Verglichen hat der Hessische Rechnungshof die Haushalte und Stellenpläne der sieben kreisangehörigen Städte über 50.000 Einwohner/innen in Hessen – neben Marburg sind das Bad Homburg, Fulda, Gießen, Hanau, Rüsselsheim und Wetzlar. Geprüft hat der Rechnungshof dafür die Jahre 2011 bis 2015. „Die Analyse strikt nach Kennzahlen kann die konkrete Situation vor Ort natürlich nicht exakt wiedergeben“, stellt Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies klar. „Abstrakte Haushaltsdaten nehmen weder Rücksicht auf saisonale Erkältungswellen noch auf den zunehmenden Fachkräftemangel, der auch vor dem pädagogischen Bereich nicht Halt macht.“ Trotzdem zeige der Vergleich, wo die Städte stehen, was erreicht wurde und in welche Richtung die Reise geht.
„Wir sind stolz auf die Qualität unserer Kinderbetreuung“, kommentiert Kirsten Dinnebier das Ergebnis der vergleichenden Prüfung. „Mit bis zu 25 Prozent mehr Personal pro Gruppe als vom Gesetzgeber vorgesehen leisten wir in den städtischen Kitas einen wesentlichen Beitrag für die Chancengleichheit der Kinder in unserer Stadt“, betont die Stadträtin.
Das Hessische Kinderförderungsgesetz (KiföG) sieht 2,21 Fachkräfte als Richtwert pro KiTa-Gruppe vor (siehe Grafik). Das entspricht auch in etwa dem Mittelwert der sieben Sonderstatusstädte. In Marburg gibt es dagegen im Schnitt 2,93 Fachkräfte pro Gruppe in den städtischen KiTas. Damit liegt die Universitätsstadt personell nicht nur über dem Durchschnitt, sondern auch im direkten Städtevergleich auf Platz 1 – vor Bad Homburg auf Platz 2 (2,62 Fachkräfte pro Gruppe) und weit vor Schlusslicht Wetzlar (2,11 Fachkräfte pro Gruppe).
„Wir erachten die Personalstandards des KiföG als bei weitem nicht ausreichend und werden auch weiterhin mehr als das vom Land geforderte Personal in den Betreuungseinrichtungen vorhalten. Damit tragen wir unserem Anspruch auf Qualität in der frühkindlichen Bildung Rechnung“, betont Dinnebier. Als weitere besondere Standards in den Marburger Einrichtungen zählt die Stadträtin die Freistellung von KiTa-Leitungen sowie die Größe von zehn statt zwölf Kindern pro Gruppe in den Krippen auf.
Dass die städtischen Einrichtungen in Marburg auch im innerörtlichen Ranking eine höhere Fachkräftequote pro Gruppe haben als die der freien Träger, liegt vor allem am Faktor Vertretungskräfte. Sie sind für jede städtische KiTa in Marburg fest im Stellenplan verankert, während andere Kommunen und viele freie Träger bei Ausfällen auf kurzfristig verfügbare Honorarkräfte zurückgreifen.
Weiter geht es mit dem Angebot an Betreuungsplätzen für unter Dreijährige (siehe Grafik). Auch hier ist Marburg ein Vorbild für die anderen Städte: Für 46 Prozent aller U-3-Kinder gibt es in der Universitätsstadt Plätze in Krippen oder in der Tagespflege. Für die Kinder von einem bis drei Jahren, die einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz haben, sind es sogar 64 Prozent (Mittelwert 44 Prozent, Schlusslicht Rüsselsheim 25 Prozent). Ausdrücklich lobt der Hessische Rechnungshof Marburg für seine Förderung der Kindertagespflege, die unbedingt beibehalten werden sollte, schließlich ist der Anteil der Kleinkinder in der Tagespflege mit 28 Prozent „überdurchschnittlich“.
Im Städtevergleich vorne liegt Marburg auch, wenn es um den Anteil der Stadt an Betreuungskosten geht: Marburg übernimmt mit 5209 Euro im Jahr 2015 ganze 7,5 Prozent mehr Zuschuss pro Kita-Kind als die Vergleichsstädte im Mittel (4830 Euro). Für die Betreuung eines einzelnen Krippenkindes hat die Universitätsstadt 2015 sogar 9488 Euro aufgewandt (siehe Grafik).
