„Wir möchten die Stadt danach ausrichten, dass sie für Menschen lebenswert ist und dass alle dahin kommen, wohin sie möchten – und das möglichst bei freier Wahl des Verkehrsmittels“, sagte Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies am Dienstag bei der Auftakt-Veranstaltung der Bürger*innenbeteiligung für MoVe35. Der Abend wurde aus dem Bürgerhaus Michelbach live über das Internet übertragen. Maßgeblich für das MoVe-Konzept sollen vor allem das Wissen über die Verkehrsbewegungen in der Stadt und eben die Vorschläge, Ideen und Wünsche der Verkehrsteilnehmer*innen sein, so Spies.
Den geplanten Ablauf bis zum fertigen Konzept stellten die Mobilitätsbeauftragte der Stadt, Jana Schönemann, und Manuela Klug vom Fachdienst Stadtplanung und Denkmalschutz vor. „Ziel und Zweck ist es, eine Rahmenplanung und Leitlinien für die nächsten 15 Jahre zu erarbeiten“, sagte Schönemann. Die Gesamtstrategie wird „verkehrsmittelübergreifend“ angegangen – also Fuß- und Radwege spielen ebenso eine Rolle wie der Verkehr auf Straßen und auf Schienen. So sollen gute Angebote für die Marburger*innen ebenso wie für die vielen Pendler*innen in der Stadt entstehen.
Denn: Der Verkehr von und nach Marburg macht rund zwei Drittel aller Verkehrsbewegungen in der Stadt aus. Wie genau diese Bewegungen aussehen – also wer sich wann mit welchem Verkehrsmittel von wo nach wo bewegt – wird nun im Detail analysiert. Liegt diese Analyse vor, werden laut Jana Schönemann Planungsziele und Leitlinien erarbeitet. Dazu kommen dann eine so genannte Szenarienbetrachtung, die Entwicklung von Maßnahmenempfehlungen, deren Bewertung und Priorisierung, eine Umsetzungsstrategie, ein Evaluationskonzept sowie der Endbericht. Die ganze Konzepterarbeitung dauert etwa zwei Jahre, im Sommer 2022 soll Movfe35 fertig sein.
Grundlage für MoVe35 ist der Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 11. April 2019, als sich das Stadtparlament für eine neue Mobilitätsstrategie ausgesprochen hat. Bereits bestehende Konzepte und Planwerke werden natürlich berücksichtigt, betonen Schönemann und Klug. Dazu zählen der Radverkehrsentwicklungsplan, der derzeit umgesetzt wird, und einzelne Klimaschutzkonzepte der Stadt ebenso wie zum Beispiel der Lärmaktionsplan Mittelhessen. Auch Ergebnisse von Bürger*innenbeteiligungen, die schon vorliegen, werden ins Konzept einfließen, beispielsweise aus dem „Zukunftskonzept Oberstadt“ oder zum Wohnquartier Hasenkopf.
„Es wird Konflikte geben und wir werden Kompromisse finden müssen“, stellten die Verantwortlichen nach den ersten Nachfragen aus den Reihen der Teilnehmer*innen der Online-Veranstaltung klar. Aber gerade weil so viele Interessen unter einen Hut gebracht werden müssen, erhoffen sich die Planer*innen eine breite Beteiligung von Bürger*innen sowohl aus der Stadt als auch aus dem Umland. Um die umliegenden Kommunen einzubinden, sind Städte und Gemeinden ebenso wie der Landkreis und Vertreter*innen aus Bürgerschaft, Wirtschaft, Verwaltung, Initiativen und Verbänden in einer projektbegleitenden Arbeitsgruppe einbezogen.
Projektleiter Jan Diesfeld vom Büro Planersocietät, das mit der Erstellung des Konzepts beauftragt ist, erklärte, dass bestehende Konzepte und Beteiligungsverfahren schon gesichtet, Grundlagendaten ausgewertet und Ortsbegehungen und -befahrungen schon auf dem Plan standen. Erste Ergebnisse: Etwa ein Drittel der Verkehrswege erledigen die Menschen in Marburg zu Fuß. 42 Prozent der Verkehrsbewegungen entfallen auf den Autoverkehr – das entspricht in gefahrenen Kilometern etwa 19 Erdumrundungen pro Tag. „Auf kurzen Wegen sollten die Alternativen zum Auto ausgebaut werden“, so Diesfeld.
Stark ist Marburg bereits in Sachen Fußwegenetz in der Kernstadt und der hohen Aufenthaltsqualität an vielen Orten: „Es gibt attraktive Stadträume mit Sitzmöglichkeiten oder Spielelementen“, sagte Diesfeld. Beim Radverkehr sehen die Expert*innen noch viele nicht ausgeschöpfte Potenziale. Das äußere Stadtgebiet sei nicht oder nur sehr wenig erschlossen. Ähnlich sei das Bild in Sachen öffentlicher Nahverkehr: Auch hier bescheinigt Dies der Stadt zum Teil große Defizite, wenn es in die Außenstadtteile geht.
Für Autofahrer*innen ist Marburg über die B3 gut zu erreichen, die Innenstadt fungiert allerdings dann als „Nadelöhr“ und es gibt gerade zu Stoßzeiten viel Verkehr sowie einige „komplexe Kreuzungen“ – zum Beispiel im Bereich der Konrad-Adenauer-Brücke oder am Wilhelmsplatz, so der Experte. Für die Erstellung von MoVe35 werden auch Punkte wie ein schulisches oder betriebliches Mobilitätsmanagement eine Rolle spielen, erläuterte Diesfeld. Verkehrszählungen sind für November geplant – ob diese aufgrund der aktuellen Corona-Lage noch einmal verschoben werden, um kein verzerrtes Bild zu erhalten, wird laut Jana Schönemann noch entschieden. Auch die Analyse des vorhandenen Parkraums in der Stadt steht noch auf der Agenda.
Über die Umfrage können alle Bürger*innen aus Stadt, Landkreis und Umland ihre Ansicht zu Stärken und Schwächen einzelner Verkehrsträger einbringen sowie ihre Visionen für die Mobilität der Zukunft äußern. Die Umfrage zu MoVe35 ist zu finden unter https://marburgmachtmit.de. Sie läuft bis zum 31. Dezember 2020. Aktuelle Informationen zu MoVe35 und den Beteiligungsmöglichkeiten gibt es auf der städtischen Homepage unter www.marburg.de/move35.