Mehr als 2500 Marburgerinnen und Marburger haben geantwortet. „Dieser Rücklauf ist beachtlich und zeigt das große Interesse in der Bevölkerung“, erklärte Spies im Haus der Stadtgesellschaft. Nun liegen Ergebnisse zum ersten Teil der Befragung vor. „Sie sind ein Meinungsbarometer und geben Aufschluss über die Einschätzungen und Wünsche der Marburgerinnen und Marburger zu stadtpolitischen Themen zwischen den Wahlen“, so der Oberbürgermeister. Konzentriert habe man sich auf Fragen, welche die Stadt durch ihre Handlungskompetenz auch selbst beeinflussen kann, erläuterte Spies.
Zwei Fragen standen im Mittelpunkt. Erstens: Wie nimmt die Bevölkerung Marburgs ihre Stadt wahr? Wie zufrieden sind die Bürgerinnen und Bürger mit der Familienfreundlichkeit, Angeboten für jüngere und ältere Menschen, Klimaschutz, Verkehr, Soziale Leistungen, Kultur, Inklusion und Sicherheit. Und zweitens wurde gefragt: Welche Aufgaben halten Sie für die zukünftige Entwicklung Marburgs für besonders wichtig?
90 Prozent leben gerne in Marburg
Insgesamt ist die Zufriedenheit mit der Universitätsstadt Marburg und dem Leben in Marburg außerordentlich hoch, erklärte Moritz von Oppenkowski als Projektleiter des von der Stadt Marburg mit der Umfrage beauftragten studentischen Unternehmens Phlink aus Marburg. So leben laut der Umfrageergebnisse 90 Prozent der Befragten gern in Marburg. Und wie Phlink erklärte, wurde bei der Umfrage ein hohes Maß an Repräsentativität für unterschiedliche Gruppen in der Bevölkerung erzielt. Als wesentliche und besonders positive Merkmale Marburgs werden die hohe Qualität und die Breite des Bildungsangebotes sowie die Weltoffenheit und Internationalität der Stadt betrachtet.
Auch bei wichtigen sozialen Aspekten schneidet Marburg gut ab. Marburg gilt in den Augen der Bewohnerinnen und Bewohner als Stadt mit guter medizinischer Versorgung und einer hohen Attraktivität für Familien mit Kindern. Sport- und Kulturangebote bekommen ebenfalls sehr gute Werte, wie bei der von Brigitte Bohnke moderierten Veranstaltung deutlich wurde. Auch wird wahrgenommen, dass Stadtpolitik und Verwaltung die barrierefreie Teilhabe am öffentlichen Leben und die Gleichberechtigung von Männern und Frauen fördern ebenso wie Nachhaltigkeit, Umwelt- und Klimaschutz.
Nur wenige Bereiche bestimmen dagegen aus Sicht der Befragten deutlich weniger das Profil der Stadt. So glaubt nur eine Minderheit, dass die Verkehrspolitik die Interessen aller Verkehrsteilnehmer und -teilnehmerinnen angemessen berücksichtigt. Dieses Ergebnis spiegelt allerdings auch die besondere geographische Lage Marburgs ebenso wie die Interessengegensätze der unterschiedlichen Gruppen wider. Nicht zuletzt deshalb wirbt Oberbürgermeister Spies seit Jahren für mehr Rücksicht und Respekt im Verkehr und in den verkehrspolitischen Diskussionen.
Zum Angebot des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) liegt die Zahl der positiven und kritischen Beurteilungen nahe beieinander. Allerdings: Personengruppen, die den ÖPNV wahrscheinlich besonders intensiv nutzen, sehen den ÖPNV deutlich positiver. Dies gilt zum Beispiel für Menschen unter 25 Jahren, Bewohner der sozial benachteiligten Stadtteile Richtsberg, Waldtal und Stadtwald, Schülerinnen und Schüler sowie Hausfrauen und Hausmänner. Insgesamt gesehen bedarf es daher nach der Umfrage laut Stadt einer weiteren Klärung und Beratung der Ergebnisse, die Fragen des Verkehrs und der Mobilität betreffen.