Apropos Geld pro Jahr: Die aktuellste Zahl zum Anteil, den die Eltern mit ihren Gebühren an den Gesamtkosten der Kindertagesbetreuung (städtische und freie Träger in Krippe, KiTa und Hort) pro Jahr übernehmen, ist von 2016. Rund 21,67 Millionen Euro standen für die Kinderbetreuung vergangenes Jahr im Haushalt und demgegenüber Erträge aus den Gebühren von 3,15 Millionen Euro – theoretisch. Tatsächlich waren es aber weniger, da geringverdienende Familien anteilig oder vollständig von den Betreuungsgebühren befreit sind. Ihren Anteil übernimmt die Stadt Marburg (2016: 816.000 Euro). Damit sank der Anteil der Kosten, die durch die Gebühren abgedeckt wurden, auf rund 11 Prozent. Den Rest finanzierte die Stadt.
Für 2017 hat die Universitätsstadt Marburg knapp eine Million Euro mehr Aufwand im Haushalt für die Kinderbetreuung von null bis sechs Jahren sowie der Hortbetreuung für Grundschüler/innen stehen (22,64 Millionen). Abschließende Zahlen auf der Einnahmeseite gibt es zwar noch nicht. Klar ist aber schon: „Durch die neue Gebührenordnung seit diesem Jahr werden mehr Familien als zuvor eine anteilig oder vollständig von den Gebühren für die Betreuung ihrer Kinder befreit“, berichtet Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies.
Zurück zur vergleichenden Prüfung des Landes. Aus der Analyse der Zahlen leitet der Hessische Rechnungshof Empfehlungen für mehr „Wirtschaftlichkeit“ in der Marburger Kindertagesbetreuung ab, die allerdings an den hohen Standards der Universitätsstadt sägen. Rechnet man zum Beispiel die überdurchschnittlichen Marburger Personalschlüssel in den KiTas auf das hessische Mittelmaß herunter, wären knapp 32 Fachkräfte zu viel in den städtischen Einrichtungen. Für die freien Träger kommt der Landesrechnungshof auf rund fünf Erzieher/innenstellen Überschuss. Hunderte Kinder mehr könnten – rein rechnerisch – mit diesem Personal betreut werden. Auf der anderen Seite könnte man nicht ausgelastete Gruppen, die es beispielsweise in manchen Außenstadtteilen oder aufgrund baulicher Gegebenheiten auch in der Innenstadt gibt, laut Landesrechnungshof „kurzfristig inaktiv“ setzen – sprich schließen, so der Vorschlag des Landes. Die Kinder könnten dann auf diejenigen Gruppen verteilt werden, die nicht zu 100 Prozent ausgelastet sind und – wiederum rein rechnerisch – noch Kapazitäten haben.
Etwa 1,8 Millionen Euro könnte die Stadt Marburg laut Rechnungshof das pro Jahr sparen, würde sie diesen Empfehlungen folgen. Erhöhe Marburg auf der anderen Seite noch den Elternanteil an den Gesamtkosten auf 33 Prozent, wie der Rechnungshof in seiner Vergleichsprüfung vorschlägt, kämen weitere Millionen Euro auf der Ertragsseite in den Haushalt der Stadt.
„Das wollen wir selbstverständlich nicht“, stellen Stadträtin Dinnebier und Oberbürgermeister Spies übereinstimmend klar, „ganz im Gegenteil“. Unter der Voraussetzung, dass das Land seine jüngste Ankündigung zur Finanzierung der Kindertagesbetreuung voll umsetze, wolle Marburg darauf hinarbeiten, die Kinderbetreuung für die Eltern gebührenfrei zu stellen. „Wir wollen den Familien heute und in Zukunft ein verlässlicher Partner bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sein“, gibt Dinnebier die Richtung in Sachen Kinderbetreuung in Marburg vor. „Der erforderliche quantitative Ausbau und die Sicherung der Qualität der Betreuung müssen weiterhin Hand in Hand gehen.“ Deshalb werde Marburg weiterhin alles dafür tun, das Personal zur Verfügung zu stellen, das für eine verlässliche Kinderbetreuung erforderlich sei – „und zwar unabhängig vom niedrigen gesetzlichen Standard“, sagt Dr. Thomas Spies.