© Universitätsstadt MarburgRund 200 Marburgerinnen und Marburger kamen auf Einladung der Stadt in den Kaufmännischen Schulen zusammen, um sich zu informieren, zu diskutieren, auszutauschen und ihre Meinung und Ideen einzubringen.
© Universitätsstadt Marburg„Unser aller Ziel ist, dass das Grüner Wehr auch in 100 Jahren steht, denkmalgeschützt und stadtästhetisch so schön wie es heute ist und wir dabei so naturerhaltend wie nur möglich vorgehen“, so Spies zur Sanierung. Der Magistrat hatte im Herbst 2017 die Planung unterbrochen, um die Bürgerinnen und Bürger zu beteiligen. Mit dem Workshop jetzt wolle man deshalb über den Zustand des Wehres und die bisherigen Überlegungen, fachliche Vorgaben und rechtliche Rahmenbedingungen sowie die bisherige Entwurfsplanung informieren. „Wir werden heute über die Vorschläge gemeinsam sprechen und schauen wie wir sie weiterentwickeln und verbessern können“, hatte der OB die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zur Veranstaltung begrüßt. Im zweiten Teil des Workshops wurden die Informationen entsprechend diskutiert und Anregungen gesammelt. Diese sollen jetzt in eine Weiterentwicklung der Planung einfließen.
© Universitätsstadt MarburgDie Entwurfsvorschläge vom August 2017 stellte am Samstag Dirk Meyer für das Planungsbüro der KLT-Consult GmbH vor. Meyer bezog sich in seinen Erläuterungen auf das Gutachten zum Wehr aus dem Jahr 2008 sowie vorausgehende Gutachten und Tauchuntersuchungen, die zurück bis in die 60er Jahre reichen. Das Wehr steht laut Meyer auf Kies und ist auf Holzpfählen gegründet. Über die Jahre hat das Wasser das Feinmaterial aus den Fugen des vor rund 500 Jahren errichteten Wehres gespült. „Wasser dringt in den Baukörper ein“, erklärte Meyer. Dadurch gerate das aus Blocksteinen gebaute Wehr insgesamt in Bewegung und© Universitätsstadt Marburg sei instabil. Auch die Wehrkrone habe einen Durchhänger. Hinzu komme eine ungleichmäßige Senkung im Untergrund.
Weil das Wehr vom Fluß langsam auf der Kiesschicht verschoben werde, sei es erforderlich, es durch zwei Spundwände tiefer im Kies zu verankern. Der verzogene Kern müsse durch einen Betonblock ersetzt werden, dies sei der Stand der Technik, so der Planer zur vorgelegten Variante der Entwürfe. Allerdings würde dieser später nicht zu sehen sein, weil das Wehr in Anschluss mit behauenen Natursteinblöcken wie jetzt versehen werde. Diese Variante ermögliche es, den eigentlichen Wehr-Untergrund in Ruhe zu lassen.
Die Sanierung erfordere einen Zugang auf allen Seiten des Wehres. Allerdings würde dabei möglichst schonend vorgegangen, um Flora und Fauna zu erhalten bzw. wiederherzustellen, so Meyer. Die Nordseite der Baustelle erreiche man über den Grün, auf der Südseite sei eine Baustraße am Lahnufer notwendig, die im Anschluss zurückgebaut und der Bereich renaturiert werde. Für die Bauzeit bei dieser Entwurfsplanung nannte Meyer einen Zeitraum von zwei Jahren.
Dass bei egal welcher Sanierungsvariante oder einem Neubau eine Fischtreppe durch die EU-Wasserrichtlinie gesetzlich vorgeschrieben ist, erläuterte den Bürgerinnen und Bürgern im Anschluss Fischereibiologe Dr. Dirk © Universitätsstadt MarburgHübner. Er attestierte nach den vorgenommenen Untersuchungen der Lahn unterhalb des Grüner Wehres einen außerordentlich wertvollen und artenreichen Tierbestand mit Barben, Äschen, Hecht und fünf Großmuschelarten. Es gebe am Wehrfuß gerade strömungsliebende Fische, wie sie eigentlich in einem Fluss vorkommen sollen, es aber selten tun. „Hinter dem Wehr tritt der Fluss aus seinem Korsett und es gibt eine sehr naturnahe Struktur“, machte er eindrücklich deutlich.
