Aus Politik, Kultur und Stadtgesellschaft, Universität, Wirtschaft und Gewerbe, Vereinen und Verbänden, Initiativen und Beiräten, Kirchen und Religionsgemeinschaften, Wohlfahrt und sozialen Einrichtungen, Bundeswehr, Verwaltung und Medien waren Vertreterinnen und Vertreter der Einladung der Stadt zum Empfang gefolgt. Unter ihnen begrüßte Thomas Spies Marburger Ehrenbürgerinnen und -bürger, Stadtverordnete, Stadtälteste sowie aktuelle und ehemalige Magistratsmitglieder, Bundes- und Landtagsabgeordnete, den Regierungspräsidenten Dr. Christoph Ullrich, Landrätin Kirsten Fründt, Uni-Präsidentin Prof. Katharina Krause, Marburger Ortsvorsteherinnen und Ortsvorsteher und viele andere mehr.
Von Seiten der Stadtverwaltung nahmen neben den Frauen und Männern in Leitungsfunktionen in diesem Jahr die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Fachdienstes Soziale Dienste am Empfang teil – stellvertretend für eine „Verwaltung voller engagierter, kreativer, hochkompetenter Menschen, die alle bereitstehen, auch wenn es einmal eng wird“, lobte Spies das ganze große Team der Stadt. Das zeichne sich auch dadurch aus, „dass wir nicht darauf verzichten, für das Gemeinwohl immer die Besten zu gewinnen“, kommentierte Spies die aktuelle Frauenquote in der Leitungsebene der Verwaltung von fast 70 Prozent – im Gegensatz zu der neuesten Vergleichszahl aus den Vorstandsetagen der Dax-Konzerne, die just stolz einen Frauenanteil von 7,3 Prozent verkündeten.
„Seien Sie alle herzlich willkommen und fühlen Sie sich ganz wie zu Hause. Hier und heute Abend und überhaupt in Marburg“, sagte der Oberbürgermeister zu den Gästen im Saal. Eine Aufgabe der Politik sei es ja, die Stadt zu einem guten Zuhause zu machen, so Spies. Dass das gelingt, zeigen die Ergebnisse der stadtweiten Befragung, an der im Herbst über 2500 Menschen teilgenommen haben. Die Umfrage – eine Premiere in Marburg – ist ein neues Instrument der Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern, die sich die Stadt auf die Fahnen geschrieben hat. Das Prinzip: „Einfach die Bürgerinnen und Bürger fragen, was ihnen an der Stadt gefällt und was nicht und was ihnen für die Zukunft wichtig ist“, so Spies, „genau das haben wir gemacht“. Auch wenn die Auswertung noch nicht ganz fertig sei, „kann ich Ihnen eines heute Abend schon verraten“, so Spies, „die Marburgerinnen und Marburger leben gerne in Marburg“.
Ebenfalls deutlich geworden ist: Bildung und Betreuung sind die Bereiche, die den meisten Teilnehmenden mit Abstand am wichtigsten waren. Auf Platz 1 der Zukunftsfragen der Stadt sehen sie die Modernisierung von Schulen und Kitas – eine Bestätigung für das auf fünf Jahre angelegte 30-Millionen-Euro-Bildungsbauprogramm der Stadt: Neun Projekte haben 2017 begonnen, weitere neun werden es 2018 sein. „BiBaP ist mehr als Beton, Glas, Holz und Farbe für Schulen“, sagte Spies, es sei ein Konzept dafür, Investitionen in längeren Zeiträumen zu denken, das auch jenseits der Schulen umgesetzt werden solle.
Vor seinen Ausführungen zur Umfrage lud Spies die Gäste des Empfangs selbst zur Beteiligung ein: In einer Live-Abstimmung konnten sie per Smarthphone anklicken, ob sie sich in stadtpolitische Entscheidungen einbringen wollen oder nicht. Beim ersten Durchgang noch etwas verhalten, wuchs die Beteiligung bei zwei weiteren Abstimmungsrunden zu den Themen Kultur und Verkehr im Lauf der Abends deutlich an. Die Ergebnisse entsprachen in etwa denen der stadtweiten Umfrage.
