© Patricia Grähling, Stadt Marburg
„Wir können nicht nur auf Marburg schauen, sondern müssen das gesamte Umland mit in den Blick nehmen, wenn wir Mobilität in Marburg mit breiter Beteiligung gemeinsam diskutieren“, so Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies bei der Begrüßung zum Start des Live-Streams. Die Stadtverordnetenversammlung hat den Beschluss gefasst, ein umfassendes Mobilitätskonzept für Marburg in Auftrag zu geben. Der Auftrag wurde Anfang Juni erteilt. Die Marburger Verkehrsdialoge setzen im Vorfeld an die Konzepterarbeitung externe Impulse und bringen lokale Akteure miteinander ins Gespräch. Beim Zweiten Marburger Verkehrsdialog ging es um „Impulse für einen nachhaltigen Wirtschaftsverkehr“. Damit gemeint sind nicht zuerst Lastwagen, sondern insbesondere die rund 30.000 Einpendler*innen, die täglich von außerhalb nach Marburg zu ihrem Arbeitsplatz fahren. „Wir wollen nicht die Autos aus der Stadt verbannen. Wir wollen, dass alle sich morgens frei entscheiden können, welches Verkehrsmittel sie nutzen“, erklärte Spies. Dafür müsse es gute Wahlmöglichkeiten geben.
Wie denn nachhaltiger Verkehr bei der Firma SMA Solar Technology in Niestetal aussieht, hat der Firmen-Nachhaltigkeitsbeauftragte Matthias Schäpers in der digitalen Veranstaltung vorgestellt: „Ein betriebliches Mobilitätsmanagement bietet viel Potential. Die Effekte wirken sich positiv auf das Unternehmen und die Gesellschaft aus.“ Kommen viele Mitarbeiter*innen mit dem Fahrrad zur Arbeit, muss das Unternehmen weniger Parkplätze bereitstellen, die Mitarbeiter*innen selbst sparen Fahrtkosten, tun etwas für ihre Gesundheit, alle gemeinsam leisten einen Beitrag für die Umwelt. Um einen nachhaltigen Wirtschaftsverkehr zu erreichen, müssten Unternehmen und Kommunen kooperieren. Unternehmen könnten ansetzen bei Fuhrpark, Dienstfahrten und Dienstreisen, E-Mobilität und Logistik. Kommunen haben Steuerungsmöglichkeiten bei der Stellplatzsatzung, beim ÖPNV und beim Ausbau von Share-Systemen etwa für Autos und Fahrräder.
Die Firma SMA hat laut Schäpers festgestellt, dass die Mitarbeiter*innen im Schnitt 24 Kilometer vom Arbeitsplatz entfernt wohnen. Eine interne Arbeitsgruppe Mobilitätsmanagement hat sich damit genauer befasst. Für nachhaltigere Mobilität haben sie ein ganzheitliches Fahrradkonzept erstellt – sie bieten etwa Leasing-Modelle an und einen städtischen Fahrradverleih am Firmenstandort – es gibt eine Mitfahrbörse, Jobticket, die Ladestationen für E-Mobilität wurden ausgebaut und die Unternehmensflotte steht im Car-Sharing-Modell auch für Mitarbeiter*innen und Anwohner*innen zur Verfügung. Auch für die Logistik hatte Schäpers einige Ansätze für die Zukunft dabei – beispielsweise können bei SMA die Mitarbeiter*innen zentral ihre privaten Pakete zustellen lassen. Auch Logistikstationen für die letzte Meile und eine Anbindung mit Lastenfahrrädern könnten ein Zukunftsansatz für Unternehmen sein. „Gerade bei der Mobilität gibt es viele Gewohnheiten, das kann man nicht einfach verändern. Aber es wird einfacher, wenn man es ökonomisch darstellt.“
© Patricia Grähling, Stadt Marburg
Nach den Impulsen übernahm Thomas Ranft die Moderation und stellte den Podiumsgästen Fragen, die u.a. Zuschauer*innen des Live-Streams einbrachten. Was kann die Kommune dafür tun, mehr Pendelnde vom Auto wegzubringen? – lautete dann die erste Frage des Abends, die der Erste Kreisbeigeordnete Marian Zachow beantwortete: „Wir müssen Lust machen auf das Umsteigen! Sich mit Bus und Bahn zur Arbeit fahren zu lassen statt sich stressig im Auto durch den Berufsverkehr zu kämpfen, ist ein Stück Komfort. Wer umsteigt, gewinnt Lebensqualität und kann die Zeit anders nutzen.“ Für diesen Qualitätsgewinn müsse man offensiver werben und Lust auf den ÖPNV machen. Besonders das Jobticket sei dabei eine Chance: Deswegen appellierte Zachow, dass noch mehr Unternehmen aus der Region sich auf dieses hochattraktive Angebot einlassen: „Das Jobticket kann eine ,Einstiegsdroge‘ für den ÖPNV werden, die hilft, alte Fahrgewohnheiten zu überwinden und den ÖPNV zu entdecken.“
Uni-Präsidentin Prof. Dr. Katharina Krause erklärte, dass auch die Uni noch mehr nachhaltige Mobilität in den Fokus nehmen könne. „Mein Auto steht hier seit 6.05 Uhr. Dazwischen hätten es andere dienstlich nutzen können. Das ist eine spannende Anregung aus dem Vortrag von Herrn Schäpers“, nahm sie mit. Lastenräder nutze die Uni bereits als Transportmittel, genutzt werde das sehr rege. Tina Stoll vom AStA-Verkehrsreferat nennt ausgebaute und sichere Radwege als wichtigen Punkt, um den Umstieg aufs Rad zu erleichtern. „Wir müssen daran arbeiten, dass es bequemer wird, mit anderen Verkehrsmitteln als dem Auto anzureisen.“
„Es gibt kein Patentrezept mit Lösungen für alle Mobilitätsfragen“, so Oskar Edelmann, IHK Kassel Marburg. Ein erster Schritt seien ein Jobticket für kleine Unternehmen und eine Verstärkung des Park-&-Ride-Systems. Auch könnten Güter- und Personenverkehr miteinander verknüpft werden. Thomas Görge, Geschäftsführer von Pharmaserv, berichtete, dass sein Unternehmen positive Erfahrungen mit Heimarbeit gemacht habe. Das sei auch ein Faktor, um Verkehre von Pendler*innen zu reduzieren.
Gemeinsam könne man so das Ziel erreichen, dass sich in Marburg jeder Mensch morgens überlegen könne, ob er oder sie mit dem Auto, dem Rad, zu Fuß oder dem ÖPNV unterwegs sein möchte. „Mobilität muss sich in Marburg so entwickeln, dass sich alle sicher unterwegs fühlen können!“, betonte das Stadtoberhaupt. Diskutiert werden konnten in der digitalen Veranstaltung nicht alle Fragen aus dem digitalen Publikum. „Aber alle ihre Fragen und Ideen gehen nicht verloren“, betonte OB Spies zum Abschluss. Die Fragen und Kommentare werden mit der Nachbereitung der Veranstaltung auf der städtischen Internetseite einsehbar sein.