© Thomas Steinforth, Stadt Marburg „Sicherheit und Sicherheitsempfinden sind Themen, denen man sich immer widmen muss“, sagt Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies und begründet: „Das Gefühl von fehlender Sicherheit kann zu Einschränkungen in der Freizeitgestaltung, der Handlungsmöglichkeiten und der gesamten Lebensqualität führen. Doch die Angst vor Gefahren und reale Gefahren sind nicht immer das Gleiche.“ Daher war es der Stadt ein besonderes Anliegen, an der Befragung im Rahmen des „Kommunalprogramms Sicherheitssiegel“ (KOMPASS) teilzunehmen. KOMPASS ist ein Programm des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport, das durch enge Zusammenarbeit der Kommunen, der Polizei und insbesondere der Bürger*innen sowohl das subjektive Sicherheitsgefühl steigern als auch die Kriminalitätsrate senken soll.
Insgesamt fühlen sich die Menschen in Marburg laut den KOMPASS-Daten tagsüber sehr sicher und nachts eher sicher. Dabei gibt es aber auch Orte in der Stadt, an denen sie sich eher nicht sicher fühlen: Junge Männer nennen belebte Orte wie den Hauptbahnhof sowie Marburgs Mitte mit dem Elisabeth-Blochmann-Platz, den Lahnterrassen und den Lahnwiesen, wo sie auf andere junge Männer treffen, mit denen sie in Konflikte geraten könnten. Dagegen meiden Frauen bei Dunkelheit Orte wie den Ludwig-Schüler-Park und die Wege, die an der Lahn entlangführen. Als präventive Maßnahmen eignen sich Alarmknöpfe und mobile Notfall-Apps, wohingegen vor einer Bewaffnung mit Messern, Schreckschusswaffen oder Pfeffersprays dringend abgeraten wird.
Neben dem Sicherheitsgefühl hat auch die Lebensqualität in Marburg sehr gute Bewertungen erhalten. Nach Stadtteilen gibt es jedoch Unterschiede. Während sich die Bürger*innen in Michelbach, im Südviertel und der Marbach am sichersten fühlen, ist das Sicherheitsempfinden auf dem Richtsberg schlechter als in den anderen Stadtteilen. Daher kümmern sich die Beteiligten des Projekts „Einsicht – Marburg gegen Gewalt“ intensiv um diesen Stadtteil, unter anderem mit einer zusätzlichen, spezifischen Befragung, die ebenfalls Anwohner*innen und einschlägigen Gremien vorgestellt werden soll, sowie Maßnahmen zur Stärkung der Integration.
Auf Grundlage der ersten repräsentativen Bürger*innenbefragung hat bereits eine Ortsbegehung in Marburgs Innenstadt mit verschiedenen Gremien und Expert*innen stattgefunden. Sonja Böhm, Beraterin für städtebauliche Prävention im Polizeipräsidium Mittelhessen, stellte die Erkenntnisse vor. Diese betrafen vor Allem den Ortenbergsteg, den Schülerpark mit Unterführung zum Blitzweg sowie den Fußweg entlang der Philosophischen Fakultät, die unter anderem Gegenstand einer ersten Begehung waren. Sonja Böhm betonte auch den positiven Gesamteindruck, der sich aus Sicht der städtebaulichen Kriminalprävention an den begangenen Örtlichkeiten zeigte, insbesondere die Übersichtlichkeit am Bahnhofsvorplatz, die Sauberkeit und die in ausreichender Anzahl vorhandenen Straßenlaternen. Wesentliche „Best Practice“ für Prävention setzt die Stadt bereits um. Dazu gehören beispielsweise das Zurückschneiden von Sträuchern oder zusätzliche Beleuchtung. Denn um sogenannten Angst-Orten entgegen zu wirken, setzt die städtebauliche Kriminalprävention vor allem auf uneingeschränkte Sicht, Licht und Sauberkeit.
