Für die Prüfung hat der Hessische Rechnungshof die Haushaltstrukturen der sieben kreisangehörigen Städte über 50.000 Einwohner/innen in Hessen verglichen – neben Marburg sind das Bad Homburg, Fulda, Gießen, Hanau, Rüsselsheim und Wetzlar. Geprüft hat der Rechnungshof die Jahre 2011 bis 2015 – quasi die letzte Legislaturperiode bis zur jüngsten Kommunalwahl. Seit wenigen Wochen liegt der knapp 150 Seiten umfassende Bericht auf dem Tisch. Er vergleicht den Ist-Zustand der so genannten Sonderstatusstädte und gibt Empfehlungen, wie sie wirtschaftlicher haushalten könnten.
„Die Haushaltslage in Marburg ist stabil“, fasst Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies das Fazit der Prüfung zusammen. „Dass wir überdurchschnittlich viel für die Lebensqualität unserer Bürgerinnen und Bürger ausgeben, ist von uns ausdrücklich so gewollt. Der große Erfolg gerade unserer sozialen Einrichtungen für das gesellschaftliche Klima in der Universitätsstadt gibt uns für die politischen Schwerpunkte, die wir setzen, Recht“. Dort Kürzungen in Millionenhöhe vorzunehmen, wie vom Landesrechnungshof empfohlen, weisen der Oberbürgermeister und der Magistrat der Stadt ausdrücklich zurück.
Einen absoluten Spitzenplatz im Städtevergleich nimmt Marburg bei dem Aufwand für die Jugendhilfe ein (siehe Grafik). Insgesamt 17,4 Millionen Euro flossen 2015 in die Jugendhilfe. Das sind statistisch gesehen 230 Euro pro Einwohner/in – und 23 Prozent mehr als der Mittelwert der sieben Städte (178 Euro pro Einwohner/in). Im Prüfungszeitraum 2011 bis 2015 stiegen die Aufwendungen der Stadt Marburg für die Jugendhilfe um 3,4 Millionen Euro. „Das ist mit Abstand der größte Anstieg im Vergleich zu den anderen Sonderstatusstädten“, erklärt Oberbürgermeister Spies. Insbesondere für Erziehungshilfen, Jugendarbeit und Jugendförderung sowie freiwillige Zuschüssen gibt Marburg teilweise ein Mehrfaches der Beträge, die die anderen Städte ausgeben.
Spitzenplatz bei Jugendhilfe und sozialen Leistungen
Auch bei den sozialen Leistungen belegt Marburg mit einem Aufwand von 90 Euro im Jahr 2015 pro Einwohner/in die Spitzenposition im Ranking der Sonderstatusstädte. Das ist drei Mal so viel wie der Mittelwert. Besonders die Leistungen der sozialen Verwaltung, zu der das Engagement für Flüchtlinge und Einrichtungen wie das Beratungszentrum mit integriertem Pflegestützpunkt für Senioren (BiP) gehören, schlagen hier zu Buche. Dazu kommen die Unterstützung für Menschen mit Behinderung, die Armuts- und Obdachlosenbekämpfung oder der Marburger Stadtpass. Auch bei den Zuschüssen für die Seniorenwohlfahrtspflege hat Marburg einen Spitzenplatz.
Weiter geht es mit Sport, Theater, Volkshochschule oder den Zuschüssen für die Musikschulen: Hier liegt Marburg mit seinen Aufwendungen zwischen 14 und 90 Prozent über dem Mittel der Vergleichsstädte. Im Bereich Museen, Wissenschaft, Heimat und Kultur, den der Rechnungshof für den Vergleich in einer Kategorie zusammengefasst hat, steht Marburg im Jahr 2015 mit 18 Euro pro Einwohner/in deutlich unter dem Mittelwert von 28 Euro. „Dafür gibt es mehrere Gründe“, erklärt der Oberbürgermeister: Zum einen hat die Universitätsstadt Marburg kein eigenes Museum, die zahlreichen Museen der Stadt sind entweder in Trägerschaft der Universität oder privater Vereine. Auf der anderen Seite flossen im Vergleichsjahr so gut wie keine laufenden Aufwendungen des Erwin-Piscator-Hauses in die Prüfung ein, das zu dem Zeitpunkt grundsaniert wurde. Das hat sich bereits seit Inbetriebnahme des EPH im letzten Jahr geändert und wird den Vergleichswert der Kulturförderung in Marburg weiter deutlich erhöhen, wenn die Abschreibung eintritt.