Kritisch beurteilt wird die Verfügbarkeit von bezahlbarem Wohnraum. Dieses Ergebnis stellt nach Ansicht der Stadt eine besondere Herausforderung an die Kommunalpolitik der kommenden Jahre dar und das Thema Wohnen gehört laut Oberbürgermeister zu den zentralen Aufgaben. Spies lädt für April den Runden Tisch preiswerter Wohnraum öffentlich ein. Er sprach von einem ganz klaren Signal. Auch die städtische Wohnungsbaugesellschaft sei aktiv damit befasst, selbst Wohnraum zu schaffen. Spies machte aber deutlich, dass es darüber hinaus auch um bezahlbaren Wohnraum für Menschen wie junge Familien oder Seniorinnen und Senioren gehe, die über dem Limit für einen Berechtigungsschein im sozialen Wohnungsbau liegen, aber dennoch Probleme haben, bezahlbaren Wohnraum zu finden.
Aufschlussreich sei außerdem ein Vergleich der Antworten zur Lebensqualität mit den Antworten zu der Frage, welche Aufgaben für die zukünftige Entwicklung Marburgs für besonders wichtig gehalten werden und wofür die Stadt in Zukunft mehr Finanzmittel bereitstellen sollte. In Übereinstimmung mit dem Profil der Stadt wünschen sich die Marburgerinnen und Marburger vor allem weitere Investitionen in Bildung: Dies gilt für Schulen ebenso wie für Kindertagesstätten und Bildungsangebote der Stadtbücherei und der Volkshochschule. Es passt gut zum Bildungsbauprogramm BiBaP, mit dem transparent und unter Beteiligung aller Betroffenen eine verlässliche, langfristige Planung geschaffen wurde.
Für besonders wichtig halten sie zudem Angebote für Ältere und für die Unterstützung der Angehörigenpflege. Deutlich wird ebenfalls, dass Wohnungsbau und Sanierung nach Meinung der Befragten einen wichtigen Aufgabenbereich darstellen. Insbesondere dieses Ergebnis entspricht der kritischen Einschätzung zur Verfügbarkeit von bezahlbarem Wohnraum der ersten Frage.
Initiativen zur Gewaltprävention, zur Förderung der öffentlichen Sicherheit und zur Abfallbeseitigung werden in der Marburg-Umfrage im Mittelfeld genannt. Sie werden in der Tendenz eher von älteren Befragten und Befragten mit niedrigeren Bildungsabschlüssen als wichtig erachtet. Ausgaben für Straßen und Instandhaltung oder für die Förderung des Fuß- oder Radverkehrs werden von den Befragten im unteren Drittel genannt.
Insgesamt liefert die Befragung interessante Ergebnisse und Hinweise, die nun genauer analysiert und diskutiert werden müssen, erklärt Dr. Griet Newiger-Addy, Leiterin der Bürger/innenbeteiligung bei der Stadt. „Wir stellen jetzt die ersten Ergebnisse der Politik und der Öffentlichkeit vor und werden darüber sprechen, wie diese zu bewerten sind und welche Schlussfolgerungen wir daraus ziehen“, so der Oberbürgermeister. „Festzuhalten bleibt, dass mit den Ergebnissen dieser Befragung deutlich fundiertere Aussagen über die Einschätzung der Bevölkerung gemacht werden können, als sie in politischen Debatten üblich sind.“
Die Befragung steht im Kontext der Erstellung eines Konzepts zur Bürgerinnen- und Bürgerbeteiligung, das derzeit von der Verwaltung zusammen mit interessierten Einwohnern und Einwohnerinnen und der Politik erarbeitet wird. Das Ziel ist, noch mehr Marburgerinnen und Marburger in die Entscheidung und Umsetzung stadtpolitischer Fragen einzubeziehen und Beteiligung aus unterschiedlichen Perspektiven zu stärken.
Um diesem Anspruch gerecht zu werden, nutzte die Stadt einen innovativen Weg bei der Umsetzung der Befragung. Sie beauftragte die studentische Unternehmensberatung Phlink aus Marburg mit der Durchführung und konnte dadurch sicherstellen, dass die Fragebögen auf vielfältigen Wegen in der Stadt verteilt wurden. 4000 gedruckte Fragebögen wurden an zufällig ausgewählte Einwohnerinnen und Einwohner ab 14 Jahren in Marburg verschickt. Weitere 1000 Bögen lagen an zentralen öffentlichen Orten, wie zum Beispiel dem Stadtbüro, der Agentur für Arbeit und der Blutspendestelle des Uniklinikums aus.
