Ziel der Planung ist eine zukunftsweisende Altenhilfe am Richtsberg mit Lösungen, „die möglichst dicht an das Wohnen zu Hause herankommen“, betonte Spies. Um das 1975 errichtete, siebenstöckige und dringend sanierungsbedürftige Altenzentrum in der Sudetenstraße mit seinen 83 Plätzen zu modernisieren, beschloss die Stadtverordnetenversammlung im vergangenen Jahr das „Marburger Modell“. Danach sollten auf vier Stockwerken des Altenzentrums jeweils zwölf Plätze nach dem Prinzip der Hausgemeinschaften sowie sieben bis acht klassische, stationäre Plätze für Bewohnerinnen und Bewohner mit intensiverem Pflegebedarf pro Etage entstehen – insgesamt also 76 bis 80 Plätze.
Allerdings genehmigte die zuständige Betreuungs- und Pflegeaufsicht des Regierungspräsidiums dieses Konzept so nicht, weil nach ihren Auflagen sowohl die Funktionsräume als auch das Personal für stationäre Pflegebereiche einerseits und Hausgemeinschaften andererseits strenger getrennt werden müssen.
Nach der Beratung im Aufsichtsrat der Stiftung St. Jakob am Mittwochabend stellte Spies am Donnerstag zwei weitere Varianten zur Diskussion, mit denen das „Marburger Modell“ fortentwickelt werden kann und soll. „Ich denke, dass es sich lohnt diese zwei Optionen zu prüfen“, warb er.
In der als „Stadtverordnetenversammlung quer“ bezeichneten Alternative würden sich Hausgemeinschaften und Pflegeplätze auf sechs statt bisher vier Etagen verteilen – die Etagen 1 bis 4 beherbergten dann die Hausgemeinschaften mit ihren je zwölf Plätzen sowie in einem extra Block daneben je acht normale Mietwohnungen pro Stockwerk. Die Etagen 5 und 6 würden klar abgegrenzt mit je 20 Plätzen der klassischen stationären Pflege vorbehalten. Dadurch könnten mehr Funktionsräume eingerichtet werden und beide Bereiche wären wie gefordert getrennt. Im Erdgeschoss blieben wie im „Marburger Modell“ vorgesehen ein geplantes Begegnungszentrum und die Verwaltung, die siebte Etage würden weitere 20 Mietwohnungen umfassen. Der Nachteil: Während der Umbauphase sind erhebliche Einschränkungen für die Lebensqualität der Bewohnerinnen und Bewohner des ja bereits bestehenden Altenheims und wirtschaftliche Einbußen zu erwarten.
Im zweiten Modell „Doppelstandort“, das der Oberbürgermeister vorstellte, würde die Sudetenstraße am „Oberen Richtsberg“ zum Standort für Betreutes Wohnen sowie für ein Begegnungszentrum mit einem Café, das mit stark erweitertem Programm zum örtlichen Treffpunkt ausgebaut wird. „Denn nichts ist schlimmer als die Isolation älterer Menschen“, betonte Spies. Im Begegnungszentrum kann quartiersbezogen auch ein Mittagstisch angeboten werden. Zugleich beinhaltet diese Variante, dass der Ambulante Dienst der Altenhilfe, die Tagespflege und eine Beratung in die Sudetenstraße einziehen. Mietwohnungen, gerade auch für Studierende, sowie Wohnungen für Schwestern des Klinikums gehören ebenfalls zur Variante „Doppelstandort“.
Am „Unteren Richtsberg“ würde nach dieser Lösung ein Ergänzungsbau auf dem ehemaligen Vitos-Gelände für intensiver pflegebedürftige Menschen in moderner und zeitgemäßer Form mit Wohngruppen in Anlehnung an das Hausgemeinschaftsprinzip entstehen. „Die Kleinteiligkeit ist hier ein Kerngedanke, der differenzierte Angebote ermöglicht“, erklärte Spies. Hier fänden auch Wohngruppen für Demenzkranke mit angeschlossenem Garten oder für die Palliativversorgung baulich Platz. Zudem sind hier Kooperationen mit der nahegelegenen Tagespflegeeinrichtung Aura, der Vitos-Klinik und der Kindertagesstätte möglich. Auch Infrastruktur wie Bäcker oder Friseur sollen einbezogen werden. Die bisherigen Bewohnerinnen und Bewohner aus der Sudetenstraße könnten nach Fertigstellung der neuen Einrichtung umziehen und müssten nicht im Lärm des Umbaus leben.
Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies schlägt vor, diese beiden Optionen zu prüfen und will das der Stadtverordnetenversammlung im Oktober per Beschlussvorlage vorschlagen. „Entschieden ist noch nichts“, betonte er. Für ihn seien beide Varianten gleichberechtigt zu prüfen und nach einem entsprechenden Auftrag des Parlaments genauer zu analysieren. „Ziel sind kleinere Einheiten, die sich nicht an der Institution, sondern an den Menschen orientieren, die dort leben“, skizzierte Spies den Weg, konventionelle Pflege zugunsten alltagsorientierter Modelle für die Menschen abzubauen.
Die Leiterin der Marburger Stabsstelle Altenplanung, Dr. Petra Engel, hatte zuvor eindrucksvoll berichtet, wie umfangreich schon jetzt für die älteren Menschen am Richtsberg gearbeitet wird. Grundlage dafür sind die Ergebnisse von Befragungen der Seniorinnen und Senioren am Richtsberg. Danach wünschten sich die Älteren vor allem mehr Begegnung und Kontakt im unmittelbaren Umfeld. Daher werden neuerdings Nachbarschafts- und Hausfeste von der Stadt unterstützt – das erste Hausfest hatte bereits eine gute Resonanz. Gewünscht wird auch ein zentraler Ort der Begegnung, wie er im Erdgeschoss des Altenzentrums in der Sudentenstraße vorgesehen ist. In regelmäßigen Bürgergesprächen und Begehungen wird zudem geklärt, wo die älteren Richtsbergerinnen und Richtsberger Ruhebänke, Geländer oder mehr Lampen brauchen. Zudem ist ein Infoblatt mit kleinteiligen Informationen für Seniorinnen und Senioren am Richtsberg geplant. „Es lohnt sich sehr den gesamten Stadtteil in den Blick zu nehmen. Denn je besser die Versorgung durch Alltagsstrukturen ist, umso länger können die Menschen auch im Alter zu Hause in ihrer Wohnung bleiben“, so Engel.
Zur Bürgerversammlung eingeladen hatte Stadtverordnetenvorsteherin Marianne Wölk. Für Fragen stand im Gemeinschaftszentrum am Richtsberg neben Spies und Engel auch der Geschäftsführer der Altenhilfe, Jörg Kempf, zur Verfügung.