All das werde durch ein strenges, gesetzliches Regelwerk auch bei Wehrsanierungen erhalten. „So muss es natürlich auch nach der Sanierung Kiesbänke geben, die flach überströmt werden“, betonte er. Das müsse jede Planung berücksichtigen. „Das ist vorgegeben und wäre sonst gar nicht genehmigungsfähig.“ Die in der bisherigen Entwurfsplanung vorgesehene Fischtreppe stehe genau dafür, zumal sie auch einen Borstenpass umfasse. Hier sorgen die einzelnen Borsten dafür, dass das Wasser verwirbelt wird und sich gerade kleine Fische beim Aufstieg in den Zonen hinter den Borsten ausruhen können. Der Einstieg in die Fischtreppe hänge grundsätzlich von der Strömung ab, so Hübner, die zur Orientierung dient. Das Finden des Einstiegs ermöglicht eine Oberwasserfischtreppe, die am Wehrfuß abschließt, wie es auch die KLT-Planung vorsieht.
In drei Arbeitsgruppen vertieften die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Anschluss die Diskussion – zu den Themen Denkmalschutz, Natur- und Gewässerschutz/Tourismus sowie Gestaltung des Naherholungsbereiches (Sicherheit, Ordnung, Podest, Bauweg). Expertinnen und Experten aus Verwaltung, Institutionen und Verbänden standen als Ansprechpartner zur Verfügung.
Die Themen der Arbeitsgruppen wurden im Anschluss kurz im Plenum zusammengetragen. So befasste sich die Gruppe Denkmalschutz insbesondere mit der Frage, ob mit oder ohne Beton saniert werden kann und ob das Wehr saniert oder erneuert werden muss. Nachfragen dazu hatten es zuvor bereits an das Planungsbüro in der großen Runde des Workshops gegeben.
© Universitätsstadt MarburgVorgetragen wurden aus der Diskussion der Gruppe Denkmalschutz insbesondere der Wunsch nach einer schonenden, denkmalgeschützten Sanierung und die Forderung nach einem weiteren Gutachten, das in diesem Sinne den Baukörper erneut untersucht und dessen Ergebnisse öffentlich besprochen werden sollen. Dirk Meyer vom Planungsbüro erläuterte, dass sich die gesamte Anlage derzeit in einem schleichenden Prozess verschiebe. Wer sie ohne Erneuerung erhalten wolle, müsse somit bis in zehn Meter Tiefe Beton spritzen. Deshalb setze der KLT-Plan stattdessen darauf, den Baukörper oberhalb zu erneuern. Und auch beim Unterspritzen müsse dringlich die Verteilung von Betonschlamm verhindert werden, weil dieser nicht in die Kiemen der Fische gelangen dürfe. Bauwege und Spundwände seien in beiden Fällen notwendig. In jedem Fall werde, so Dr. Katharina Mohnike, Vorsitzende des Denkmalbeirats, das Gesamtbauwerk vorher akribisch dokumentiert.
© Universitätsstadt MarburgAuch die Arbeitsgruppe Naherholung sprach sich dafür aus, das Wehr schonend zu erhalten. Das Gebiet sei für Marburg und auch für die Anwohnerinnen und Anwohner eine Herzensgelegenheit. Gerade vor diesem Hintergrund gaben die Bürgerinnen und Bürger die dringliche Rückmeldung an die Stadt, andere Gestaltungsmöglichkeiten für die am flussabwärts links vorgesehenen Podeste zu suchen – statt Beton etwa auf Holz zu setzen und geringere Ausmaße zu prüfen. Bewohnerinnen und Bewohner aus Weidenhausen äußerten zudem Bedenken, dass Podeste zu zusätzlichen Treffpunkten werden könnten, die zu Konflikten mit dem Wohnen im Stadtteil führen. Aus der Gruppe erhielt die Stadt den Auftrag, auch Planungsvarianten auszuarbeiten und vorstellen zu lassen, welche eine mögliche Sanierung ohne Kanurutsche oder mit kleineren Podesten umfassen.
Die Fortsetzung des Dialogprozesses und die Vorstellung der Varianten wünscht sich auch die Arbeitsgruppe Natur- und Gewässerschutz/Tourismus. Hier wurde insbesondere das Für und Wider einer Kanurutsche diskutiert. Sie ist nach Auskunft von Stadt und Planern während des Workshops im Gegensatz zur Fischtreppe nicht vorgeschrieben und somit Gegenstand der weiteren politischen Entscheidungen.