Über Heimat als dem Ort, an dem man sich zu Hause fühlt, als „offenkundig tief verankertes Bedürfnis“, das die meisten auch im 21. Jahrhundert noch hätten, sprach der Oberbürgermeister dann – auch wenn die Antwort auf die Frage, was Heimat sei, durchaus auch so ausfallen könne wie jene neulich von einem Grundschüler, der sagte: „Heimat ist da, wo ich WLAN habe“. Spies zitierte dann Kurt Tucholsky, um klarzustellen, dass man den Begriff Heimat nicht den Falschen überlassen dürfe, dass PEGIDA und Co. weder die Heimat noch „dieses Land und seine Sprache für sich gepachtet haben“. Städte – und damit auch Heimatstädte wie Marburg – haben ihren eigenen Charakter, so Spies, den die Menschen, die darin leben, gemeinsam entwickeln – mit dem Blick auf die Zukunft und auf das große Ganze. „Nur wer alle im Blick hat, kann allen nützen“, betonte der Oberbürgermeister. „Das ist in Marburg seit vielen Jahren unser Markenkern: Als soziale Stadt richten wir unser Handeln am Wohl der Menschen aus“, um auch denen ein gutes Leben zu ermöglich, die Unterstützung bräuchten. „Gleichzeitig behalten wir globale Fragen von Flucht, Umwelt- und Klimaschutz, Sicherheit und Gerechtigkeit im Blick.“
Den gleichen Tenor hatten die rund 100 Sängerinnen und Sänger des Chors „Joy of Life“ der Kurhessischen Kantorei und des „Alten Mensa Chors“, die mitten in Spies‘ Rede unter Leitung von Jan Kleeb unter anderem das Studentenlied der Romantik „Alt Marburg, wie bin ich dir gut“ als neues, zeitgemäßes und „wunderbares Arrangement“ vortrugen.
Als "Zugabe" stimmte der Saal mit ein. Musikalisch auf den Abend eingestimmt hatte zu Beginn die mehrfach preisgekrönte Pianistin Nelly Endres (14), die als bislang vierte Schülerin von Charlotte Schmidt-Schön einen Neujahrsempfang eröffnete.
„Kultur schafft Zusammenhalt und Gemeinwesen“, fuhr Oberbürgermeister Spies fort. „Sie ist eine Quelle für politischen Diskurs.“ Die kritische Begleitung der Stadtgesellschaft und ihrer Entwicklungen durch die Kultur sei deshalb nicht nur ausdrücklich erwünscht, sondern essentiell. Wie erfreulich, dass die Marburgerinnen und Marburger das vielfältige Kulturangebot in ihrer Stadt so rege nutzen. Auch das zeige die Befragung, berichtete Spies.
Und noch eine Erkenntnis hat die Auswertung der Fragebögen gebracht – diesmal in Sachen Verkehr: Alle wünschen sich Fairness, egal ob sie mit dem Bus, dem Auto, dem Rad oder zu Fuß unterwegs sind. Gleichzeitig bezweifeln die Bürgerinnen und Bürger, dass es in der Verkehrspolitik wirklich fair zugeht und alle gleichermaßen zu ihrem Recht kommen – „daran müssen wir arbeiten“, so Spies.
Apropos Verkehr: Den Starttermin für die Sanierung der Weidenhäuser Brücke, des größten Verkehrsprojektes des Jahres 2018, verkündete der Oberbürgermeister beim Empfang: Ab 26. Februar wird die Brücke wegen der Bauarbeiten für mindestens acht Monate voll gesperrt. „Für die Autofahrerinnen und Autofahrer wird das eine Belastung, für Universität, Firmen und Handel auch“, sagte Spies. „Deshalb meine Bitte: Helfen Sie mit, den Autoverkehr ein klein wenig zu reduzieren“ – durch Radfahren, Busse nutzen, zu Fuß gehen. Dazu warb das Stadtoberhaupt für mehr Respekt, Toleranz und Rücksichtnahme im Verkehr und kündigte an, dass sich die Stadt 2018 dafür noch offensiver einsetzen will.
Zu den Zukunftsprojekten 2018 gehören laut Spies weitere große Projekte, die nach Jahren, wenn nicht gar Jahrzehnten des Stillstands im vergangenen Jahr auf einen guten Weg gebracht wurden – wie zum Beispiel die „Dauerbaustelle Marburger Altenhilfe“ am Richtsberg oder die Sanierung des Lokschuppens auf dem Waggonhallengelände. Begleitet wurden die Entscheidungen von lebhaften Debatten in der Stadtgesellschaft. Dass sich noch mehr Menschen an den öffentlichen Diskussionen und an der Gestaltung ihrer Stadt beteiligen, „dass auch diejenigen dafür gewonnen werden, die sich bisher nicht so laut äußern oder nicht so deutlich gehört werden“ – darum geht es, betonte der Oberbürgermeister beim Neujahrsempfang mehr als nur einmal.
Zum „trefflichen Disputieren“ direkt vor Ort lud Thomas Spies die Gäste des Abends im Haus der Stadtgesellschaft denn schließlich auch noch ein: „Viel Spaß und spannende Gespräche“, wünschte der OB den Gästen, bevor das Buffet eröffnete, das die Studierenden der Oberstufenklasse der Marburger Hotelfachschule in Kooperation mit der bottega anboten. Zur Unterhaltung spielten die Bobtowncats, und Thomas Spies wünschte allen „ein frohes, glückliches und gesundes Jahr 2018“.