© Stadt MarburgDie Ombudsleute treten für die Interessen der vertriebenen Menschen ein, sind Ansprechpartner/innen und klären sie über ihre Rechte und Pflichten auf. Sie arbeiten unabhängig und ehrenamtlich mit einer Aufwandsentschädigung. „Die Praxis hat ganz klar gezeigt, dass die Entsendung solch neutraler Ansprechpartnerinnen und -partner dringend nötig ist“, erklärt der Oberbürgermeister. Gerade weil viele der geflüchteten Menschen mit Behörden aufgrund der Erfahrungen in ihrer Heimat noch Repression oder Gewalt verbinden.
„Das markanteste Beispiel dafür war für mich das Schicksal einer Frau im Camp Cappel, die mit einem gewalttätigen Mann zwangsverheiratet ist und mit ihm ihr Heimatland verlassen musste, obwohl sie das gar nicht wollte“, berichtet Marburgs Stadtoberhaupt. „Nach mehreren verzweifelten Selbstmordversuchen, einer bei uns in Marburg, hat die Geflüchtete, die aus ihrem Herkunftsland nur Unterdrückung kennt, schließlich allen Mut zusammengefasst und sich einer unserer Ombudspersonen anvertraut“, so Spies weiter.
Der Geschäftsstelle für Flüchtlingsbetreuung der Stadt Marburg ist es gemeinsam mit dem Ordnungsamt, dem Regierungspräsidium Gießen und dem Verein „Frauenrecht ist Menschenrecht“ gelungen, die Frau in einer Schutzwohnung außerhalb von Hessen unterzubringen. Dort lebt sie nun weit weg von ihrem Peiniger gemeinsam mit anderen Frauen in ähnlicher Situation und arbeitet daran, sich ein neues, freies Leben in Deutschland aufzubauen. Einen Weg zurück in die alte Heimat gibt es nicht, denn sowohl von der Familie ihres Mannes als auch von der eigenen Familie gab es mehrfach Äußerungen, die auf eine mögliche Blutrache hindeuten.
Ein Nachbar im Camp hatte die Frau in ihrer dramatischen Lage darauf aufmerksam gemacht, dass es in Marburg neutrale Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner völlig unabhängig von Behörden gibt. Der Zimmernachbar machte ihr Mut.
Auch wenn das Camp in Marburg aufgrund einer Entscheidung der Landesregierung und gegen Proteste von Oberbürgermeister sowie ehrenamtlichen Helferinnen und HeIfern im September geschlossen wurde, hält auch die Universitätsstadt selbst am Modell der Ombudsleute fest. Denn unter den in Marburg fest lebenden Flüchtlingen gibt es großen Bedarf. „Viele Flüchtlinge warten noch auf eine Entscheidung zu ihrem Asylantrag oder es liegt ihnen ein Abschiebebescheid vor. Keiner dieser Menschen weiß auch nur im Geringsten wie damit umzugehen ist“, erklärt Ombudsmann Karl Otto Beckmann, der diesen Betroffenen im persönlichen Gespräch erste grundlegende Tipps gibt und sie dann mit einem Asylrechtsexperten zusammenbringt. Aber auch eine Waschmaschine, die einem jungen Mann aus Afghanistan vertraglich vom Vermieter zugesagt war, hat den Ombudsmann schon beschäftigt. „Ehrenamtliche hatten sich bereits eingeschaltet, was den Vermieter aber nicht bewegte. Erst eine Ombudsperson mit juristischem Hintergrund brachte die Maschine letztendlich in die Wohnung“, schildert Beckmann, der beruflich Rechtsanwalt ist, empört.
„Meines Wissens sind wir weiterhin die einzige hessische Kommune, die Ombudsleute entsendet hat“, sagt Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies. Das müsse sich im Sinne der Menschen ändern, fordert er. Bewusst hat sich die Stadt Marburg dabei dafür entschieden, neben einem Mann auch eine Ombudsfrau zu berufen. Shaima Ghafury, selbst mit Migrationshintergrund, ist neben Beckmann als neutrale Ansprechpartnerin für die geflüchteten Menschen aktiv.
Die Erreichbarkeit der Ombudspersonen wird über zwei Wege gewährleistet: Alle Stellen innerhalb der Stadtverwaltung, die mit neu zugewanderten Menschen arbeiten, können die Ombudsleute bei Bedarf einsetzen und sie mit der betreffenden Person in Kontakt bringen. Auch über das städtische Zentrum für Flüchtlinge sind die Vertrauensleute unter (06421) 201-2222 erreichbar. Dort gibt es zweimal pro Woche außerdem eine Sprechstunde, die man spontan und persönlich aufsuchen kann: montags in der Zeit 16 bis 17 Uhr und freitags von 14 bis 15 Uhr.
Auch viele ehrenamtlich tätige Menschen in der Marburger Flüchtlingshilfe sind vom Einsatz der Ombudsleute überzeugt. In einer Online-Petition an den Petitionsausschuss des Hessischen Landtags, die noch auf den Weg gebracht wurde, um die Schließung des Flüchtlingscamps in Cappel zu verhindern, fordern sie gleichzeitig die landesweite Einführung solcher Ombudspersonen (www.change.org, Suchbegriff: Erstaufnahme Marburg).
Zur Person
Shaima Ghafury, Ombudsfrau für Flüchtlinge in der Universitätsstadt Marburg
Shaima Ghafury (58), kam 1992 nach Deutschland. Sie ist Sozial- und Schuldnerberaterin beim Bewohnernetzwerk für Soziale Fragen (BSF) am Richtsberg und hat in Marburg seit 1994 vielfältige ehrenamtliche Initiativen für den interkulturellen Dialog sowie für die Mädchen- und Frauenarbeit in ihrem Heimatland ins Leben gerufen. So gründete sie 1994 die „Initiative afghanisches Hilfswerk“ und war in 2007 eine der Mitbegründerinnen des „Afghanischen Kulturvereins“, sie brachte das Frauenschwimmen in Marburg mit auf den Weg und gehört schon seit Beginn dem Kuratorium des Marburger Bündnisses für Familien an.
Karl Otto Beckmann, Ombudsmann für Flüchtlinge in der Universitätsstadt Marburg
Der 65-jährige Rechtsanwalt Karl Otto Beckmann aus Cappel ist seit den 80er Jahren ununterbrochen ehrenamtlich aktiv und war lange im Ortsbeirat dieses Marburger Stadtteils tätig, in dem in den letzten 15 Monaten eine Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge betrieben wurde. Als Jurist übernimmt er seit 35 Jahren die Betreuung von Menschen und ist mit schwierigen Lebenslagen vertraut.