© Stadt Marburg, Patricia Grähling
Nationalsozialisten und ihre Unterstützer gab es in jedem Dorf, in jeder Stadt, auch und gerade hier in Marburg. Schon vor 1933 war die Kommunalpolitik in der Universitätsstadt stark nationalistisch geprägt. Und nach Kriegsende wurden längst nicht alle Täter identifiziert und zur Rechenschaft gezogen. 1948 zogen sogar die ersten NS-Belasteten als gewählte Stadtverordnete wieder ins Rathaus ein.
Mit der Stadtschrift „Marburger Rathaus und Nationalsozialismus“ liegt die erste systematische Erforschung des Nationalsozialismus vor, die explizit die Rolle der städtischen Gremien und Mandatsträger in den Mittelpunkt stellt. Das Marburger Stadtparlament hat die Untersuchung in Auftrag gegeben. Zeithistoriker/innen der Philipp-Universität haben sechs Jahrzehnte lokaler Geschichte aufgearbeitet – von 1930 bis 1989. Denn nationalsozialistische Vergangenheit, so betont die jüngere NS-Forschung, beschränkt sich eben nicht auf zwölf Jahre Terrorherrschaft zwischen 1933 und 1945.
So zeichnet die Studie den Aufstieg der NS-Herrschaft in Marburg sowie die Gleichschaltung der städtischen Selbstverwaltung im Sinne des „Führerprinzips“ nach. Für die Zeit nach 1945 thematisiert sie die nationalsozialistische Belastung von Mandatsträgern der Marburger Stadtpolitik – zum Beispiel jene Wahlperiode in den 60er Jahren, in denen jeder dritte Stadtverordnete eine Vergangenheit als NSDAP-Mitglied hatte.
„Es entspricht dem Anspruch einer Universitätsstadt, Aufklärung auch über die dunklen und verdrängten Jahre der Geschichte zu verlangen“, schreibt Stadtverordnetenvorsteherin Marianne Wölk in ihrem Vorwort zum Buch. Die Studie markiere eine neue Form der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem NS-Regime und der Nachkriegszeit, so Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies. Zu wünschen sei, „dass sie dazu beiträgt, dass wir aus der Geschichte lernen – und gemeinsam verhindern, dass sie sich wiederholt“.
Die öffentliche Vorstellung der neuen Stadtschrift im Historischen Saal des Rathauses, Markt 1, beginnt am Montag, 7. Mai, um 18 Uhr. Neben den Beiträgen von Stadtverordnetenvorsteherin Wölk und OB Spies führen Prof. Dr. Conze sowie die Wissenschaftler/innen Sarah Wilder, Alexander Cramer und Dirk Stolper in die Studie ein. Musikalisch begleitet wird die Veranstaltung von der jungen Geigerin Carlotta Reiners. Die Elfjährige ist Gewinnerin des Wettbewerbs „Jugend musiziert“. Felix Denlin Sheng begleitet sie am Flügel.
An dem Abend steht das 382 Seiten umfassende Buch „Marburger Rathaus und Nationalsozialismus“ (Marburger Stadtschriften zur Geschichte und Kultur, Band 109, Rathaus-Verlag, ISBN 978-3-942487-11-5) im Foyer des Rathauses erstmals zum Verkauf. Es kostet 10,80 Euro. Verkauf und Bestellung: Fachdienst Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Rathaus, Markt 8, (06421) 201-1346, oeffentlichkeitsarbeit@marburg-stadt.de, per Online-Formular oder im Buchhandel.