© Thillmann, i. A. d. Stadt Marburg
„Mit einem Ergänzungsbau auf dem bestehenden Gelände des Altenzentrums St. Jakob in der Sudetenstraße 24 wollen wir künftig die Pflege in Wohngruppen und in Top-Qualität ermöglichen, und zwar offen zum Quartier, als Ort der Begegnung und nach dem Prinzip so ambulant wie möglich so stationär wie nötig“, erläuterte Spies die von ihm angestoßene Variante. Somit wird durchgängig auf Wohngemeinschaften gesetzt, für die es pro Gruppe zusätzlich jeweils ein Wohnzimmer mit Ess- und Küchenbereich als Treffpunkt gibt.
„Das ist ein großer Erfolg und geeignet, den gordischen Knoten in der Debatte um die Zukunft der Altenhilfe am Richtsberg in Sinne der betroffenen Menschen zügig zu lösen“, zeigte sich Marburgs Oberbürgermeister überzeugt. Dementsprechend hat der Aufsichtsrat der Marburger Altenhilfe St. Jakob gGmbH sich am Mittwochabend ausdrücklich dafür ausgesprochen, dem Parlament die von Spies vorgestellte Variante zu empfehlen. Damit sei man wieder handlungsfähig, um mit einer zudem kostengünstigen Lösung die sozial- und altenpolitischen Marburger Konzepte konsequent umzusetzen, erklärte Spies, der als Oberbürgermeister der Aufsichtsratsvorsitzende der Marburger Altenhilfe gGmbH ist.
Aufsichtsrat empfiehlt die von Spies angestoßene Variante
Der jetzt vorgelegten Variante liegt eine Machbarkeitsstudie zugrunde. „Das Ziel ist eine zukunftsweisende Altenhilfe, die mit kleineren Einheiten im Neubau differenzierte Angebote ermöglicht und sich nicht an der Institution, sondern an den Menschen orientiert, die dort leben“, so Marburgs Oberbürgermeister. Das 1975 errichtete siebenstöckige Altenzentrum in der Sudetenstraße ist seit Jahren dringend sanierungsbedürftig.
Ausgangspunkt für die jetzt erfolgte Vorstellung war ein Prüfauftrag der Stadtverordnetenversammlung vom Herbst 2016. Danach sollten Ergebnisse zu den zwei Alternativen - „Marburger Modell quer“ und „Doppelstandort mit separatem Ergänzungsbau“ - für die Zukunft des Altenzentrums St. Jakob vorgelegt werden, weil die Hessische Aufsicht für Pflege und Betreuung das ursprünglich beschlossene Modell in Bezug auf das räumliche Nebeneinander unterschiedlicher Betreuungskonzepte und Preisgruppen beanstandet hatte. Diese Kritikpunkte sind mit einem Ergänzungsbau ausgeräumt und vom Tisch.
Variante wird Anforderungen der Heimaufsicht gerecht
Der rechte, sanierungsbedürftige Gebäudeblock der Sudetenstraße 24 mit dem alten nicht mehr notwendigen Küchentrakt sowie dem Kinderhort würde in der vorgestellten Variante abgerissen und durch einen modernen Neubau ersetzt. Die beiden linken Blöcke des bisherigen Gebäudes blieben stehen. Die erhaltenen Teile des Gebäudes stünden für Wohnraum und Kinderhort zur Verfügung.
Im gesamten Neubau soll in sieben Wohngruppen à 12 Personen Pflege angeboten werden, verteilt auf vier Flügel mit Begegnungs- und Funktionsräumen jeweils im Zentrum. Die Flügelbauweise ermöglicht gezielte Angebote für spezifische Zielgruppen in verschiedenen Bereichen des Hauses sowie Umnutzungs- oder Rückbauoptionen. „So können wir innovative Konzepte der Altenhilfe umsetzen, wie sie die Marburger Leitlinien für ein gutes Älterwerden und das Marburger Modell vorsehen“, erklärt Spies. „Und wenn der Bedarf an Pflegeplätzen sinken sollte, lassen sich die Räume abkoppeln und ganz unkompliziert als Studierendenwohnungen nutzen“, so Marburgs Oberbürgermeister weiter.
