© Patricia Grähling, Stadt Marburg
Zunächst zu den Rahmendaten des Entwurfs: „Die Finanzlage der Universitätsstadt Marburg im Jahr 2020 ist ernst, aber wir haben vorgesorgt“, erklärt Spies. Die Stadt baut neue Wohnungen, schafft mehr Kita-Plätze und mehr Qualität in der Betreuung, sie verbessert den ÖPNV, baut Radwege und Straßen aus, errichtet ein Familien- und ein Gesundheitszentrum im Waldtal, investiert in den Klimaschutz und in Sicherheit für alle Marburger*innen. „Diesen Weg wollen wir weitergehen“, sagt Spies. Möglich wird das, weil die Stadt die hohe Gewerbesteuernachzahlung aus 2018 auf die hohe Kante legte, statt sie auszugeben. Aus diesem „Sparbuch“ kann sie das Defizit 2020 ausgleichen. Denn: Nach den starken Steuerjahren fallen nun über 20 Mio. Euro Landesmittel komplett weg. Deshalb rechnet der Kämmerer 2020 mit „nur“ 245 Mio. Euro Erträgen.
Demgegenüber stehen Aufwendungen von rund 271 Mio. Euro – das sind gut fünf Prozent mehr als 2019. Verantwortlich dafür sind unter anderem höhere Kosten durch mehr Personal (Kinderbetreuung, Ausländerbehörde, Reinigungskräfte, Bauamt etc.), Tarifsteigerung und Anschlussbeschäftigung von Auszubildenden. Dazu kommen mehr Pflichtaufgaben und ein „maßvoller Anstieg unserer freiwilligen Leistungen“, zählt Spies auf: „Mit Letzteren stärken wir Engagement und Zusammenhalt, die so sehr zur hohen Lebensqualität in Marburg beitragen.“ Knapp 30 Mio. Euro an neuen Investitionen in Marburgs Infrastruktur sieht der Entwurf für das kommende Jahr vor – unter Zuhilfenahme einer Kreditermächtigung, die maximal 10 Mio. Euro Nettoneuverschuldung zulässt.
„Entscheidend ist, was wir mit den finanziellen Mitteln für die Menschen tun, um das Leben der Marburger*innen nachhaltig zu verbessern“, erklärt der Oberbürgermeister und fasst das für 2020 unter vier Schwerpunkte zusammen:
- bezahlbarer Wohnraum und Mobilität für alle,
- den sozialen Zusammenhalt sichern,
- nachhaltig handeln und die Klimakrise bewältigen,
- auch in Zukunft die Sicherheit aller Menschen in Marburg gewährleisten.
Am Beispiel von Hilde und Wolfgang, dem Seniorenehepaar im Reihenhaus mit Garten in der Wohnstatt, spricht Spies über das „bezahlbare Wohnen als Lebensgrundlage“ und als „größte soziale Frage Marburgs“. Über 2.500 neue Wohnungen wurden in Marburg seit 2013 fertig, über 400 sind derzeit in Bau, weitere 800 in Planung und knapp 500 in Vorbereitung. „Zusammen ergibt das über 4.000 neue Wohnungen“, berichtet Spies. Das Wohnraumversorgungskonzept der Stadt greife, „bauen, bauen, bauen wirkt!“, sagt Spies, die Bezeichnung „Oberbaumeister“ verstehe er in dem Zusammenhang als „Ehrentitel“. Für 2020 sind rund 5,5 Mio. Euro im Haushaltsentwurf für Wohnungsbau und preiswerten Wohnraum vorgesehen. Die städtische GeWoBau plane 50 Mio. Euro in den nächsten drei Jahren in neue Wohnungen zu investieren: Dazu wird mit weiteren zweistelligen Millioneninvestitionen saniert, vor allem energetisch. Als sozialen Ausgleich, damit die Mieten nicht steigen, ist im Haushaltsentwurf ein sozialer Energiebonus in Höhe von zwei Millionen Euro vorgesehen. „Das ist eine Frage der Gerechtigkeit“ und laut dem Oberbürgermeister ebenso wichtig für den Klimaschutz wie für den sozialen Zusammenhalt.
Apropos Soziales: Insgesamt 76,3 Mio. Euro stehen im Entwurf für den Jugend- und Sozialbereich – für Kinderbetreuung und Senior*innen, für Gleichstellung und Integration, zur Unterstützung von Menschen mit Behinderung und zur Bekämpfung von Armut und Sucht, für ein gesünderes Leben und für ein gutes Gemeinwesen: „Die Gewissheit, an den Chancen teilzuhaben, respektiert und akzeptiert zu sein und in der Not gestützt zu werden, macht Menschen mutig. Stadt der Mutigen, Stadt der Lösungen zu sein heißt auch: Alle fair behandeln, allen Chancen zu eröffnen, niemanden zurücklassen“, begründet Spies die seit Jahren steigenden Aufwendungen in dem Bereich.
Rund die Hälfte davon ist für die Kinderbetreuung vorgesehen – mit mehr Personal, Gebührenfreiheit für Kindergärten und Investitionen steigt der Betrag erstmals auf über 41 Mio. Euro. „Das ist viel Geld, aber diese Investition in unser aller Zukunft muss es uns wert sein“, betont Spies. Dieser Grundsatz gilt auch für die Schulen und das BildungsBauProgramm, mit dem die Stadt bis 2021 30 Mio. Euro investiert. 17 von 30 geplanten Projekten des Fünf-Jahres-Programms sind fertig oder fast fertig, alles im Kosten- und Zeitrahmen und BiBaP2 in Vorbereitung.
