© Heike Döhn, Stadt MarburgDie Stadtschrift „Die Stadt und ihr Bahnhof. Zur Entwicklung des Schienenverkehrs und des Marburger Bahnhofsviertels“ wurde vom Fachbereich Planen, Bauen und Umwelt der Universitätsstadt Marburg herausgegeben und kostet 18 Euro. Sie ist beim Fachdienst Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Markt 8, Telefon (06421)201-1346, E-Mail oeffentlichkeitsarbeit@marburg-stadt.de und im Buchhandel erhältlich. Zudem kann die Marburger Stadtschrift MSS-Nr. 103 auf www.marburg.de unter unter Politik & Stadtgesellschaft, Marburg auf einen Blick, Rathaus-Verlag bestellt werden.
© Universitätsstadt MarburgBei der Präsentation im großen Saal des Bauamtes waren auch Autoren der Publikation, der Schriftleiter Ulrich Klein vom Freien Institut für Bauforschung und Dokumentation sowie Baudirektor Jürgen Rausch vor Ort. Insgesamt sieben Autoren haben sich in der Stadtschrift mit wissenschaftlicher Genauigkeit und Liebe zum Detail der Entwicklung des Schienenverkehrs, des Bahnhofs und des Marburger Nordviertels angenähert. Auf 398 Seiten beleuchten sie in zehn Aufsätzen verschiedene Themenbereiche, vom Eisenbahnbau im 19. Jahrhundert bis zur 2014 abgeschlossenen Erneuerung des Marburger Bahnhofs und seines Vorplatzes.
So nimmt der Historiker und Geograf Dr. Lutz Münzer die Entwicklung des Streckennetzes und der Bahnhofsanlagen in den Blick. Er schildert den Bau der 1852 fertiggestellten Main-Weser-Bahn von Frankfurt über Marburg nach Kassel und erläutert, dass Projekte für weitere wichtige Eisenbahnstrecken im Raum Marburg an der schwierigen Geländesituation scheiterten.
Wie wichtig der Universitätsstadt der Anschluss an das Schienennetz war, stellt der ehemalige Stadtarchivar Dr. Ulrich Hussong dar. Mit dem Bahnhof verbanden die Marburger die Hoffnung, Industrie anzusiedeln. Ungetrübte Freude kam in den Jahren des Eisenbahnbaus dennoch nicht auf. Denn die Standortsuche für die neue Bahnstation führte bis 1849 zu jahrelangem Streit. Die Bürger des Nordviertels warben dabei für den heutigen Standort, der entfernt vom damals bebauten Stadtgebiet lag. Die Weidenhäuser hingegen wollten den Bahnhof am Friedhof bei St. Jost errichten. „Überall hin mit dem Bahnhof, nur nicht an das Nordost-Ende der Stadt, dem Kleinsibirien unserer unmittelbaren Umgebung“, schimpften sie und warfen den Entscheidungsträgern, die sich für den kostengünstigeren und verkehrstechnisch gut gelegenen Nordviertel-Standort entschieden, „Heimlichkeiten“ vor.
© Universitätsstadt MarburgDazu passt ein Bericht, demzufolge den Verantwortlichen die Entscheidung für das Nordviertel durch die Einladung zu einem luxuriösen Mahl mit Champagner erleichtert worden sein soll – eine Begebenheit, die dem Bahnhof angeblich den Beinamen „Champagnerbahnhof“ einbrachte. Eine hübsche Anekdote, deren Wahrheitsgehalt allerdings zweifelhaft ist, wie Hussong feststellt.
Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts musste das erste Marburger Bahnhofsgebäude einem neuen Empfangsgebäude, das im Stil des Neo-Barock errichtet wurde, weichen, wie Ulrich Klein vom Freien Institut für Bauforschung und Dokumentation Marburg in der Stadtschrift erläutert. Im Zweiten Weltkrieg wurde dieses Bahnhofsgebäude stark beschädigt und erst 1956 – in veränderter Form – wieder in Betrieb genommen.
In den 1990er Jahren bot der Bahnhof ein trauriges Bild. Jürgen Rausch, Baudirektor der Stadt Marburg, berichtet, dass es eines gemeinsamen Kraftaktes der Stadt, der Deutschen Bahn und weiterer Institutionen bedurfte, um die Situation zu verändern. Mit dem Rückgang der Bedeutung des Schienenverkehrs hatte sich der Zustand des Marburger Hauptbahnhofes bereits seit den 1970er Jahren verschlechtert. Die Stadtverordnetenversammlung entschied sich 1997 dazu, den Bahnhofsvorplatz zu erneuern. Der Weg war weit. Doch 2006 kam es zum Bahnhofsentwicklungsvertrag, der den barrierefreien Ausbau des Bahnhofs durch die Bahn und die Umstrukturierung des Bahnhofsvorplatzes durch die Stadt zum Ziel hatte.
Anhand vieler Fotos erläutern Jürgen Rausch und Roland Meuschke, Bahnhofsmanagement-Leiter der Deutschen Bahn, die Bauarbeiten am Bahnhof und dem Vorplatz, die 2009 begannen und bis Ende 2014 dauerten. Der Architekt Professor Wolfgang Schulze ergänzt stadtplanerische Aspekte, die für das Projekt wichtig waren. Insgesamt wurden in die Sanierung des Bahnhofs, den Umbau der Bahnanlagen und die Neugestaltung des Bahnhofsumfeldes 30 Millionen Euro investiert, davon elf Millionen in den Vorplatz samt umliegender Verkehrsführung.
Im Mai 2015 weihten die Marburgerinnen und Marburger ihren Bahnhof und den Vorplatz mit einem Fest ein – nicht ahnend, dass sie im August erneut Grund zum Feiern haben würden. Denn da kürte der Verein Allianz pro Schiene den Marburger Bahnhof zum „Bahnhof des Jahres 2015“. Als „stille Alltagsschönheit“ und „neue Heimstätte intelligenter Mobilität“, der die Stadt „einen großzügigen Bahnhofsvorplatz vor die Füße gezaubert hat“, lobte die Jury das Projekt.
Abgeschlossen ist das Kapitel Bahnanlagen in Marburg damit aber nicht. So richtet Manfred Schmidt, Vorsitzender des Vereins Kulturzentrum Waggonhalle, im letzten Aufsatz der Stadtschrift den Blick auf das alte Waggonhallen-Areal, dessen künftige Gestaltung und Nutzung derzeit diskutiert werden.