© Thomas Steinforth, Stadt Marburg
„Hier verlief der Schwellbalken, also das Fundament eines alten Fachwerkhauses“, sagt Grabungstechnikerin und Grabungsleiterin Susanne Gütter vom Landesamt für Denkmalpflege Hessen und zeigt auf eine Steinreihe. „Das heißt, dass dieses Areal in früherer Zeit um einiges tiefer lag als heute“, erklärt sie. Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies und Bürgermeister Wieland Stötzel haben sich an der Ausgrabungsstelle gemeinsam mit Vertreter*innen der Stadtverwaltung ein Bild gemacht von der Geschichte, die bei den Ausgrabungen sichtbar gemacht wurde. Sie stehen in etwa 1,60 Metern Tiefe in einer Baugrube am Firmaneiplatz. Das Haus entstamme vermutlich dem 13. Jahrhundert, so die Expertin. „Später wurde dieses Areal auch für Bestattungen genutzt.“
Tatsächlich graben ihre Kolleginnen gerade einen nochmal tiefer liegenden Bereich frei, in dem sich Gebeine befinden. „Das war eine Frau, die etwa 50 bis 60 Jahre alt geworden ist. Das Skelett gibt Anzeichen darauf, dass sie schwer gearbeitet hat“, sagt Gütter. Es gibt keinen Hinweis auf einen Sarg, vermutlich wurde sie in einem Tuch beerdigt. Bislang 19 nachweisbare Bestattungen hätten in diesem Areal stattgefunden, berichtet Dr. Christa Meiborg, Leiterin des Bereichs Mittelalter- und Neuzeitarchäologie der Marburger Außenstelle des Landesamtes. Die meisten Skelette werden wieder bestattet, die Skelette aus der aktuellen Ausgrabungsfläche werden anthropologisch auf Geschlecht, Sterbealter und mögliche Krankheiten hin untersucht, bevor sie dann im Depot verwahrt werden.
© Thomas Steinforth, Stadt Marburg
Weitere Fundstücke der Ausgrabungen waren eine gut erhaltene Topfkachel, die zu einem Ofen gehört hat, und größere Scherben eines Keramikkruges. Es komme nicht so häufig vor, dass sie große Teile von Gegenständen finden, oft seien es nur kleine Scherben, so die Expertinnen. Die Funde datieren sie auf den Zeitraum 13./14. Jahrhundert.
Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies dankt allen Beteiligten für die bedeutende Arbeit, „vor allem, dass die Mitarbeitenden der städtischen Fachdienste Stadtplanung und Denkmalschutz und die Bodenarchäolog*innen so gut zusammengearbeitet haben.“ Bürgermeister Wieland Stötzel merkt an, dass es sogar ein positiver Nebeneffekt von Corona gewesen sei, dass die Ausgrabungen so intensiv ausgeführt werden konnten, da sich die weiteren Bauschritte aufgrund von verspäteten Materiallieferungen verzögern. Ende Juli sollen die Grabungen abgeschlossen sein. Das derzeit untersuchte Areal wird die spätere Brunnenkammer für den neuen Brunnen auf dem Firmaneiplatz aufnehmen.
Zum Hintergrund:
Im Zuge der Neugestaltung des Kirchenumfeldes an der Elisabethkirche in Marburg führt das Sachgebiet Mittelalter- und Neuzeitarchäologie der Abteilung hessenARCHÄOLOGIE des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen in einem Gemeinschaftsprojekt mit der Stadt Marburg seit 2006 bauvorbereitend Ausgrabungen durch. Insgesamt wurden bislang 6100 Quadratmeter Fläche untersucht.
© Thomas Steinforth, Stadt Marburg
Bei den bisherigen Untersuchungen gelang es, zahlreiche Gebäudereste der Deutschordensniederlassung von 1234 bis1809 freizulegen. Im Norden der Elisabethkirche wurden auch Überreste der Hospitalkapelle der heiligen Elisabeth von Thüringen (erbaut 1228/1229) und die Überreste eines lang gestreckten mutmaßlichen Hospitalbaus aus der Gründungszeit freigelegt und dokumentiert. Etwa 220 Bestattungen wurden rund um die Elisabethkirche ausgegraben; eine sehr viel größere Anzahl von Gräbern (rund 460) verblieb ungestört im Boden. Bei den hier Bestatteten handelte es sich um Pilger und Hilfesuchende aus der Zeit der Hospitalniederlassung der heiligen Elisabeth (erstes Drittel des 13. Jahrhunderts) sowie um die Brüder des Deutschen Ordens und deren Bedienstete mit Familien.
Die Umgestaltung des Firmaneiplatzes ist der fünfte und letzte Bauabschnitt in der neuen Umfeldgestaltung der Elisabethkirche. Der neue Firmaneiplatz wird mit einem Brunnen mit einer überströmten Fläche und einem Wasserspiel sowie Sandsteinblöcken als Sitzmöglichkeiten ausgestattet. Die Arbeiten sollen voraussichtlich gegen Ende 2021 abgeschlossen sein.