© Patricia Grähling, Stadt Marburg
Dunkelheit und Stille haben sich über die Synagogen-Gedenkstätte im Herzen der Stadt gesenkt, durchbrochen von Licht, von Musik, von emotionalen, schriftlich festgehaltenen Gedanken in Zettelkästen am Boden, von Gebeten und von eindrücklichen Reden – sie alle erinnerten nicht nur an die jüdischen Bürger*innen der Stadt Marburg, die Opfer nationalsozialistischer Gewalt wurden. Sie alle zeigten auf, dass Nachbarinnen und Freunde wegen ihres Glaubens auch heute noch Antisemitismus ausgesetzt sind; dass sie heute wieder mit mehr Angst leben müssen; dass alle gefordert sind, gemeinsam dagegen zu stehen.
„Antisemitismus war schon vor 1938 und nach 1945 ein Teil unserer Gesellschaft. Wir hofften, dass es vorbei ist. Aber es ist nicht vorbei. Es kriecht wieder hervor: die Perfidie, die Boshaftigkeit und Ekelhaftigkeit des Antisemitismus“, sagte Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies. „In Deutschland haben wieder Menschen wegen ihrer Glaubenszugehörigkeit Angst.“ Die Gemeinschaft müsse sich schützen täglich an die Seite aller Menschen stellen, die Angst haben und sich bedroht fühlen; an die Seite derjenigen, die liebe Menschen verloren haben oder in Sorge um sie sind. „Sie alle verdienen unser Mitgefühl und unsere Anteilnahme.“
Spies kündigte außerdem an: „Wir werden nicht hinnehmen, wenn Menschen jüdischen Glaubens belästigt, beleidigt, bedroht oder gar angegriffen werden.“ Es sei die Aufgabe aller, sich gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zu stellen und Rechtsextremismus entgegenzutreten. Es sei wichtig, sich immer wieder mit dem Auseinanderzusetzen, was vor und nach 1938 passiert ist, was am 9. November vor 85 Jahren passiert ist. „Wir stehen heute gemeinsam hier, um zu gedenken, um uns zu erinnern und um allen, die heute in Sorge sind zu versichern: wir sind bei euch! Und wir sind hier, um aufzustehen, einzustehen füreinander, für unsere Demokratie, die Würde und den Schutz aller Menschen.“
© Patricia Grähling, Stadt Marburg „Es ist ein Tag der Vergegenwärtigung. Aber heute geht es auch um die Gegenwart. Heute geht es um unsere Freund*innen, die bedroht werden, unter Polizeischutz stehen und Angst haben“, so Elisabeth Mertes von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. „Es darf nicht sein, dass die Mehrheit demgegenüber gleichgültig ist. Es geht uns alle an. Wir müssen die Gleichgültigkeit bekämpfen und als Gemeinschaft zusammenhalten.“ Polina Pevzner, ebenfalls von der Gesellschaft und von der Jüdischen Gemeinde, ergänzte: „Wir wollen, dass unsere Synagoge ein offenes Haus bleibt, das alle Menschen besuchen können.“ Die Jüdische Gemeinde lade beispielsweise weiter zu Konzerten ein – nun aber leider mit Voranmeldung. „Wir stehen hier in Marburg miteinander“, betonte Pevzner. „Das Miteinander bezieht auch die muslimischen Bürger*innen ein. Wir bedanken uns bei Bilal El-Zayat und seinen Mitstreiter*innen der Islamischen Gemeinde für unseren Zusammenhalt.“
Thorsten Schmermund von der Jüdischen Gemeinde sprach im Anschluss an die mahnenden Worte die Gebete „Kadisch“ und „El male rachamim“.
Die beleuchteten Zettelkästen am Boden der Gedenkstätte füllten in diesem Jahr Schüler*innen der Alfred-Wegener-Schule Kirchhain mit ihren Gedanken. Sie befassten sich etwa mit Rechtsextremismus und damit, dass man diesen nicht wieder Erstarken lassen dürfe. Und sie befassten sich damit, warum es die Erinnerung braucht. „Damit die Opfer nicht das Gefühl bekommen, unwichtig oder vergessen zu sein“, schreibt etwa Layla. „Wir müssen aktuell als Gesellschaft gemeinsam aufpassen, dass vieles, das wir längst überwunden glaubten, nicht wieder Einzug hält und die Oberhand gewinnt“, so der Lehrer Sebastian Sack, der das Projekt auch im Namen seiner Kolleginnen Claudia Bunzel und Marie Eisenhaber von der AG „Schule ohne Rassismus“ vorstellte. Bildung sei ein zentraler Schlüssel, damit so etwas wie der Holocaust nie wieder geschehe. „Die Zitate der Schüler*innen zeigen, dass es junge Menschen gibt, die mit wachem Blick ihre Augen und Herzen öffnen und uns Hoffnung machen.“
Die Kranzniederlegung und das Gedenken wurden gerahmt von musikalischen Beiträgen des Leistungskurses Musik der Martin-Luther-Schule. Sie schlossen das offizielle Programm ab mit dem Wunsch „Let there be peace on earth“ von Sy Miller und Jill Jackson.
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