In fünf Stadtteilen stellten sich die Studierenden zudem für mehrere Stunden vor Ort auf die Straße, um den Fragebogen zu verteilen. Darüber hinaus wurden einzelne Zielgruppen direkt angesprochen, z.B. über das Marburger Altenhilfezentrum St. Jakob, den internationalen Frauenstammtisch am Richtsberg oder das Jugendhaus St. Martin. Außerdem stand der Fragebogen online zur Verfügung. Etwas mehr als die Hälfte der Befragten nutzten diese Antwortmöglichkeit.
Im Ergebnis konnte der für repräsentative Aussagen nötige und erwartete Gesamtrücklauf von insgesamt rund 1000 Rückläufern um mehr als das Doppelte übertroffen werden. Insgesamt wurden 2573 Fragebögen beantwortet. Somit beteiligten sich 3,7 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner Marburgs ab 14 Jahren an der Umfrage. Dieser Rücklauf ist beachtlich und übertrifft den Rücklauf vieler vergleichbarer Städteumfragen, wie Phlink deutlich machte. Damit erweist sich die Umfrage laut Newiger-Addy bereits im ersten Durchlauf als ein geeignetes und sinnvolles Instrument, um die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger in dieser Stadt zu stärken.
Dies bestätigen auch die Ergebnisse der Fragen zum Thema politische Beteiligung, die ebenfalls Bestandteil des Fragebogens waren. Diese Ergebnisse ebenso wie die Ergebnisse der Fragen zu dem Kulturangebot der Stadt werden in den folgenden Wochen vorgestellt. Der erste Teilbericht mit den hier dargestellten Ergebnissen sowie detaillierteren soziodemographischen Analysen ist online verfügbar.
Laut Griet Newiger-Addy ist geplant, die Umfrage etwa im Turnus von drei Jahren zu wiederholen. In der Zwischenzeit könnten gruppen- oder themenspezifische Befragungen für Ergänzung sorgen. Verbesserungsbedarf benannte die Leiterin der Bürger/innenbeteiligung ebenfalls. So solle im nächsten Durchgang noch stärker die Mehrsprachigkeit und einfache Sprache berücksichtigt werden.
Im Anschluss an die Vorstellung der Ergebnisse bot die Stadt Marburg den Besucherinnen und Besuchern die Möglichkeit zum ersten Austausch und zu Gesprächen bei Imbiss und Getränken an. Dafür standen ihnen zu den wichtigsten Themenbereichen der Oberbürgermeister und Ansprechpartner aus der Stadtverwaltung zur Verfügung.
Hinweis zu den Grafiken
Um eine prägnantere Gewichtung der verschiedenen Aussagen der Marburgerinnen und Marburger zu erhalten, wurde in diesen zwei Abbildungen ein indiziertes Ranking verwendet, um die Antworten auf die Fragen besser einzuordnen und verständlich zu machen. Beispiel: Während rund 70 Prozent in der Darstellung nach Prozenten der Frage, ob Marburg sozial benachteiligte Menschen unterstützt, eher oder voll und ganz zustimmen, erscheint dieser Aspekt im Ranking mit 0,25.
Denn für das Ranking wurden vier verschiedenen Antwortmöglichkeiten jeweils ein Wert zugewiesen, von -1.5 (alle haben mit „unwichtig“ bzw. „stimme überhaupt nicht zu“) bis +1.5 (alle haben mit „sehr wichtig“ bzw. „stimme voll und ganz zu“ geantwortet). Die durchweg positiven Indizes in der zweiten Grafik lassen sich dadurch erklären, dass alle Marburgerinnen und Marburger gerne vieles fördern würden und man die Möglichkeit hatte, bei allen Antwortmöglichkeiten „sehr wichtig“ anzukreuzen, ohne dabei andere Aussagen niedriger zu ranken. Die Erläuterung Frage zur Grafik zwei (Ausgaben) lautete: „Wie gut die Stadt Aufgaben ausführen kann, hängt auch davon ab, wie viel Geld sie dafür bereitstellt. Welche Bereiche halten Sie für die zukünftige Entwicklung Marburgs für besonders wichtig, welche für unwichtig?