Im Ergänzungsneubau sind offen zur Straße und auf deren Niveau ein niedrigschwelliges Beratungs- und ein Begegnungszentrum sowie eine Außenstelle des Ambulanten Dienstes vorgesehen. Das offene Begegnungszentrum mit Café samt Außenbestuhlung soll Präsenz zur Sudetenstraße zeigen, zu einer sichtbaren „Adresse“ für alle im Stadtteil werden, wie Architekt Michael Thillmann erklärt, für Gäste, Bürgerinnen und Bürger genauso wie für die Bewohnerinnen und Bewohner. Genau diese Öffentlichkeit im Quartier wolle man herstellen, betont Oberbürgermeister Spies. Und damit habe die Altenhilfe St. Jakob in Cölbe bereits sehr gute Erfahrungen gesammelt, wie Jörg Kempf, Geschäftsführer der Marburger Altenhilfe St. Jakob, ergänzt. Zudem soll es im Begegnungszentrum einen offenen Mittagstisch für diejenigen geben, die in ambulanten Wohnformen am Richtsberg leben.
Im ersten Obergeschoss, das sich nach hinten ebenerdig zum Außengelände öffnet, werden vorne die Verwaltung sowie im hinteren Bereich drei Wohngemeinschaften für Bewohnerinnen und Bewohner mit geschütztem Zugang zum Garten untergebracht. „Ein direkter ebenerdiger Außenzugang fördert - insbesondere für Menschen mit Demenz - die Selbstständigkeit und Bewegungsmöglichkeiten“, informiert Oberbürgermeister Spies über weitere Vorteile eines Ergänzungsneubaus. Das bedeute mehr Freiheit und Offenheit, betont Spies. In der Etage darüber sind vier weitere Wohngruppen für die Bewohner/innen des Seniorenzentrums am Richtsberg geplant.
In das um den rechten Block reduzierte Bestandsgebäude sollen der Kinderhort sowie in den oberen Etagen studentisches Wohnen und Wohnen für Schwesternschüler/innen der Krankenpflege integriert werden. „Weitere Nutzungsvarianten könnten Betreutes Wohnen, eine Tagespflegeeinrichtung, Mietwohnungen und, oder eine Wohngruppe für psychisch kranke ältere Menschen sein“, so Spies zu den weiteren Optionen. „Was wir wollen, ist ein multifunktionales Begegnungszentrum mit Verantwortung für die Quartiersentwicklung im Stadtteil und für die Vernetzung von Jung und Alt“, macht er deutlich. Am Standort seien gemäß den Eckpunkten der Marburger Leitlinien für Alternssozialpolitik auch Kurzzeit- bzw. Urlaubs- und Verhinderungspflegeangebote sowie die Schaffung von Angeboten wie etwa für ältere Menschen mit Behinderung oder mit Migrationshintergrund möglich.
Der Ergänzungsneubau auf dem bestehenden Gelände Sudetenstraße 24 wird dabei von Spies als geeignete Fortentwicklung der Idee eines Neubaus an einem anderen Standort, etwa auf dem Vitos-Gelände, vorgeschlagen. Dies habe sich im Zuge der Prüfung aus fachlichen, städtebaulichen oder planerischen Gründen als die geeignetere Lösung herausgestellt.
Marburgs Oberbürgermeister hatte für die Beratung der vom Parlament gewünschten Prüfung eine Arbeitsgruppe eingesetzt, an der Vertreter/innen von Stadtplanung und Denkmalschutz, Altenplanung, Stiftung St. Jakob, Marburger Altenhilfe St. Jakob gGmbH, Seniorenbeirat sowie GeWoBau - Gemeinnützige Wohnungsbau GmbH mitwirkten. Konzeption, Machbarkeit, Kosten und Verbleib der Bewohner/innen während des Umbaus standen im Mittelpunkt der Überlegungen.
