Neue Sozialwohnungen auf Vitos-Gelände
Das Wohnraumversorgungskonzept der Universitätsstadt Marburg und der Bebauungsplan für das Gelände der Vitos-Klinik Cappeler Straße/Friedrich-Ebert-Straße waren Thema einer öffentlichen Informationsveranstaltung. Gut 70 Bürgerinnen und Bürger folgten der Einladung von Bürgermeister Dr. Franz Kahle in den Festsaal der Vitos Gießen-Marburg gGmbH.
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Heiko Krause, Universitätsstadt Marburg
In seiner Begrüßung hob der Bürgermeister hervor, dass in öffentlicher Diskussion mögliche Wohnstandorte in Marburg entwickelt werden sollen. Es bestehe eine Unterversorgung an Wohnraum, machte er klar, und vor allem für geförderte Sozialwohnungen sei in Innenstadt und Innenstadtnähe ein Bedarf an mehreren hundert zusätzlichen Wohnungen. Von insgesamt 300 Wohneinheiten, die die Wohnungsbaugesellschaft GWH derzeit errichte, seien kürzlich im Waldtal in der Straße „Am Rain" die ersten 24 fertiggestellt worden, so Kahle. Weitere werden folgen.
Wie Stadtplaner Reinhold Kulle erläuterte, sei das Wohnraumversorgungskonzept von der Stadtverordnetenversammlung zur „Grundlage zukünftigen Handelns" erhoben worden. „Es ist nur eine Rahmenplanung und noch kein endgültiges Ergebnis". Aus diesem Entwurf müssten jetzt schnell weitere konkrete Bauplanungen erfolgen.
Das Konzept, so Kulle, berücksichtige einen großen Neubaubedarf. Insgesamt müssten bis 2020 etwa 1600 neue Wohneinheiten geschaffen werden. Priorität haben laut Kulle im Innenstadtbereich geförderte Mietwohnungen. Die 300 Sozialwohnungen, die die GWH derzeit baut bzw. plant, werden von Stadt und Land mit etwa 100.000 Euro pro Wohneinheit gefördert. Wahrscheinlich steige der Berdarf für sozialen Wohnungsbau in den nächsten Jahren noch deutlich. Denn etwa 300 weitere Wohneinheiten würden voraussichtlich für Flüchtlinge gebraucht.
1200 der insgesamt 1600 geplanten Wohnungen seien nur im Geschossbau umzusetzen, sagte der Stadtplaner. Und das sei in den Außenstadtteilen nur bedingt möglich.Hier habe der Bau von Eigenheimen Vorrang. Zwar seien in den Jahren 2002 bis 2012 im ganzen Stadtgebiet bereits 2000 neue Wohneinheiten entstanden; damit sei der Bedarf, so die Wohnraumstudie, aber bei weitem nicht gedeckt. Um starke Mietsteigerungen zu vermeiden, müsse daher drigend weiterer Wohnraum gebaut werden.
Gute Bauflächen seien inzwischen sehr rar geworden, betonte Kulle. Alternativen müssten entwickelt werden, beispielsweise Umwandlung von Industriegebieten, etwa in der Gisselberger Straße oder der Frauenbergstraße. Ein weiterer Inhalt des Konzeptes ist laut Kulle Barrierefreiheit, die im sozialen Wohnungsbau auch wegen des Älterwerdens der Gesellschaft mindestens 50 Prozent betragen soll.
Zu der konkreten Wohnungsbauplanung an der Ecke Cappeler Straße/Friedrich-Ebert-Straße betonte Bürgermeister Kahle, dass in diesem Baufeld kurzfristig knapp 100 Sozialwohnungen entstehen sollen.
