© Stadt MarburgDer seit langem ungenutzte und leerstehende Lokschuppen im Nordviertel am Ortenberg ist als Kulturdenkmal eingetragen und befindet sich in einem baulich sehr schlechten Zustand. Aufgrund der unterlassenen Instandhaltung seitens des Voreigentümers waren große Teilbereiche des Daches bereits vor dem Kauf eingestürzt, so dass das Gebäude nach der Übernahme durch die städtische Wohnungsbaugesellschaft als Erstes komplett abgesperrt werden musste.
Im vergangenen Jahr war zudem der kontrollierte Abbau eines begrenzten, unmittelbar einsturzgefährdeten Teilbereiches des Daches notwendig geworden, um wesentlich größere Schäden durch einen unkontrollierten Teileinsturz zu verhindern. Die Dacheindeckung wurde abgenommen und die freiliegende Dachkonstruktion vor weiterer Verwitterung geschützt. Es besteht dringend Handlungsbedarf.
Nur wenn Nutzung, Architektur und Denkmalschutz passen, kommen Angebote eine Runde weiter
Um die inhaltliche Ausrichtung der eingereichten Konzepte als Faktor bei der Auswahl eines möglichen Käufers am stärksten gewichten zu können und nicht aufgrund des preislichen Höchstangebotes veräußern zu müssen, schlägt der Marburger Magistrat dem Bau- und Planungsausschuss als Verfahren die Konzeptausschreibung vor.
Im Rahmen des Konzeptausschreibungsverfahrens werden die eingegangenen Angebote nach Kriterien wie Denkmalschutz, Architektur, Gestaltung, städtebaulichem Konzept und Art der Nutzung, nach Wirtschaftlichkeit, Realisierungszeitraum und energetischem Konzept bewertet, erst dann kommt der Angebotspreis hinzu.
Das Ausschreibungsverfahren durchläuft zwei Stufen. In der ersten Stufe soll der Verkaufspreis nicht Teil der Bewertung sein. Nur die Angebote, die hinsichtlich Denkmalschutz und Architektur, städtebaulichem Konzept, der vorgesehenen Nutzungen, der Wirtschaftlichkeit, des Realisierungszeitraums und des energetischen Konzepts überzeugen, gelangen überhaupt in die zweite Runde. In dieser zweiten Stufe wird dann auch der Kaufpreis in die Bewertung einbezogen.
Laut Beschluss der Marburger Stadtverordnetenversammlung ist ein Nutzungskonzept zu entwickeln, das eine passende Ergänzung insbesondere zu den bestehenden soziokulturellen Einrichtungen darstellt und nicht zu einer Verdrängung der vorhandenen Nutzungen auf dem Gelände führt. Die Identität und das Image des Standortes sollen erhalten werden.
Das Ausschreibungsverfahren soll am 15. Dezember 2016 begonnen und mit der Entscheidung durch die Stadtverordnetenversammlung voraussichtlich im Juni 2017 abgeschlossen werden. Die Frist für die Abgabe der Angebote erstreckt sich vom 15. Dezember 2016 bis zum 31. März 2017. Dass der Lokschuppen zum Erhalt der Bausubstanz veräußert werden soll, steht seit der Magistratsvorlage im September fest. Somit hat sich für mögliche Interessenten bis zur Abgabe eines Konzepts ein Zeitraum von insgesamt rund sechs Monaten ergeben.
Zum Hintergrund: Der Lokschuppen in Marburg ist Bestandteil des Waggonhallenareals, das mit verschiedenen Werkstatt- und Betriebsgebäuden in seiner Gesamtheit das ehemalige Bahnbetriebswerk darstellt. Die historischen Backsteinbauten der alten Bahnbetriebsgebäude prägen den Bereich und verleihen ihm seinen besonderen Charakter. Und das soll auch so bleiben.