Wie geplant werden zur Sitzung der Stadtverordneten am 30. Juni die Ergebnisse der Prüfung vorgelegt. In dieser Woche wurden im Sinne der Beteiligung Bürgerinnen und Bürger am Richtsberg informiert, am Montag (12. Juni) soll der Magistrat beraten.
Bei seiner Empfehlung für einen Ergänzungsneubau in der Sudetenstraße 24 hat der Aufsichtsrat der Marburger Altenhilfe St. Jakob GmbH am Mittwoch betont, dass der separate Neubau rechts neben dem Bestandgebäude die Belastung der Bewohner/innen erheblich reduziere, weil ihr Umzug erst nach der kompletten Baufertigstellung erfolge.
„Der Ergänzungsbau in der Sudetenstraße erfüllt alle Konzepterfordernisse des Stadtverordnetenbeschlusses zum Marburger Modell und geht zum Teil noch darüber hinaus“, verweist Spies auf die vom Parlament vereinbarten Leitlinien für ein gutes Älterwerden in Marburg als Kriterium für die Altenhilfe. „Die Zimmer bieten Versorgung und Betreuung für jede Pflegestufe und das durchgängig in Wohngemeinschaften“, erklärt Marburgs Stadtoberhaupt. Zum Hintergrund: Im ursprünglichen Marburger Modell waren noch 32 Plätze in traditioneller Heimunterbringung vorgesehen. Der Einspruch der Heimaufsicht sei insofern als Chance ergriffen worden, um die Marburger Standards für ein gutes Leben im Alter aufzugreifen, sie baulich neu anzugehen und auch umfassend umzusetzen, so Spies.
Wohngemeinschaften, Begegnungszentrum und Zugang zum Garten
Der Ergänzungsbau für gut 80 Bewohner/innen im Hausgemeinschaftsprinzip wird unter Berücksichtigung möglicher, unerwarteter Kostensteigerungen auf rund zwölf Millionen Euro inklusive städtisches Begegnungszentrum (660.000 Euro) sowie Abrisskosten (450.000 Euro) kalkuliert. Ein späteres Aufstocken, z. B. um eine Etage für Sozialen Wohnungsbau, ist jederzeit möglich.
Auch die zweite Variante, das „Marburger Modell quer“, hatte sich den Kritikpunkten der Hessischen Aufsicht für Pflege und Betreuung gestellt und wurde geprüft. Im ursprünglichen „Marburger Modell“ sollten die stationären Einzelplätze klassischer Pflege auf den Etagen I bis IV in Block C angeboten werden. Benachbart wären in diesen Etagen der Blöcke A und B stationäre Hausgemeinschaften untergebracht worden. Daran setzte die Kritik der Heimaufsicht an. Der Vorschlag des Quermodells wollte deshalb mit einer architektonischen Veränderung reagieren. Danach wären die ca. 40 stationäre Einzelplätze klassischer Pflege in die Etagen V und VI der Blöcke A, B und C verlagert worden. Die geplanten stationären Hausgemeinschaften (4 mal 12 Plätze) wären auf den ursprünglich geplanten Nutzflächen (Etage I bis IV, Blöcke A und B) untergebracht worden. Statt klassischer stationärer Pflege würden im separat erschlossen Block C Zimmer für Studierende oder Auszubildende/Schwestern angeboten.
Die vom Oberbürgermeister einberufene Arbeitsgruppe sah jedoch als größtes Hindernis zur Realisierung dieser Variante quer einerseits die hohen Umbaukosten (kalkulierte Gesamtsumme von 20 bis 22 Millionen Euro), die Lärmbelastung während der langen Umbaudauer und die mit einer Weiternutzung eines Altbaus regelhaft verbundenen Nachteile an.