© Patricia Grähling, Stadt Marburg
„Was? Nur so ein kleines Stück?“ Die Frage hört die Schauspielerin mehrfach, während sie Kuchen vor dem Erwin-Piscator-Haus verteilt. Sie schneidet winzige Stücke – und verteilt sie ausschließlich an Frauen. „Tut mir leid. Sie sind eine Frau. Frauen bekommen doch kleinere Stücke vom Kuchen“, erklärt sie. So manche der Frauen mit dem kleinen Stück in der Hand schaut einen halben Meter nach links: Dort verteilt gerade ein Schauspieler unter großem Gelächter riesige Kuchenstücke. Die bekommen nur Männer. So richtige „Männerstücke“ vom Kuchen eben.
Die Erklärung dafür liefern die beiden Schauspieler*innen aber kurz darauf: „Die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen beträgt 21 Prozent“. Frauen bekommen also vom gleichen Kuchen weniger ab. Darauf haben die Stadt Marburg, die Philipps-Universität Marburg, der Landkreis Marburg-Biedenkopf sowie die Agentur für Arbeit Marburg, das Hessische Landestheater Marburg, der Kreisverband Marburg des Sozialverbands VdK Hessen-Thüringen, die Marburger Kinobetriebe und der Verdi-Bezirksfrauenrat mit der Aktion zum Equal Pay Day 2019 aufmerksam gemacht. Der internationale Aktionstag für Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern fand am Montag, 18. März 2019, statt. Denn im Prinzip haben Frauen durch den Lohnunterschied bis zu diesem Tag mit ihrer Arbeit in diesem Jahr noch kein Geld verdient.
Die Organisator*innen hatten zum Aktionstag alle Interessierten zu der Performance am Erwin-Piscator-Haus eingeladen. Passant*innen hielten, um sich ein Kuchenstück zu holen und sich über die Aktion zu informieren. Im Anschluss an die Performance wurde im Filmkunsttheater Capitol der Spielfilm „Die Berufung. Ihr Kampf für Gerechtigkeit“ gezeigt. Der Film spielt in den 1950er Jahren in den USA und handelt von der Juristin Ruth Bader Ginsburg. Bader Ginsburg setzte sich in einem Präzedenzfall dafür ein, dass Frauen auch Richterinnen oder Polizistinnen werden können.
Hintergrund:
Der Equal Pay Day macht auf Benachteiligungen von Frauen im Erwerbsleben, insbesondere auf die durchschnittlich geringere Entlohnung von Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit, aufmerksam. Wann der Equal Pay Day stattfindet, ist von der statistischen Lohnlücke zwischen den Geschlechtern abhängig. In Deutschland verdienten Frauen laut Statistischem Bundesamt 2018 etwa 21 Prozent weniger als Männer. Die 21 Prozent Lohnunterschied entsprechen 77 Tagen. Das heißt: Frauen arbeiten im Durchschnitt 77 Tage unentgeltlich bis zum 18. März 2019, während ihre männlichen Kollegen im Durchschnitt bereits ab dem 1. Januar 2019 entlohnt werden. Dieser Lohnunterschied zeigt sich auch in deutlich niedrigeren Renten von Frauen.
Im europäischen Vergleich ist dieser Wert sehr hoch. Laut dem „Report on Equality between Women and Men in the EU“ von 2018 verdienten Frauen in der Europäischen Union durchschnittlich 16 Prozent weniger als Männer. Mit seiner Lohnlücke von 21 Prozent belegt Deutschland unter den 28 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union den drittletzten Platz.
Die Ursachen für den Lohnunterschied sind vielfältig: Frauen unterbrechen oder reduzieren die Arbeitszeit häufig zugunsten ihrer Familien. Sie besetzen immer noch weniger häufig Führungspositionen. Auch arbeiten Frauen oft in Berufen, in denen schlechter bezahlt wird. Unter Berücksichtigung all dieser Gründe bleibt ein sogenannter bereinigter Lohnunterschied von sechs Prozent bestehen, der auf der reinen Benachteiligung aufgrund des Geschlechtes beruht.
Entgeltgleichheit ist mehr als „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“. Das betonte die diesjährige Kampagne zum Equal Pay Day mit dem Motto „WERTSACHE Arbeit“. Gleicher Lohn muss auch für unterschiedliche aber gleichwertige Tätigkeiten gezahlt werden. Zum Beispiel haben Ingenieure und Lehrkräfte im Primar- und Vorschulbereich vergleichbare Belastungen und Anforderungen, wie der „Comparable Worth“-Index der Hans-Böckler-Stiftung zeigt. Jedoch unterscheiden sich die durchschnittlichen Einkommen der beiden Gruppen um bis zu 41 Prozent. Schließlich bedarf es nicht nur einer Neubewertung von schlechter bezahlten Berufen und Branchen, sondern auch einer Bewertung der häuslichen Arbeit, von Pflege- und Sorgetätigkeiten.