© Simone Schwalm, Stadt Marburg
„Sicherheit ist auch ein Gefühl. Und das wird durch verschiedene Aspekte beeinflusst, die wir mitbedenken müssen, damit wir das Sicherheitsempfinden der Menschen weiter verbessern können“, so Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies. Auch in Marburg gebe es Orte im öffentlichen Raum, an denen Menschen sich unsicherer fühlen. Durch Umgestaltungen habe sich bereits viel verändert – etwa beim Marburger Jägertunnel, der nun auf Knopfdruck videoüberwacht ist und durch farbenfrohe Graffiti freundlicher gestaltet wurde. Das Ergebnis von Untersuchungen: Die Menschen fühlen sich im Jägertunnel nun sicherer als zuvor. „Anhand solcher Beispiele stellen wir in der Broschüre ,Sicherheitsempfinden in der Öffentlichkeit‘ grundlegende Erkenntnisse zu dem Thema dar – und werben gleichzeitig bei Bauträgern und Architekt*innen dafür, im Städtebau auch Gewaltprävention mitzudenken. Denn so können wir gemeinsam Angst-Orte weiter abbauen.“
Um Bauträgern einen Leitfaden an die Hand zu geben, wie sie bei der Planung schon Prävention mitdenken können, hat die Stadt neben der Broschüre eine Checkliste herausgegeben: „Mit ausreichender Beleuchtung oder Grünschnitt für mehr Helligkeit kann schon bei der Planung von Bauprojekten viel bewirkt werden“, so Bürgermeister und Baudezernent Wieland Stötzel. „Wir haben das Wissen aus der Kriminalprävention dafür in konkrete Ideen und Leitlinien formuliert und fassen wichtige Empfehlungen für die Praxis übersichtlich zusammen.“ In der Checkliste findet sich etwa der Hinweis, Pflanzen mindestens zwei Meter von Wegen entfernt zu pflanzen; Parkplätze für Anwohner*innen sollten übersichtlich und beleuchtet sein und Fahrradstellplätze in einsehbaren Bereichen einer Wohnanlage. Eingangsbereiche von Gebäuden sollten möglichst Tageslicht haben und hell gestrichen sein, heißt es in der Checkliste beispielsweise weiter.
© Birgit Heimrich, Stadt Marburg
Basis der Broschüre und der Checkliste sind mehrere Forschungsarbeiten. Gemeinsam mit Professor Dr. Ulrich Wagner hat Johannes Maaser, Koordinator des Projektes „EinSicht – Marburg gegen Gewalt“, seit 2014 mehrere Forschungsprojekte und sieben Abschlussarbeiten am Fachbereich Psychologie der Philipps-Universität Marburg betreut. „In den Projekten wurden ganz verschiedene Ansätze verfolgt: Die Studierenden und die Mitarbeitenden der Sozialpsychologie haben etwa Orte beobachtet, Telefonbefragungen gemacht und mit Vertreter*innen von Zivilgesellschaft, Verwaltung und Ordnungsbehörden Ortsbegehungen gemacht“, erklärt Maaser. „Die Ergebnisse der verschiedenen Forschungen haben wir nun mit der Broschüre und der Checkliste aufgearbeitet, um sie allgemeinverständlich und für den Alltag anwendbar zur Verfügung zu stellen.“
Denn: das subjektive Sicherheitsempfinden ist ein wichtiges Thema bei der Gestaltung der öffentlichen Räume. In der Sicherheitsentwicklung gibt es nämlich seit Jahren einen positiven Trend, der jedoch in der öffentlichen Wahrnehmung nicht anzukommen scheint. Ende März hatte das Bundeskriminalamt die Polizeiliche Kriminalstatistik für 2019 vorgestellt: Zum dritten Mal in Folge sank die Zahl der Straftaten in Deutschland auf einen historischen Tiefststand. Auch die erfassten Fälle im Bereich Gewaltkriminalität sanken gegenüber dem Vorjahr um 2,3 Prozent. Um das subjektive Sicherheitsempfinden zu verbessern, aber auch weiter die Möglichkeit für Straftaten zu senken, haben das Gleichberechtigungsreferat der Universitätsstadt Marburg und das Projekt „EinSicht – Marburg gegen Gewalt“ in Zusammenarbeit mit weiteren städtischen Fachdiensten die Checkliste sowie die Broschüre erstellt. Beide Veröffentlichungen erfolgen im Zusammenhang mit der Umsetzung der Europäischen Charta für die Gleichstellung von Frauen und Männern. Die Ausarbeitung der beiden städtischen Publikationen folgt auch einem Beschluss der Stadtverordnetenversammlung zur Berücksichtigung von Aspekten der Gewaltprävention und Sicherheit im Städtebau.
Dr. Christine Amend-Wegmann, Leiterin des Fachbereichs Zivilgesellschaft, Stadtentwicklung, Migration und Kultur, betont: „Städtebauliche Maßnahmen sind ein gangbarer Weg, damit sich Menschen an Orten sicher fühlen können. Genauso wichtig ist es aber, auch soziale Phänomene wie Sexismus und andere Arten der Diskriminierung in den Blick zu nehmen, die dafür sorgen, dass Menschen sich bedroht fühlen. Wenn wir über Sicherheit sprechen, müssen wir daher immer auch bei Geschlechterrollen ansetzen. Frauen und Mädchen müssen sich ihre Stärken bewusstmachen, damit sie sich angstfrei und gleichberechtigt überall in unserer Stadt bewegen können. Selbstbehauptungskurse sind dafür sehr gut geeignet.“
Die Checkliste der Stadtverwaltung der Universitätsstadt Marburg für Bau- und Planungsvorhaben sowie die Broschüre zur Entstehung von Sicherheitsbedenken sollen praktische Hilfestellungen bieten, wie unterschiedliche Akteur*innen das subjektive Sicherheitsempfinden positiv beeinflussen können und zu einem besseren Verständnis des Themas beitragen. Beide Publikationen sind online auf der städtischen Homepage zu finden unter www.marburg.de/sicherheitsempfinden-in-der-oeffentlichkeit.
An dem Gemeinschaftsprodukt beteiligt waren mehrere Fachdienste und Fachkräfte der Stadtverwaltung: Dr. Christine Amend-Wegmann, Laura Griese und Janis Loewe aus dem Gleichberechtigungsreferat und Johannes Maaser, Koordinator von „Einsicht – Marburg gegen Gewalt“ im Fachbereich Öffentliche Sicherheit, Ordnung und Brandschutz haben die Veröffentlichungen auf den Weg gebracht. An der inhaltlichen Abstimmung beteiligt waren die Fachdienste Stadtplanung und Denkmalschutz, Hochbau, Tiefbau sowie Klimaschutz, Stadtgrün und Friedhöfe.