© Stefanie Ingwersen, Stadt Marburg
„Mit unserem Goldenen Buch dokumentieren wir seit 1927, welche Persönlichkeiten unsere historische Stadt besuchen und wer sich um diese verdient gemacht hat“, sagt Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies. Als ersten seitenlangen Eintrag verzeichnet das Gästebuch die Eröffnungsveranstaltung der 400-Jahrfeier der Philipps-Universität, bei der sich alle Anwesenden in dem Buch verewigten.
Doch wie kam es überhaupt dazu, dass die Stadt ein Gästebuch einführte? „Das war damals ein allgemeiner Trend, der aufkam“, erklärt Sandra Baumgarten, Leiterin des Stadtarchivs. Das 400-jährige Jubiläum der Universität habe sich wahrscheinlich als Anlass für die Einführung eines solchen Gästebuches in Marburg angeboten. Seinen Namen habe das Goldene Buch dabei erst ab dem zweiten Band im Jahr 1963 erhalten. Vorher sei es einfach als Gästebuch bezeichnet worden. Die Bezeichnung Goldenes Buch leite sich dabei von häufig verwendeten goldenen Verzierungen und dem Goldschnitt der Seiten ab. Diese Formen der Verzierung weisen die Goldenen Bücher der Stadt Marburg allerdings nicht auf.
Ob golden oder nicht: Wer kann sich eigentlich in solch ein Stadtbuch eintragen? „Das können Politiker*innen, Forscher*innen, Sportler*innen oder Personen sein, die sich auf humanitärem oder anderem Gebiet engagiert haben“, erläutert Sabrina Heun vom Fachdienst Kommunale Gremien der Stadt Marburg. Wer sich eintragen könne, sei zudem an bestimmte Richtlinien gebunden.
Dabei unterzeichnen die Gäste ihren Eintrag in der Regel im Rathaus. Zu besonderen Anlässen kann die Unterschrift jedoch auch woanders erfolgen. So hat die Stadt zum Beispiel den Dalai Lama bei seinem Besuch im Jahr 2009 auf dem Landgrafenschloss empfangen, wo er sich in das Goldene Buch eintrug. Ihm wurde damals die Ehrendoktorwürde der Philipps-Universität Marburg für seine Verdienste um die Wissenschaft verliehen. Die Besucher*innen entscheiden, ob sie ihre Seite im Buch lediglich unterschreiben oder noch mit persönlichen Worten an die Stadt oder über den Besuch versehen möchten. Willi Abel und Manfred Ritter, zwei ehemalige Mitarbeiter des Bauamts, gestalteten lange Zeit die Begleittexte zu den Unterschriften der ausgewählten Persönlichkeiten per Hand. Heute werden die Texte am Computer in der Schriftart „Dauphin“ eingetippt und ausgedruckt. Die Schriftart ähnelt der kalligraphischen Gestaltung, also der Schönschrift, die Abel und Ritter verwendeten.
Aktuell besteht das Goldene Buch der Stadt aus vier Bänden. Der erste Band beginnt 1927, der letzte Eintrag darin ist von 1944. Demnach enthält der erste Band auch Unterschriften aus der Zeit des Nationalsozialismus. So trug sich unter anderem der hochrangige NS-Funktionär Hermann Göring in das Goldene Buch der Stadt ein. Der damalige preußische Ministerpräsident und späterer Luftfahrtminister Göring besuchte Marburg, als Prinz Philipp von Hessen in sein Amt als Oberpräsident eingeführt wurde. Danach gab es nur noch wenige Einträge, beispielsweise 1940 zur Erinnerungsfeier für den Marburger Medizin-Nobelpreisträger Emil von Behring. „Unser Gästebuch ist Zeitzeugnis und Stadtdokument, das immer in seinem historischen Kontext zu betrachten ist“, erklärt der OB.
Dann gibt es eine längere Pause: Band Zwei des Goldenen Buches hat Einträge von 1963 bis 1996. Darunter 1970 vom Bundesinnenminister Hans Dietrich Genscher. Dieser besuchte die Universitätsstadt, um gemeinsam mit den Marburger*innen vor dem Rathaus zu diskutieren. 1972 steht der Gruß einer Delegation aus Poitiers, der französischen Partnerstadt Marburgs. Eine Delegation war erst im Oktober wieder in der Stadt. 1972 waren sie zum 12. Hessentag und dem 750-jährigen Jubiläum der Stadt in Marburg – nun waren sie zum Tag der kulturellen Vielfalt zu Gast. 1994 stattete der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl Marburg einen Besuch ab. Bei der Gelegenheit lud die Stadt auch ihn ein, einen Gasteintrag im Goldenen Buch zu unterzeichnen.
Im dritten Band gibt es viele bekannte Unterschriften aus der Zeit von 1996 bis 2015 zu entdecken. So hat sich auch der Schriftsteller Walter Kempowski im Goldenen Buch der Stadt verewigt, der vor allem für seine autobiographisch geprägten Romane bekannt wurde. Die damalige Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel besuchte die Universitätsstadt 2007 anlässlich der Eröffnung der Anlage für Zellkultur-Grippeimpfstoffproduktion von Novartis Behring und trug sich in das Gästebuch der Stadt ein. Den letzten Eintrag im dritten Band erhielt übrigens kein Gast von außen, sondern eine bekannte Persönlichkeit aus Marburg, und zwar: Egon Vaupel. Der Ex-Oberbürgermeister trug sich im November 2015 anlässlich seiner Ernennung zum Ehrenbürger der Stadt Marburg ein.
Das aktuelle Goldene Buch der Stadt ist übrigens immer noch nicht golden – und nicht mal mehr ein Buch: Die Gäste und Freund*innen der Stadt tragen sich auf jeweils einem einzelnen losen Blatt ein. Die werden in einem extra gefertigten Schuber, eine Art Kiste in Buchform, aufbewahrt. Der jedenfalls bringt bereits ein festliches Gewicht auf die Waage: Ganze 5,2 Kilogramm wiegt das aktuelle Gästebuch der Stadt, in dem sich seit 2016 schon 18 Besucher*innen verewigt haben. Sobald genügend Einträge zusammengekommen sind, werden die Seiten zu einem weiteren Band gebunden und im Stadtarchiv aufbewahrt.
Zuletzt besuchten die Universitätsstadt neben der Stadträtin Zoé Lorioux-Chevalier und einer kleinen Delegation aus Poitiers der Kopenhagener Stadtplaner Jan Gehl und der Generalkonsul von Indien Dr. Amit Telang. Und auch die nächste Einladung steht bereits: Im Oktober trägt sich der Oscar-Preisträger Philippe Rousselot in das Goldene Buch der Stadt ein.
Wer jetzt Lust bekommen hat, selbst einmal in Marburgs Gästebüchern zu stöbern, kann die Bände im Stadtarchiv einsehen. Dazu können Interessierte das Archivinformationssystem Hessen unter www.arcinsys.hessen.de nutzen. Wer neugierig auf die Gasteinträge des aktuellen Goldenen Buches ist, kann dieses mit einer Voranmeldung an verwaltungsmanagement@marburg-stadt.de im Rathaus durchblättern.