„Menschen sind nicht behindert, Menschen werden behindert – wenn wir uns diesen Grundsatz zu allen Zeiten klarmachen und die Behinderungen beseitigen, dann sind wir in der Frage, was Inklusion bedeutet, ein großes Stück weitergekommen“, so OB Spies im Historischen Rathaussaal. Dazu soll der Preis beitragen, der den im Jahr 2010 verstorbenen, ehemaligen Grünen-Stadtverordneten Jürgen Markus ehrt. Die Universitätsstadt Marburg will die Barrieren für Menschen mit Behinderung aufheben, um ihr Leben deutlich zu erleichtern. Seit 2012 wird der Preis alle zwei Jahre verliehen. Der voll besetzte Historische Saal des Rathauses unterstrich die Bedeutung und die Aufmerksamkeit, die die Auszeichnung genießt.
„Barrierefreiheit ist nicht nur eine Sozialleistung für eine Bevölkerungsgruppe, sondern für alle Menschen, denn alle profitieren davon“, zeigte sich das Stadtoberhaupt überzeugt, „denn jeder kann so jedem an jedem Ort begegnen.“ Spies freute sich über die zahlreichen Bewerbungen: Diesmal waren es elf, so viele wie noch nie. Viele neue Ideen seien in den Bewerbungen präsentiert worden und zeugten davon, dass der Preis auch die Kreativität anrege.
Dieses Jahr überzeugte der Verein „Freunde des Museums für Kunst und Kulturgeschichte Marburg“ mit dem Projekt „Kunstmuseum Marburg – neu inklusiv erleben“ das entscheidende Kuratorium am meisten. Der Verein erhielt als Preis für das Projekt 15.000 Euro. Ziel des Projekts ist es, das Museum für Kunst und Kulturgeschichte zu einem „Museum für Alle“ zu machen, in dem Menschen mit und ohne Behinderung gleichermaßen Werke anerkannter Kunst vom Mittelalter bis in die Moderne kennenlernen und erleben können. Das Kunstmuseum in der Biegenstraße wird nach aufwändiger Sanierung im Oktober neu eröffnet. In Zusammenarbeit mit Menschen mit Behinderung soll durch die Erarbeitung innovativer Vermittlungsformate ein Weg geschaffen werden, die Kunst für alle Menschen – ob mit oder ohne Behinderung – zugänglich zu machen. Das Konzept ist noch nicht endgültig abgeschlossen; es soll kontinuierlich weiterentwickelt werden.
„Das Projekt eignet sich aus unserer Sicht besonders, die soziale und kulturelle Inklusion voranzubringen“, sagte Kuratoriumsvorsitzende Susanne Holz, Witwe von Jürgen Markus. Horst Piringer, Vorsitzender der Freunde des Museums, hob hervor, dass ein Museum für alle angestrebt wird. „Es soll in all seine Facetten erlebbar sein.“
Den mit 5.000 Euro dotierten zweiten Preis überreichte der OB an das Projekt „Companion2GO“ von Zacharias Wittmann und Marten Welschbach. Hierbei handelt es sich um eine Internetplattform. Menschen mit Behinderung können dort mit Menschen ohne Behinderung kommunizieren und gemeinsamen Interessen nachgehen. Sie können beispielsweise gemeinsam mit öffentlichen Verkehrsmitteln reisen und öffentliche Veranstaltungen wie Konzerte, Sportveranstaltungen oder Theater besuchen. Durch die kreative Nutzung der Begleitpersonenregelung können sie gegenseitig voneinander profitieren. „Wir freuen uns besonders, in der Stadt ausgezeichnet worden zu sein, in der wir studiert haben und in der wir uns wohlfühlen“, sagte Welschmann.
© Heiko Krause i.A.d. Stadt Marburg
Für musikalische Untermalung der Festveranstaltung sorgte Rainer Husel und nach dem offiziellen Teil gab es Gelegenheit zum Austausch über die Ideen bei Kaffee und Kuchen im Foyer des Rathauses.
Hintergrund
Jürgen Markus setzte sich in Marburg für Barrierefreiheit ein, um Menschen mit Behinderung ein selbstbestimmteres Leben zu ermöglichen. Nach seinem Tod im Jahr 2010 wurde vielfach der Wunsch geäußert, Jürgen Markus aufgrund seines enormen Engagements und seiner beeindruckenden Persönlichkeit zu würdigen. Schlussendlich verlieh die Stadt 2012 erstmals den mit 20.000 Euro dotierten Jürgen-Markus-Preis. Ziel des Preises ist es, dass die Stadt mehr zur Barrierefreiheit beiträgt, um Menschen mit Behinderung die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu erleichtern. Der Preis soll sowohl engagiertes Wirken ehren als auch Anregungen für neue Ideen liefern.
Zur Person Jürgen Markus
Jürgen Markus wurde 1957 in Bad Driburg in Ostwestfalen geboren. Ende der 70er Jahre kam er zum Studium nach Marburg. Im Februar 1982 zog er sich beim Sport-Dies der Philipps-Universität durch einen Unfall irreparable Verletzungen im Halswirbelbereich zu, was eine dauerhafte Querschnittlähmung zur Folge hatte. Die neue Situation stellte ihn vor ungeahnte Herausforderungen in seinen elementaren Lebensbereichen.
Sein „zweites Leben“ – wie er es selber nannte – war geprägt vom Kampf für ein menschenwürdiges und selbstbestimmtes Leben von Menschen mit Behinderungen. Er engagierte sich in der Krüppelinitiative Marburg (KRIM) und im Verein zur Förderung der Inklusion behinderter Menschen (fib), den er lange Jahre als Vorsitzender maßgeblich prägte. Kommunalpolitisch war er von 1998 bis 2007 als Abgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen im Stadtparlament tätig, vor allem im Bauausschuss im Bereich Stadtentwicklung. Den Behindertenbeirat hat er 1997 mit auf den Weg gebracht und bis zu seinem Tod als stellvertretender Vorsitzender durch seine Persönlichkeit stark geprägt.
© Heiko Krause i.A.d. Stadt Marburg
Dass in Marburg Barrierefreiheit über alle Parteigrenzen hinweg gefördert und gefordert und der Behindertenbeirat in Entscheidungen eingebunden wird, die Menschen mit Behinderungen betreffen, ist vor allem Jürgen Markus’ Verdienst, der die Gabe hatte, Menschen zu gewinnen, indem er ihnen mit Wertschätzung begegnete.
In den letzten Jahren seines Lebens musste er sich sukzessive zurücknehmen und Ämter abgeben, da er zunehmend mit gesundheitlichen Folgeproblemen seiner Verletzungen zu kämpfen hatte. Im Februar 2010 starb er im Alter von 52 Jahren.