Idee, von vielen erdacht. Diese Stadt ist all das, was ihr daraus macht!“, so der (Ex)-Marburger, der seine Zeilen aus Berlin schickt.
Was die Kinder der Erich-Kästner-Schule in Marburg wollen, wissen sie schon: einen Streichelzoo zum Beispiel, eine Trampolinhalle, niedrigere Bürgersteige für Rollifahrer, mehr Spielzeugläden, moderne Schulen mit Tabletts statt Tafelkreide, dass der Klimawandel vorbei ist und „kein Corona mehr“ stehen oben auf der Wunschliste für die Stadt der Zukunft.
„Wie sieht die Zukunft aus?“ - das fragt OB Spies auch den Roboter Pepper, der zu guter Letzt auf die Bühne im EPH rollt. „Wie wir sie uns ausmalen, Herr Oberbürgermeister! Wir alle erfinden Marburg gemeinsam immer wieder neu!“, antwortet Pepper, der gemeinsam mit OB Spies schließlich die Zuschauer*innen des Online-Neujahrsempfangs verabschiedet.
Kulturelles Rahmenprogramm mit Musik aus dem Wohnzimmer
Wie in jedem Jahr haben auch in der digitalen Variante des Neujahrsempfangs zahlreiche Kulturschaffende das Programm mit OB Spies zusammen gestaltet.
Die Marburger Band Yerba Colorá hat einen eigens komponierten Song über Hoffnung und die Zeit nach Corona aufgenommen – professionell im heimischen Studio.
Gleich aus mehreren heimischen Wohnzimmern hat sich der Chor Klaudy Days unter Leitung von Klaudia Hebbelmann eingebracht: Sie sangen einzeln, schnitten Bild und Ton zusammen und schufen so ein kreatives Chorerlebnis. Premiere feierte ihre Version von Stings „Shape of my Heart“, ihre Version von „Himmel auf“ von Silbermond sorgte auch digital für einen Gänsehautmoment.
Aufgezeichnet wurden die Beiträge des Neujahrsempfangs im Vorfeld. So konnten die Stadt, die Firma Flashlight und die Kulturschaffenden die Einhaltung der Corona-Regelungen garantieren und zugleich zu einem kreativen und abwechslungsreichen Abendprogramm einladen.
Eine weitere Neuerung des digitalen Empfangs: OB Spies kommt nicht erst nach seiner Rede mit Gästen ins Gespräch. Er chattet bereits während der Ausstrahlung mit Marburger*innen über die eingerichtete Chatfunktion auf der Homepage und der Facebook-Seite der Stadt, beantwortet Fragen und nimmt Anregungen auf. Dem Publikum gefällt’s, der virtuelle Applaus für die Veranstaltung ist groß. Dass der Empfang doch bitte auch nächstes Jahr für alle gestreamt werden soll, kommt immer wieder im Chat. „Das machen wir“, versichert OB Spies.
Die Rede von Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies zum Nachlesen finden Sie hier.
* Korrektur: Wegen eines Übertragungsfehlers stand hier ursprünglich "in den vergangenen fünf Jahren". Bezugsjahr der InWIS-Studie aus 2013/2014 ist aber das Jahr 2013.