Höchst aufschlussreich ist der Städtevergleich in Sachen Schulträgerschaft. Wie wirtschaftlich die sieben Städte in der Unterhaltung und im Betrieb ihrer Schulen sind, hat der Landesrechnungshof anhand der Kategorien Schulflächen, Schulverwaltung und Sekretariat, Reinigung, Hausmeister, Energiekosten sowie Bewirtschaftungs- und Gebäudekosten analysiert. Im Marburger Haushalt für 2015 stehen dort 14,5 Millionen Euro Aufwand. Das sind 197 Euro pro Einwohner/in und entspricht dem Mittelwert des Städtevergleichs. Anders sieht die Rechnung aus, wenn man die Summe auf die knapp 11.500 Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen umlegt, die die Marburger Schulen besuchen. Hier liegt die Stadt mit ihrem Pro-Kopf-Aufwand von 1265 Euro gut 15 Prozent über dem Mittelwert der Vergleichsstädte.
Viel Fläche und städtische Reinigung in den Schulen
Gründe für den überdurchschnittlich hohen Aufwand für die Schulen gibt es mehrere. Zum einen sind die Schulflächen pro Kopf in Marburg höher. „Insbesondere einzelne Schulen, die im Vergleich zur Schülerzahl mit großzügigen Gebäudeflächen ausgestattet sind, verschieben den Durchschnitt“, erklärt Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies. Liegt der Mittelwert der sieben Städte bei 9,1 Quadratmeter pro Schüler/in – die Sporthallen und Kantinen an den Schulen nicht mitgerechnet –, sind es in Marburg im Schnitt schon 10,6 Quadratmeter pro Kopf, die zu unterhalten sind.
Spürbar über dem hessischen Mittelwert liegen in Marburgs Schulen auch die Reinigungskosten – „aufgrund einer politischen Entscheidung“, so Spies. In Marburg putzt die Stadt die Schulen selbst. Die Stadtverordnetenversammlung hat eine Quote von mindestens 80 Prozent eigener Kräfte bei der Schulreinigung vorgegeben – aus Qualitätsgründen. Demgegenüber spart Marburg überdurchschnittlich an Verwaltungskräften und Energiekosten in den Schulen.
Und noch ein Faktor treibt die Schulkosten in die Höhe: Knapp 4400 Schülerinnen und Schüler kommen aus dem Umland nach Marburg zum Schulbesuch. Das sind rund 38 Prozent der gesamten Schülerschaft. Rein rechnerisch wendet die Stadt für sie gut 3,8 Millionen Euro an Schulbetriebskosten auf. Die Gastschulbeiträge, die der zuständige Schulträger für die Beschulung der auswärtigen Mädchen und Jungen an die Universitätsstadt überweist, betragen aber nur knapp 2,2 Millionen Euro. „Die Stadt nimmt nicht nur die Schulträgeraufgaben überdurchschnittlich wahr, sondern hat auch noch einen Verlust von gut 1,6 Millionen durch die zu niedrigen Gastschulbeiträge“, sagt Dr. Thomas Spies. Um das auszugleichen, müsste der Landkreis Marburg-Biedenkopf, der dafür zuständig ist, die Beiträge freiwillig erhöhen oder das Land die Anpassung gesetzlich regeln.
Fazit OB Spies: Engagement für mehr Lebensqualität
Auf über zehn Millionen Euro beziffert der Landesrechnungshof die Mehrbelastung der Universitätsstadt Marburg im Vergleich zum Mittelwert der Sonderstatusstädte in mehreren Bereichen – so zum Beispiel in der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe (3,9 Millionen Euro), bei den sozialen Leistungen (2,9 Millionen Euro), der Kultur (0,8 Millionen Euro), den Volkshochschulen und Büchereien (0,5 Millionen Euro), der Sportförderung (0,3 Millionen Euro) oder im Straßen, Bauen und Wohnen (insgesamt 2,7 Millionen Euro). „Diese Zahlen können keinesfalls mit Einsparpotenzial gleichgesetzt werden“, stellt Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies klar, „stattdessen spiegeln sie das besondere Engagement der Stadt für ihre Bürgerinnen und Bürger wider“. Die Lebensqualität einer Stadt messe sich nicht in den geringsten Kosten, sondern am ausgewogenen Verhältnis von Aufwand, sozialer Qualität und Leistung. „Trotzdem bietet der Bericht des Landesrechnungshofs vor allem in den Details wichtige Hinweise und Anregungen dafür, wie die Stadt ihre Ressourcen künftig strategisch noch besser für die Bürgerinnen und Bürger in Marburg einsetzen kann“, fasst Thomas Spies zusammen.