© Heiko Krause, Stadt Marburg
Bernd Nützel von der Stadtplanung erinnerte daran, dass die frührere „Psychiatrie Cappel" 1876 noch auf dem freien Feld fern der Stadt errichtet wurde, inzwischen liege es mitten im gewachsenen Stadtgebiet. Im inneren Bereich gebe es einen erhaltenswerten Baumbestand, der nicht angetastet werden dürfe. Bürgermeister Kahle erläuterte auf Hinweise aus dem Publikum, dass vor kurzem drei alte Bäume wegen starker Schäden gefällt werden mussten. Vitos-Geschäftsführer Marc Engelhard betonte, es werde sorgsam mit dem Bestand an alten Bäumen umgegangen und auch immer Ersatzpflanzungen vorgenommen würden.
Der Wohnstandort liege außerhalb des Kernbereichs des Vitos-Geländes, so Nützel. Dort gebe es nur eine Roteichenpflanzung, die nach Einschätzung von Gärtnermeister Posor hier nie hätte angepflanzt werden sollen. Kahle betonte, dass der Naturschutzbeirat die naturschutzfachliche Einschätzung geteilt habe, dass hier eine Bebauung erfolgen könne. Zuvor hatten Kritiker geäußert, ein Gegengutachten habe ergeben, dass die Roteichen erhalten werden müssten, da eine außerordentliche Artenvielfalt vorkomme. Dem sei nach Auffassung des Naturschutzbeirates nicht so, sagte Kahle.
Der Bebauungsplan für das Gelände, so Nützel, beruhe auf der unter Bürgerbeteiligung aufgestellten Rahmenplanung aus dem Jahr 2003, die unter anderem vorsehe, dass kein Durchgangsverkehr durch das Klinikareal erfolgt, die Zuwegung zu den geplanten Wohnungen müsse demnach über die Friedrich-Ebert-Straße erfolgen.
Vitos-Geschäftsführer Engelhard betonte, dass zunächst die dringend benötigten knapp 100 Sozialwohnungen Priorität hätten. Die Klinik mit bereits entstandenen Neubauten bleibe im Kernbereich des Geländes. Entstanden seien in letzter Zeit in bestehenden Gebäuden von der Klinik nicht mehr genutzten unter anderem eine Pflegeeinrichtung und ein Seniorenwohnheim. Zudem habe die Stadt ein Stück gekauft und dort eine Kindertagesstätte gebaut.
„Es ist wichtig, dass wir uns unserer sozialpolitischen Verantwortung stellen", so Engelhard. Mittelfristig wolle Vitos zur Cappeler Straße hin weitere Gesundheitsanbieter ansiedeln und ein medizinisches Versorgungszentrum mit niedergelassenen Ärzten. „Wir streben einen Gesundheitscampus an", so der Geschäftsführer. Ob in Zukunft tatsächlich noch weitere Wohnungen auf dem Gelände gebaut werden, müsse geprüft werden, wenn es aktuell sei. Konkrete Planungen gebe es noch nicht.
Engelbert Posor, der von 1980 bis 2006 als Gärtnermeister die Pflege des Vitos-Park inne hatte, äußerte sich auf der Veranstaltung sehr positiv über die geplante Bebauung. „Die Pflanzung der Roteichen war damals eine gärtnerische Fehlentscheidung. Die geplante Bebauung an dieser Stelle würde für den Park eine Lärmschutzbarriere bedeuten. Hiervon würden der Park, die Patienten und die Vogelwelt profitieren!"
© Heiko Krause, Stadt Marburg
Der Vorschlag der lokalen Agendagruppen AG Nachhaltige Stadtentwicklung, AG Verkehr und AG Ökologie, eine Bebauung des Vitos-Areals im oberen baumlosen Bereich vorzusehen, wurde in der Informationsveranstaltung von fast allen Besuchern/innen abgelehnt. „Der obere baumlose Bereich hat in den letzten Jahren mit den Interkulturellen Gärten, dem Gesundheitsgarten und den Bildungsgärten eine tolle Aufwertung erfahren. Diese Freifläche des ‚Stadtbalkons‘ sollten wir unbedingt erhalten und von Bebauung freihalten", sagte Bürgermeister Kahle unter dem Beifall der großen Mehrheit der Anwesenden.