© Birgit Heimrich, Stadt Marburg
Zweimal hat sich der 21-köpfige Beteiligungsbeirat bislang getroffen. Gleich zu Beginn hat er schon vorgeschlagen, die eigene Geschäftsordnung den Wünschen der Bürger*innen anzupassen. Sie haben die Mehrheit in dem Gremium: Für die elf Sitze der zufällig ausgewählten Marburgerinnen und Marburger waren elf Mitglieder samt elf Nachrückende eingeladen, um gemeinsam die Aufgaben zu besprechen. Und weil die Nachrücker*innen ebenso an der Mitarbeit interessiert sind wie die regulären Mitglieder, können auch sie fortan zu den Sitzungen kommen und haben dort Rederecht.
„Der Beteiligungsbeirat ist ein wichtiger Baustein der Bürger*innenbeteiligung der Universitätsstadt Marburg, in dem die verschiedensten Blickwinkel aus der Stadtgesellschaft vertreten sind“, sagt Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies bei der öffentlichen Bekanntgabe der Konstituierung des neuen Beirats im Rathaus. Diese verschiedenen Blickwinkel und die breite Repräsentation der Stadtgesellschaft verdankt der Beirat seiner „geschichteten und gewichteten Zufallsauswahl“.
Für diese Zufallsauswahl waren insgesamt 1300 Einwohner*innen angeschrieben worden. Dabei wurden nach dem Zufallsprinzip Einwohnermeldedaten in zehn unterschiedlichen „Schichten“ gezogen (vier Stadtgebiete, vier Altersgruppen, Staatsangehörigkeit deutsch und nichtdeutsch). In den Gruppen 14- bis 25-Jährige, Einwohner*innen von Richtsberg, Waldtal und Stadtwald sowie Einwohner*innen mit nichtdeutscher Staatsangehörigkeit wurden doppelt so viele Menschen angeschrieben wie in den anderen Gruppen. Damit sollte sichergestellt werden, dass sich Bürger*innen in ausreichender Zahl zurückmelden.
Insgesamt haben 95 der angeschriebenen Einwohner*innen geantwortet und waren an einer Mitarbeit in dem Beirat interessiert. „Das ist für das Verfahren der Zufallsauswahl ein sehr gutes Ergebnis und zeigt die Bereitschaft der Marburger*innen, sich einzubringen“, berichtet Griet Newiger-Addy, Leiterin des Fachdienstes Bürger*innenbeteiligung, bei dem die Geschäftsstelle des Beteiligungsbeirats liegt. Üblicherweise liege der Rücklauf in einem solchen Verfahren zwischen 2,5 und zehn Prozent.
Aus allen Rückmeldungen wurden die elf regulären Mitglieder und ihre elf Stellvertreter*innen ausgelost. Auch das folgte wieder dem Zehn-Schicht-Modell mit Alters- und Wohnortgruppen. Der elfte Sitz ging zusätzlich an die 14- bis 25-Jährigen. Einer von ihnen ist der Chemiestudent Demian Botros, der sich auch vorher schon ehrenamtlich engagierte, aber noch nicht „bei so etwas Großem wie jetzt dem Beteiligungsbeirat der Stadt mitgemacht“ hat. Er findet die Möglichkeit toll, etwas für die Bürger*innen in Marburg zu verbessern, begründet der 19-Jährige seine Entscheidung, im Beirat mitzuarbeiten. „Vielen Dank an die Stadt, dass es dieses Gremium gibt“, sagt Botros bei dem Pressetermin im Rathaus.
Auch Gabriela Sieveking wurde als Bürgerin ausgelost, um Mitglied im Beirat zu werden. Sie würdigt das Beteiligungskonzept der Stadt, das den Beirat hervorgebracht hat. „Marburg hat aufgrund seiner kulturellen Vielfalt eine so hohe Lebensqualität“, sagt die gebürtige Ecuadorianerin. Sie sei sehr froh über die Möglichkeit, sich in ihrer Wahlheimat Marburg aktiv einbringen zu können. Und sie lobt die Stadt dafür, dass sie „die Politik mit den Leuten zusammen bringt, die sonst mit Politik wenig zu tun haben“.
„Etwas zurückgeben“ will Ihab Karim mit seinem Engagement im Beteiligungsbeirat. Der Syrer floh vor dem Krieg aus seiner Heimat, kam 2015 nach Marburg, wurde hier „sehr gut aufgenommen“ und studiert mittlerweile Medizin. Ohne deutschen Pass könne er sich über Wahlen nur begrenzt in seine neue Heimat einbringen. Da sei der Brief, den er als zufällig Ausgewählter für den Beteiligungsbeirat erhielt, gerade recht gekommen. „Ich wollte sofort mitmachen. Ich bin dankbar, dass ich die Chance bekommen habe und mich hier engagieren und integrieren kann“, sagt Karim.
