Statt einer vollen Kirche mit hunderten Bürger*innen – wie zum „Unerschrockenen Wort 2019“ in Marburg – wurden die belarussischen Bürgerrechtlerinnen corona-bedingt im kleinen Rahmen geladener Gäste geehrt. Für die Öffentlichkeit wurde die Veranstaltung live im Internet übertragen. Die Laudatio auf die Preisträgerinnen hielt Bundestagspräsident a.D. Prof. Dr. Norbert Lammert. Neben den Vertreter*innen Marburgs und der anderen Lutherstädte war auch die stellvertretende Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Anne Spiegel, dabei. Ministerpräsidentin Mali Dreyer hatte kurzfristig abgesagt, sie wurde im Hochwasser-Krisenstab gebraucht.
Mit dem Preis das „Unerschrockene Wort“ honorieren die Lutherstädte die Entschlossenheit, das mutige Auftreten und den friedlichen Widerstand gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung in Belarus. „Diese drei Frauen stehen stellvertretend für tausende von friedlich demonstrierenden Menschen, die derzeit für politische Veränderungen in Weißrussland kämpfen. Sie stehen für eine friedliche Revolution, für Neuwahlen und für eine demokratische Zukunft ihres Landes“, heißt es in der Jurybegründung. Dafür riskierten sie Verfolgung, Haft, Folter und Abschiebung.
Dass die Widerstandsbewegung gegen den „letzten Diktator Europas“ in Belarus ein „weibliches Gesicht“ hat, war eines der zentralen Themen in den Reden zur Preisverleihung. „Weronika Zepkalo, Swetlana Tichanowskaja und Maria Kolesnikowa stehen in einer stolzen Tradition starker Frauen, die sich durch die Geschichte und rund um den Globus gegen Unterdrückung auflehnen“, hatte Marburgs Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies schon bei der Verkündung der Juryentscheidung betont. „Wir hoffen, dass unser Preis sie in ihrem Kampf für Freiheit und Demokratie unterstützt und ermutigt. Wir wünschen uns, dass ,Das unerschrockene Wort‘ einen Beitrag leistet zur Anerkennung ihrer legitimen Forderung nach freien Wahlen und Überwindung autoritärer Herrschaft.“
Der Wormser Oberbürgermeister Adolf Kessel spannte in seiner Rede in der Dreifaltigkeitskirche den Bogen von Widerstandskämpfer Graf von Stauffenberg – anlässlich des 20. Juli, an dem der Preis überreicht wurde – über Reformator Martin Luther hin zu den Freiheitskämpferinnen aus Belarus und überreichte ihnen im Namen der Lutherstädte den Preis: „Durch Luther erhielt die Berufung jedes Einzelnen auf sein individuelles Wissen und Gewissen – unmittelbar gebunden einzig an Gott und an die menschliche Vernunft – einen entscheidenden Impuls, der bis in die heutige Zeit nachwirkt. Aufgrund ihres Einsatzes für Demokratie in Belarus, stellvertretend für tausende Menschen in ihrer Heimat, mit der Berufung auf ihr Gewissen, ihrem unerschrockenen Wort und friedlichen Protest, dürfen wir – der Bund der Lutherstädte – diesen Preis ,Das unerschrockene Wort‘ 2021, in Hochachtung und tiefstem Respekt an Frau Zapkala, Frau Kalesnikawa und Frau Zichanouskaja überreichen.“
„Es braucht Mut und Zivilcourage, sich für die Demokratie einzusetzen“, sagte Anne Spiegel in Worms. „Das galt für Martin Luther vor mehr als 500 Jahren, das gilt heute für die Opposition in Belarus. Daher freue ich mich sehr über die Auswahl Weranika Zepkala, Swjatlana Zichanouskaja und Maria Kalesnikawa. Die drei Frauen stehen stellvertretend für tausende friedlich demonstrierende Menschen. Der Lutherpreis würdigt, dass sie gemeinsam gegen brutalsten Widerstand des autoritären Systems für eine demokratische Zukunft in ihrem Land eintreten.“
© Stadt WormsAuch Prof. Dr. Norbert Lammert er erinnerte an die deutsche Geschichte unter der Nazi-Diktatur und honorierte den Widerstand der Freiheitskämpferinnen gegen das Regime in Belarus: „Es braucht immer Demokraten, die Verantwortung übernehmen und den Mut haben, aus aussichtslosen Situationen neu anzufangen.“ In Anlehnung an das „Hier stehe ich und kann nicht anders“ von Luther, sagte Lammert in Richtung der Preisträgerinnen: „Natürlich hätten sie anders gekonnt, aber sie wollten nicht anders.“ Wer Widerstand leiste, entscheide sich dafür, mutig, entschlossen, mit dem Wissen um die Gefahr und die möglichen Konsequenzen.
Die beiden „Unerschrockenen“, Weranika Zapkala und Tatjana Chomitsch, berichteten von massenweisen Inhaftierungen, Folter und unwürdigen Haftbedingungen für Oppositionelle in Belarus. Chomitsch hielt immer wieder ein Plakat ihrer inhaftierten Schwester hoch. Beide betonten, der Widerstand in ihrem Heimatland sei angewiesen auf die Unterstützung, von außen, aus Deutschland. Preise wie das „Unerschrockene Wort“ lenkten die dringend nötige internationale Aufmerksamkeit auf die schreckliche Situation in Belarus. Trotz aller Übermacht der Diktatur richteten sie auch Worte der Hoffnung an die Zuhörenden: „Auf die dunkelste Stunde folgt stets der Sonnenaufgang.“
Den Preis „Das unerschrockene Wort“ vergibt der Bund der Lutherstädte seit 1996 alle zwei Jahre an couragierte Persönlichkeiten. Der Preis erinnert an den Mut und die Standhaftigkeit des Reformators, als dieser sich auf dem Reichstag zu Worms 1521 weigerte, seine Ansichten zu widerrufen und daraufhin geächtet wurde. Die Lutherstädte sind Marburg, Augsburg, Coburg, Eisenach, Eisleben, Erfurt, Halle (Saale), Heidelberg, Magdeburg, Nordhausen, Schmalkalden, Speyer, Torgau, Wittenberg, Worms und Zeitz. Der 13. Preis wurde zum Jubiläum „500 Jahre Wormser Reichstag“ in der Jubiläumsstadt vergeben.
Die nächste Jurysitzung findet im Herbst 2022 statt, die 14. Preisverleihung im Frühjahr 2023 in der Lutherstadt Schmalkalden. Zur Jurysitzung kann jede der 16 Lutherstädte einen Kandidaten oder eine Kandidatin aus dem In- oder Ausland nominieren. Aus diesen ermittelt die Jury – bestehend aus den Vertreterinnen und Vertretern der Städte und weiteren Personen des öffentlichen Lebens – die gemeinsame Preisträgerin bzw. den Preisträger. Die Stadt Marburg wird im Sommer 2022 wieder einen Aufruf an die Bürger*innen starten, ihre Vorschläge für würdige Preisträger*innen miteinzubringen.
Die Aufzeichnung der Preisverleihung in Worms ist zu sehen unter https://youtu.be/TiMYdRQ1vW4.