Ein heller Raum, gemütlich möbliert, an den Wänden Bilder des Marburger Fotografen Markus Farnung, auf dem Tisch ein Kaffeevollautomat, gestiftet vom Ausländerbeirat: Die Initiatorin und Leiterin der Lernwerkstatt, Silke Jahns, legt großen Wert darauf, dass die Werkstatt ein „sozialer Raum“ ist, in dem es nicht nur ums Deutsch lernen geht, sondern auch um Kontakte und interkulturellen Austausch.
Seit November 2015 gibt es die Lernwerkstatt an der Marburger Volkshochschule. Gerade hat der Magistrat der Universitätsstadt das Angebot für weitere zwei Jahre verlängert. Zusätzlich hat die Volkshochschule Mittel beim hessischen Kultusministerium für eine wissenschaftliche Begleitung beantragt.
Die Lernwerkstatt ist an vier Tagen in der Woche je zwei Stunden geöffnet. Für zehn Euro pro Semester können Lernende sie nutzen, sich beraten lassen, Tipps zum Online- und Offline-Lernen bekommen oder einfach nur Deutsch sprechen trainieren. Zur Zielgruppe der Werkstatt gehören Migrantinnen und Migranten ebenso wie Au-Pairs oder Ehepartner/innen von Gastwissenschaftler/inne/n. Etwa 30 Lernende nutzen die Werkstatt regelmäßig. Unterstützt werden sie dort fachlich von der Werkstattleitung sowie von ehrenamtlichen Lernbegleiterinnen und -begleitern. Aktuell engagieren sich dort sechs bis acht Ehrenamtliche.
„In der Lernwerkstatt lerne ich Deutsch wie im Privatunterricht“, sagt der 21-jährige Kan, der aus der Türkei eingewandert ist. Ihm gefällt vor allem, dass der Lernprozess in der Werkstatt nach seinen individuellen Lernbedürfnissen läuft. Die Lernenden entscheiden selbst, woran sie arbeiten und welche Unterstützung sie brauchen.
Abdulfatah, 27 Jahre alt und Apotheker aus Aleppo, profitiert vor allem vom interaktiven Charakter der Werkstattarbeit: „Zu Hause bin ich allein und kann nicht Deutsch sprechen“, sagt er. Außerdem habe ihm das breite Angebot verschiedenster Lernmaterialien und die Lerntipps aus der Lernberatung sehr geholfen, seine B1-Deutschprüfung zu bestehen.
Deutsch zu sprechen ist für die Integration in die deutsche Gesellschaft zentral. Es sich anzueignen, benötigt eine große Portion Selbstlernkompetenz und Motivation. Besonders das eigenverantwortliche Lernen ohne strikte Anleitung ist für viele Migrantinnen und Migranten ungewohnt. In der Werkstatt erfahren sie, wie man das Lernen in die eigene Hand nimmt, wie man „lebenslang“ und „autonom“ lernt, so die Stichworte der Fachdiskussion zum Thema. Deshalb ist die Werkstatt eine sinnvolle Ergänzung der „Deutsch-als-Fremdsprache“-Kurse der Volkshochschule Marburg, sagt VHS-Leiterin Kirsten Fritz-Schäfer.
Professor Dr. Frank Königs, Inhaber des Lehrstuhls für allgemeine Didaktik und Fremdsprachenforschung der Philipps-Universität, charakterisiert den besonderen Wert der Lernwerkstätten so: „Sie tragen dazu bei, (…) Selbsterkennungsprozess(e) zu fördern, nachhaltig zu gestalten und damit diejenigen Lernenden beim Fremdsprachenlernen zu unterstützen, die ihren eigenen fremdsprachlichen Lernprozess ernst nehmen, reflektieren und optimieren wollen.“
„Diese Herausforderung, also die Förderung des Selbsterkennungsprozesses bei den Besucherinnen und Besuchern, nimmt auch die Marburger Lernwerkstatt an“, sagt Kirsten Fritz-Schäfer, „damit sie sich die neue Sprache auch dauerhaft aneignen können“.
Damit dies in Zukunft noch besser gelingt, hat die Volkshochschule Marburg für die Lernwerkstatt den Antrag auf Fördermittel im Rahmen des hessischen Weiterbildungspaktes gestellt. Mit diesem Pakt will das Land Hessen der Wichtigkeit lebenslangen Lernens Rechnung tragen. Bekommt Marburg eine Zusage, werden die Mittel dazu verwandt, die hiesige Werkstattarbeit weiterzuentwickeln und wissenschaftlich zu evaluieren.
Denn: Das Projekt macht Schule in Hessen: Die Volkshochschulen in Wetzlar und Hanau sind auf die hiesige Lernwerkstatt aufmerksam geworden. Sie wollen nun selbst ähnliche Werkstätten aufbauen und in ihr Programm aufnehmen – nach dem Marburger Modell.