Zur Gruppe der über 65-Jährigen gehört Gerhard Haberle, der in der zweiten Auswahlrunde als Stellvertreter für ein reguläres Mitglied in den Beirat gelost wurde. Dass die Stadt im Beteiligungsbeirat einen repräsentativen Querschnitt der Bürger*innenschaft versammelt hat und deren Sicht der Dinge zu wichtigen Vorhaben hören will, findet Haberle „sehr gut“. Im Beteiligungsbeirat will er mit dafür sorgen, dass „die Leute sachkundiger werden. Die Menschen brauchen mehr Information“, so Haberle. Voll des Lobes ist er beim Pressetermin im Rathaus für die gute Zusammenarbeit und die gute Betreuung der Bürger*innen durch Griet Newiger-Addy.
Die Leiterin der Bürger*innenbeteiligung berichtet ihrerseits, dass „das erste Treffen gezeigt hat, dass wir mit dem gewählten Auswahlverfahren die Vielfältigkeit des ersten Beteiligungsbeirats der Stadt Marburg sehr gut sicherstellen konnten“. Denn: In der Gruppe der Bürger*innen sind so nun acht Mitglieder mit deutschem Pass und drei mit anderer Nationalität, zwei Menschen von Richtsberg und Stadtwald, zwei aus den Außenstadtteilen, sechs aus der Kernstadt und eine Person aus einem der sogenannten Hausdörfer, nämlich Marbach. Drei Mitglieder sind zwischen 14 und 25 und zwei über 65 Jahre alt. Außerdem wurde bei der Auslosung darauf geachtet, dass Frauen und Männern gleichwertig vertreten sind: Sechs Beiratsmitglieder sind Frauen und fünf sind Männer. Genauso breit und ausgeglichen ist auch das Bild bei den Stellvertreter*innen – in Punkto Wohnort, Altersgruppe, Nationalität und Geschlecht.
Sieben weitere Beiratssitze gehören den Stadtverordneten: Jede Fraktion im Stadtparlament hat einen Sitz im Beirat. Drei Sitze haben Frauen inne und vier Männer. Dass die ehrenamtlichen Kommunalpolitiker*innen in den Beirat einbezogen sind, hat Professorin Ursula Birsl von der Philipps-Universität der Stadt empfohlen. Prof. Birsl hatte die Entstehung des Konzepts wissenschaftlich begleitet. Die Beteiligung der Stadtverordneten in dem Gremium soll einen guten Informationsfluss zwischen Beirat und Fraktionen sicherstellen und der Dialog zwischen Bürger*innen, Politik und Verwaltung stärken.
Der Beteiligungsbeirat ist ein unabhängiges Beratungsgremium des Magistrats. Er hat drei wichtige Aufgaben:
- Weiterentwicklung der Bürger*innenbeteiligung
Der Beirat begleitet die Umsetzung des Bürger*innenbeteiligungskonzepts und gibt Empfehlungen für seine Weiterentwicklung ab.
- Beratung der Vorhabenliste
Der Beteiligungsbeirat berät die Vorhabenliste und gibt eine Empfehlung zu den Beteiligungskonzepten ab. Der Beteiligungsbeirat berät zu den Verfahren von Beteiligung. Inhalte von Vorhaben sind nicht Gegenstand der Beratung im Beteiligungsbeirat.
- Anlaufstelle für Bürger*innen bei Beteiligungsverfahren und Vorschlägen für Vorhaben von Einwohner*innen.
Nun gilt es für die Mitglieder, in ihre Aufgaben in dem Gremium hineinzuwachsen, ihre eigene Rolle zu finden, sie auszufüllen und zu gestalten. Dass die zufällig ausgewählten Bürger*innen diese Herausforderung mit Schwung und Elan annehmen, haben die ersten beiden Treffen gezeigt: Neben der Überarbeitung der Geschäftsordnung haben sie auch schon den Sitzungsplan geändert – statt wie vorgesehen das nächste Mal im Februar 2020 zu tagen, hat der neue Beteiligungsbeirat entschieden, schon im November zu einem weiteren Arbeitstreffen zusammenzukommen.
Weitere Informationen zur Bürger*innenbeteiligung der Universitätsstadt Marburg gibt es auf der Beteiligungsplattform unter www.marburgmachtmit.de.