© Nadja Schwarzwäller im Auftrag der Universitätsstadt Marburg„An der Kultur eines Friedhofs lässt sich der gesellschaftliche Umgang mit dem Tod und den Verstorbenen ablesen“, sagte Marburgs Bürgermeister Dr. Franz Kahle. Der Marburger Hauptfriedhof ist inzwischen 150 Jahre alt und für die Geschichte der Universitätsstadt bedeutsam. Er wurde über die Jahre mehrfach erweitert und er beherbergt verschiedene Abteilungen – unter anderem Kriegsgräber, ein anonymes Urnenfeld, Felder für Kinder und für „Sternenkinder“ (Tot- und Fehlgeburten), einen islamischen Friedhofsteil und den neuen jüdischen Friedhof.
Die Bedingungen, auch die Emotionen rund um ein Begräbnis haben sich im Lauf der Zeit verändert, so der Bürgermeister. Dem Bedürfnis vieler Menschen nach neuen Bestattungsformen versucht man in der Universitätsstadt Marburg Rechnung zu tragen: Nachdem vor 15 Jahren noch rund drei Viertel aller Begräbnisse eine klassische „Leichenbestattung“ und ein Viertel Urnenbestattungen waren, sind die Zahlen heute umgedreht. Deshalb stehen auf dem Hauptfriedhof derzeit 360 Urnenkammern zur Verfügung – 48 davon in einem erst letzten Monat neu errichteten Urnenquader. Auch auf den Friedhöfen in Wehrda, Cappel und der Marbach gibt es Urnenkammern.
Innerhalb weniger Jahre sei außerdem die Nachfrage sowohl nach anonymen Begräbnissen sowie nach Baumbestattungen gestiegen. Aus diesem Grund wurden die beiden alten Friedhöfe bei St. Jost und am Barfüßer Tor für diese Art der Bestattung „reaktiviert“. Auch auf dem Hauptfriedhof und den kleineren Stadtteilfriedhöfen ist es möglich, eine Urne unter einem Baum begraben zu lassen. Ferner ist neben dem Friedhof in Cappel ein Teil des Waldes als Urnenhain ausgewiesen.
Die Anlage des Hauptfriedhofs wurde über viele Jahre hinweg geplant – damals noch vor den Toren der Stadt, auf dem Weg nach Ockershausen (ein zu der Zeit noch eigenständiges Dorf). Der „Roes’sche Garten“ an der Ockershäuser Allee wurde angekauft und der „Totenhof“ – so die offizielle Bezeichnung – wurde als Quartierfriedhof angelegt. Bei der Feierstunde gab Dr. Barbara Rumpf-Lehmann einen Überblick über die Historie von den Anfängen, in denen man Kirchgänger von den Ausdünstungen der Toten, die früher eben meist in der Nähe der Kichen bestattet wurden, gefährdet sah bis hin zu den jüngsten Erweiterungen.
Zwischenzeitlich hatte man auch Planungen erwogen, einen zweiten Friedhof von über zehn Morgen am Wehrdaer Weg anzulegen, so Dr. Rumpf-Lehmann. Stattdessen wurde der bestehende Totenhof durch den Ankauf von Grundstücken jenseits der Habichtstalgasse erweitert. Heute umfasst der Hauptfriedhof eine Fläche von 22 Hektar bis hinauf zum Rotenberg. Dort wurde 1984 auch eine zweite Kapelle gebaut, zusätzlich zu der 1893/94 errichteten Kapelle an der Ockershäuser Allee. In der Entwicklung und Gestaltung des Friedhofs lassen sich naturästhetische und gartenkünstlerische Vorstellungen der verschiedenen Zeiten ebenso ablesen wie die Veränderungen in der Grabmal- und Bestattungskultur.
© Nadja Schwarzwäller im Auftrag der Universitätsstadt MarburgDass ein gesellschaftlicher Wandel im Umgang mit Bestattung, Tod und Gedenken stattgefunden hat, stellt auch Dr. Jutta Schuchard fest. Sie hat gemeinsam mit Dr. Barbara Rumpf-Lehmann und Ulrich Klein die Texte für die zum Jubiläum erschienene Broschüre „Der Hauptfriedhof an der Ockershäuser Allee“ geschrieben. Friedhöfe seien auch als Kulturgut bedeutsam. Der Marburger Hauptfriedhof vereine mehrere Friedhofstypen in sich und stelle in seiner Vielfalt eine Besonderheit dar. Friedhöfe seien indes nicht nur eine Begräbnisstätte, sondern auch „ein Ort der Ruhe und Stille auch für Lebende“ und als „grüne Lungen“ von ökologischer Bedeutung.
Die Feierstunde in der alten Friedhofskapelle an der Ockershäuser Allee wurde von Gerold Vorrath an der Orgel musikalisch umrahmt. Die Broschüre zum 150-jährigen Bestehen des Hauptfriedhofs ist bei der Friedhofsverwaltung erhältlich. Diese befindet sich übrigens in direkter Nachbarschaft in der Ockershäuser Allee 15, nachdem sie bis ins Jahr 1925 gar keinen eigenen Raum hatte. Die entsprechenden Unterlagen waren in der Wohnung des Friedhofsverwalters am Rotenberg untergebracht.
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