Ein weiterer Schwerpunkt 2020 ist der Klimaschutz – mit der energetischen Sanierung der stadteigenen Liegenschaften, dem Ausbau erneuerbarer Energien, mehr Radverkehr und ÖPNV, umfassenden Analysen und mutigen Lösungen für Mobilität insgesamt, mit einem Haus der Nachhaltigkeit, den Stadtwerken als wichtigem Partner für die Versorgung mit Öko-Strom, der warmmietenneutralen Gebäudesanierung, denn „die Lösung der Klimakrise darf auf keinen Fall zur sozialen Frage des 21. Jahrhunderts und auf dem Rücken der Armen ausgetragen werden“, betont Spies. „In einer Stadt der Mutigen, in einer Stadt der Lösungen wird uns das gelingen, mit breiter Beteiligung, Engagement und guten Ideen“, so Spies.
Und dann ist da auch noch Franz, neun Jahre alt, der dem Oberbürgermeister neulich bei einer persönlichen Begegnung eine ganz persönliche Anregung zur Verkehrspolitik – den Wunsch nach einer Spielstraße in seiner Sackgasse – nahebrachte. „Verkehrswende kann nur funktionieren, wenn alle Beteiligten, ob zu Fuß, im Auto, auf dem Rad oder im Bus bereit sind, auch die berechtigten Interessen anderer Verkehrsteilnehmenden anzuerkennen und einander mit Rücksicht zu begegnen“, führt OB Spies zum Thema aus. Straße sei kein Ort für Konfrontation, sondern für Kooperation, das müsse für Marburg ganz besonders gelten. „Dazu müssen unsere Wege, Radwege und Straßen in gutem Zustand sein“, erklärt Spies. Dafür – also für deren Unterhalt inklusive Reinigung – stehen rund 15 Mio. Euro im Haushaltsentwurf. Mit Investitionen und dem Zuschuss der Stadt zum ÖPNV „wollen wir für die Mobilität von Menschen 27 Mio. Euro aufwenden“, rechnet der Oberbürgermeister vor. „Und weil Mobilität Teilhabe ist, deshalb denken wir Barrierefreiheit immer mit.“
Ebenso vielfältig und dezernatsübergreifend, wie OB Spies die Aufgaben – und Ausgaben – für Wohnen, Soziales, Mobilität, Klimaschutz und Nachhaltigkeit aufzeigt, sind sie auch für den Schwerpunkt Sicherheit: „Alle Menschen müssen sich sicher fühlen können in unserer Stadt, Tag und Nacht, zu Hause und im öffentlichen Raum, unabhängig von Alter, Geschlecht, sozialem Status, Herkunft, Hautfarbe oder sexueller Orientierung“, definiert Thomas Spies die Aufgabe und das Ziel. In der Stadtverwaltung ist fast jeder Fachbereich auf die eine oder andere Weise einbezogen – vom Ordnungsamt und Stadtpolizei über die bundesweit einmalige Anlage „LiSA“ im Jägertunnel oder „Marburg gegen Gewalt“ bzw. „Marburg gegen Partnergewalt“, das Sicherheitssiegel Kompass oder das Präventionsprojekt PiKS für Kita und Schule bis zum farbenfrohen und reichhaltigen Kulturangebot zählt der OB beispielhaft auf. Stichpunkt Kultur: Insgesamt 8,5 Mio. Euro stehen dafür im Haushaltsentwurf. Zum breiten Thema Sicherheit gehören außerdem das großangelegte Projekt gegen Rassismus und Rechtsextremismus „Dialog und Vielfalt“ unter Federführung der Bürger*innenbeteiligung und nicht zuletzt die „Soziale Stadt“. Über acht Mio. Euro sind allein für die „Soziale Stadt“ im Stadtwald und Waldtal im Haushaltsentwurf vorgesehen, 2020 ist Baubeginn von Nachbarschafts- und Gesundheitszentrum im Waldtal.
„Die Kommunen sind der Ort, an dem Menschen Zusammenhalt und Handlungsfähigkeit praktisch erleben, jeden Tag“, sagt OB Spies am Ende seiner Rede. In der Kommune verstehe sich Politik und Verwaltung als Teil, „als Arm der Zivilgesellschaft“, als Ort, „an dem wir auf einander, unsere Kinder, die Schwachen und Hilfsbedürftigen achten und gemeinsam Teilhabe sichern“. Hier würden Herausforderungen erkannt und im Dialog und mit ausgestreckter offener Hand fair bewältigt. „Kommune zeigt, dass und wie wir die Freiheit und Autonomie der Menschen sichern und sie vor allen Notlagen und Gefahren schützen“, betont Spies vor der Stadtverordnetenversammlung. „Mit diesem Haushaltsentwurf wollen wir vorwärtsgehen“, so der OB, „damit Marburg für Wolfgang und Hilde, für junge Familien und LSBTIQ*-Menschen, für engagierte junge Bürger wie Franz, für Klimaaktivist*innen und für Arbeitnehmer*innen, für Menschen vom Richtsberg und Menschen vom Grassenberg, aus der Oberstadt und den Außenstadtteilen, für unsere Kinder und unsere Senior*innen, eben für alle Marburger*innen eine noch bessere Stadt wird.“
Der Haushaltsentwurf 2020 wird nun in den politischen Gremien diskutiert und steht voraussichtlich Ende Februar in der Stadtverordnetenversammlung zur Beratung und Abstimmung.
Die komplette Haushaltsrede 2020 von OB Dr. Thomas Spies finden Sie hier.
Den Haushaltsentwurf selbst sowie weitere Informationen und Grafiken finden Sie hier.