Während sich Lahntal-Tourismusverband, die Marburg Stadt und Land Tourismus GmbH sowie der Marburger Kanu-Club für eine solche Kanu-Anlage aussprachen, weil so ein naturnaher Kanutourismus zu stärken sei, das Umtragen über den Damm mit Rad- und Fußverkehr sowie dem Naturschutz im Uferbereich kollidiere, zeigten sie die meisten Wortmeldungen und der Bund für Umwelt und Naturschutz kritisch. Sie bezogen sich insbesondere darauf, dass eine Wehrsanierung ohne Kanurutsche laut Planungsbüro auch anders als die vorgestellte Variante aussehen könne und so mehr Spielräume eröffne.
Fischereibiologe Dirk Hübner stellte allerdings klar, dass über die Länge der Fischtreppe gesetzlich immer die Wehrhöhe entscheide. Somit sei diese Länge nicht variabel. Allerdings könnten die hier notwendigen 70 Meter, die nach bisheriger Planung neben dem Kanupass als Gerade angelegt sind, auch „gefaltet“ werden. Wie das Bauamt der Stadt zu bedenken gab, werde dies die Treppe optisch auffälliger machen, weil die Fischtreppe dann breiter werde. In jedem Fall wünscht die Gruppe, dass diese Alternativmöglichkeiten von der Stadt nun aufgezeigt werden.
Spies und Stötzel gingen direkt auf die Diskussion des Vormittags ein und kündigten ein aktuelles Gutachten zum Baukörper des Wehres an. Wie OB Spies vor den Bürgerinnen erläuterte, sollen dabei zwei Fragen geklärt werden: Wie standfest ist das Wehr aktuell? Und: Gibt es grundsätzlich andere Sanierungsmöglichkeiten, um den Baukörper des Wehrs mit gleicher Stabilität, Standsicherheit sowie denkmalgerecht und naturnah zu erhalten?
© Universitätsstadt Marburg„Diese Fragen werden wir noch einmal überprüfen lassen", sagte Spies. Zwar zweifle die Stadt nicht an den Ergebnissen des bisherigen Gutachtens. „Da aber so viele Bürgerinnen und Bürger auch heute wieder das Gutachten von 2008 in Frage gestellt haben, werden wir uns eine weitere Meinung einholen und das Grüner Wehr noch einmal überprüfen lassen“, so das Stadtoberhaupt. Auch bei einer schweren Herz-OP höre man sich vorher den Rat eines zweiten Mediziners an, unterstrich Bau- und Umweltdezernent Stötzel das Vorgehen.
„Wir rechnen damit, dass das Kurzgutachten noch in diesem Jahr vorliegt“, so der OB. Alle im neuen Gutachten enthaltenen Informationen werden umgehend öffentlich gemacht und den Bürgerinnen und Bürgern zugänglich, so der Oberbürgermeister.
Zugleich wolle die Stadt die bisherigen Planungsvorschläge weiterentwickeln und dabei die Anregungen und Diskussionen einarbeiten. Anschließend würden diese erneut öffentlich gemacht und zur Diskussion gestellt – schließlich habe die Bürger/innenbeteiligung zum Wehr mit dem Workshop begonnen und nicht geendet. „Marburg ist eine Stadt mit ganz viel Engagement und das trägt erheblich zur Lebensqualität, zur Qualität unserer Stadt bei“, hatte Spies zum Auftakt des Workshops betont. Jederzeit können die Marburgerinnen und Marburger aber auch zwischendurch ihre Anregungen an die Stadt richten. Ab Dienstag ist dies per Mail unter gruenerwehr@marburg-stadt.de möglich.
„Wir wollen, das Kleinod am Grüner Wehr genau als solches auch erhalten“, machte OB Spies zum Abschluss deutlich. Bürgermeister Stötzel und Oberbürgermeister Spies bewerteten die Veranstaltung als Erfolg. Die vielen sachlichen Hinweise bestätigten, dass der Weg einer breiten und ergebnisoffenen Bürger/innenbeteiligung richtig war.
Das Informationsmaterial des Planungsbüros und des Fischereibiologen finden Sie hier.