Mit seiner segmentbogenförmigen Grundfläche und seiner halbringförmigen Ansicht markiert der Lokschuppen das Areal und schafft Identität für das gesamte Bahnhofsquartier. Die Bestandsgebäude auf dem Gelände sind mehrheitlich als Einzeldenkmäler eingetragen und die Nutzungen durch die Bahn seit langem aufgegeben. Teilweise stehen die Gebäude leer, in den anderen noch funktionsfähigen Gebäuden haben sich überwiegend kulturelle Einrichtungen angesiedelt, deren Angebot heute ein fester Bestandteil der Marburger Kulturszene ist. Das Gebäude der ehemaligen Universitätsreithalle wurde 2013 durch den Deutschen Alpenverein (DAV) zur mittlerweile überregional erfolgreichen Kletterhalle umgebaut. Das individuelle und identitätsstiftende Ambiente des Umfeldes sowie die Lage in Bahnhofsnähe sind wichtige Standortfaktoren.
An den Rändern des Geländes hatten sich in der Vergangenheit robuste Nutzungsbausteine, wie ein Heizwerk und eine Wäscherei, etabliert. Jenseits der Bahntrassen in westlicher Richtung, bis zum Krummbogen, sind verschiedene Gewerbe-, Lager- und Dienstleistungsbetriebe anzutreffen.
Im Dezember 2011 hatte die Stadt bzw. ihr Sanierungsträger GeWoBau das Waggonhallenareal samt Lokschuppen mit Städtebaufördermitteln von der aurelis GmbH erworben. Ziel des Grunderwerbs war es, das Areal als Kulturstandort zu erhalten und zu stärken sowie die vorhandenen städtebaulichen Missstände und Mängel, wie fehlende Grün- und Erholungsflächen im Sanierungsgebiet, den Sanierungsstau der ehemaligen Bahngebäude, die ungeordnete Nutzung des Freiraums, die fehlende fußläufige Anbindung an den Bahnhof und die Innenstadt sowie die erheblichen funktionalen, baulichen und gestalterischen Mängel im Freiraum zu beheben.
Damit auch der Lokschuppen in Zukunft wieder einer Nutzung zugeführt werden kann, soll er jetzt zum Verkauf ausgeschrieben werden. Die Ziele gehen ins Bewertungsverfahren des Verfahrens ein. Die Interessenten erhalten die Möglichkeit, Mitte Januar 2017 im Rahmen eines Kolloquiums Rückfragen zu der Ausschreibung und ihrer Angebotserarbeitung zu stellen
Beteiligung im Auswahlgremium, Vorschlag ans Stadtparlament
Die Bewertung der Angebote soll durch ein Beteiligungsverfahren mittels Auswahlgremium erfolgen, dem Vertreterinnen und Vertreter aus Magistrat, allen Fraktionen der Stadtverordnetenversammlung, des Denkmalbeirates, des Beirates für Stadtgestaltung, des Hessischen Landesamtes für Denkmalpflege, aus der Stadtverwaltung und den Einrichtungen des Waggonhallenareals angehören.
Im Ausschreibungsverfahren sollen zunächst nicht von vorneherein Nutzungsarten oder städtebauliche Optionen ausgeschlossen werden. Bei der gemeinsamen Bewertung sind jedoch die städtebaulichen und planungsrechtlichen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen. Der Vorschlag wird der Stadtverordnetenversammlung vorgelegt, die letztlich über eine Vergabe entscheidet.© Stadt Marburg
Mit der Entwidmung des Teilbereiches des Bahn-Betriebsgeländes gelten für das Areal die Vorschriften des Baugesetzbuches und der Baunutzungsverordnung. Aufgrund der Tatsache, dass sich das Gebiet innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteiles befindet, erfolgt die planungsrechtliche Beurteilung gemäß § 34 BauGB.
Als Voraussetzung für die Umsetzung von Vorhaben ist ggf. die Änderung des Planungsrechtes durch eine verbindliche Bauleitplanung (Bebauungsplan) notwendig und vom Vorhabenträger zu finanzieren.
Der Bau- und Planungsausschuss soll in seiner nächsten Sitzung den weiteren Ablauf der Ausschreibung beschließen.