Doch auch die Präsenz von Sicherheitskräften, Jugendarbeit und offene Angebote sowie persönliche Ansprachen seien entscheidend. Auf das Sicherheitsempfinden positiv wirke sich auch die Möglichkeit der persönlichen Kontaktaufnahme aus, erinnerte der OB an das Ergebnis des „LiSA“-Einsatzes im Jägertunnel. Die „Livebild- und Sprechverbindung auf Abruf“ hat neben freundlicher Farbgestaltung dazu beigetragen, dass der Durchgang zwischen Alter und Neuer Kasseler Straße weniger als „Angst-Ort“ empfunden wird.
In Marburg haben außerdem Sonderkontrollen und verdeckte Fußstreifen im Rahmen des bereits 2018 aufgelegten Präventionskonzepts „Sicheres Marburg“ zu mehreren Haftbefehlen gegen Jugendliche und Erwachsene geführt, was laut Polizei einen Rückgang der Straftaten bewirkte. Auch das städtische Ordnungsamt kontrolliert vermehrt in der Innenstadt. Die Stadtpolizei wurde um vier zusätzliche Stellen aufgestockt. Mit dem Programm suPPOrdJu – gemeinsame Präsenz und abgestimmte Ansprachen von Polizei, Ordnungsamt und Jugendamt – ist in Marburg eine Kooperation wichtiger Stellen bereits etabliert. Angebote für aufsuchende Sozialarbeit gibt es, weitere werden vom Jugendamt auf den Weg gebracht. Polizei und Stadtverwaltung arbeiten dabei eng zusammen.
„Die Stadt würde es befürworten, wenn die KOMPASS-Befragung seitens des Landes regelmäßig wiederholt wird“, schloss der OB ein abschließendes Resümee zur Sicherheitskonferenz. „Wir sind sehr gespannt auf die Vergleichsdaten der anderen Städte, die noch kommen sollen.“
Daten und Hintergrundinformationen
Die KOMPASS-Studie basiert auf einer repräsentativen Befragung von zufällig ausgewählten Marburger*innen ab 14 Jahren. Der Erhebungszeitraum umfasst den 22. Juni bis 30. Juli 2020. 1150 Fragebögen konnten ausgewertet werden. Befragt wurden die Bürger*innen unter anderem nach Angsträumen, aber auch nach ihrer Belastung durch Straftaten wie Einbrüchen, Überfällen oder sexuellen Belästigungen. Entwickelt wurde der umfangreiche KOMPASS-Fragenkatalog, an dem sich mittlerweile mehr als 100 ausgewählte Städte und Gemeinden in Hessen beteiligen, von einem Team um Kriminologin Prof. Britta Bannenberg von der Uni Gießen. In Marburg wurden die anonymisierten Daten durch den städtischen Projektkoordinator für Gewaltprävention, Johannes Maaser, und den Sozialpsychologen Prof. Ulrich Wagner ausgewertet.
Das gute Sicherheitsgefühl, das aus der Bürger*innenbefragung hervorgeht, deckt sich insgesamt mit der Kriminalitätsstatistik. So liegen in der jüngst veröffentlichten Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) für 2022 die Straftaten im Landkreis Marburg-Biedenkopf mit einer Häufigkeitszahl (Straftaten pro 100.000 Einwohner*innen) von 4191 deutlich unterhalb des hessischen Landesdurchschnitts von 5855 und weit unterhalb der Häufigkeitszahl für Deutschland, die bei 6762 liegt.
Eine Auffälligkeit der PKS für 2022 ist nach Angaben der Polizei der Anstieg der Jugendkriminalität in Marburg, der vor allem die Innenstadt, belebte Plätze und Straßen betrifft. Auffallend seien vor allem die vergleichsweise große Zahl männlicher Intensiv-Täter unter 18 Jahren – ein Trend, der von Sicherheitsbehörden und Expert*innen der Jugendarbeit zurzeit in ganz Deutschland und seinen Nachbarländern beobachtet wird.
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