© Patricia Grähling, Stadt Marburg
„Wir stehen vor großen Herausforderungen: Während wir die Klimakrise bekämpfen, müssen wir die Auswirkungen auch in den Griff bekommen“, sagte Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies. „Was können wir tun, wenn es immer mehr Starkregenereignisse und immer mehr heiße Tage im Sommer gibt? Bei den Fragestellungen unterstützen uns Expert*innen.“ Diese erstellen gerade ein Gutachten zur Klimaanpassung – und gaben in der Online-Veranstaltung einen Zwischenstand zu ihrer Arbeit, zu ersten Analysen und zur angewandten Methodik. Die endgültigen Ergebnisse sollen im Frühjahr 2022 vorgestellt werden.
Was ist Klimaanpassung?
„Bei der Klimaanpassung geht es darum, sich den Folgen durch den Klimawandel bestmöglich anzupassen“, erklärte Geo-Ökologe Janko Löbig von Geo-Net Umweltconsulting. Beim Klimaschutz hingegen gehe es darum, die Ursachen des Klimawandels zu bekämpfen – also die Reduktion von Treibhausgasen, wie etwa CO2 zu erreichen.
Was ist eine Stadtklimaanalyse?
In Städten herrscht ein anderes Klima als in umliegenden, ländlicheren Gegenden – deswegen spreche man von „städtischen Wärmeinseln“, so Janko Löbig. Durch Bebauung, höhere Versiegelung, Emissionen herrscht ein wärmeres und windärmeres Klima als im unbebauten Freiland oder im weniger dicht bebauten Umland, gerade im Sommer.
Im Sommer 2020 haben Mitarbeiter*innen des Büros Ökoplana die Temperaturen in Marburg gemessen. Dabei schauen Expert*innen laut Löbig vor allem auf die Zeit um 4 Uhr in der Nacht – den Zeitpunkt der maximalen Abkühlung. Ebenso gemessen wird tags um 14 Uhr, die ungefähr heißeste Phase des Tages – hierbei gehe es um die gefühlte Temperatur, die die reine Wärmebelastung des Menschen besser spiegele, als die reine Lufttemperatur.
Löbig gab erste Einblicke in die nächtliche Lufttemperatur. Eine Stadtkarte zeigt in Blau kühlere Bereiche und in Orange bis Rot warme bis deutlich wärmere Bereiche. Das Ergebnis: Im Stadtgebiet variiert die Temperatur – liegt in der Nacht aber an manchen Stellen bis zu 6 Grad höher als im umliegenden Freiland. Die Karte zeigt die deutliche Kühlwirkung großer Grünflächen in der Stadt, die leichte Kühlwirkung von begrünten Innenhöfen und ebenso die Überwärmung in Bereichen mit viel versiegelter Fläche – etwa am Marktplatz in der Oberstadt.
Kaltluftschneisen und auch die Wärmebelastung am Tag haben die Fachleute untersucht. Die Wärmebelastung wird am Tag auch durch Sonneneinstrahlung wesentlich beeinflusst. Die Aufenthaltsqualität ist an sonnigen, warmen Tagen besonders an Gewässern, im Wald und in schattigen Innenhöfen höher. Wärmer wird es dagegen auf großen Flächen ohne Verschattung – etwa im Verkehrsraum oder auf dem Marktplatz.
In das erarbeitete Modell hat das Büro Geo-Net auch Prognosen eingearbeitet zur Demographie, zum Klimawandel und der Stadtentwicklung. Wie könnte es mit der Hitze also 2035 in Marburg aussehen? „Begrünte Flächen bleiben wichtige Ausgleichsräume mit geringerer Wärmebelastung“, so Löbig. Wichtig sei es daher, diese Räume zu erhalten und zu schützen – und in Neubau und Bestand für weitere solcher Rückzugsräume zu sorgen.
Aus dieser Analyse wird das Fachbüro nun eine Planungshinweiskarte für das Stadtklima entwickeln. „Wir werden jede Fläche einzeln bewerten: Wie ist die Belastung? Welche Bedeutung haben hier Grünflächen hinsichtlich Kaltluftströmungen und Aufenthaltsqualität am Tag? Wo leben besonders viele Menschen in thermisch belasteten Gebieten?“ Diese Karte werde ein Werkzeug für alle Planungsebenen und die Stadtpolitik.
Was ist eine Starkregenanalyse?
Hendrik Janssen (Dr. Pecher AG), befasst sich mit der Steuerung der Auswirkungen von Regenereignissen. Für Marburg hat das Büro bereits mehr als 500 Karten erstellt, um das Starkregenrisikomanagement zu erstellen. „Starkregenereignisse können in Zukunft häufiger auftreten“, so Janssen. Wo können Gebäude und Einwohner*innen wie stark betroffen sein? Mit einem Simulationsmodell wurde das berechnet – für 30-jährige und 100-jährige Hochwasser und für ein Extremereignis mit 90 Millimetern Blockregen. So hat die Pecher AG eine Risikoanalyse erstellt und gezeigt, wo sensible Infrastrukturen liegen und betroffen sein können – und wie stark sie betroffen sein können. Daraus wird ein Konzept erarbeitet, mit dem starkregenbedingte Überflutungen gemindert werden können. Dazu gehören laut Janssen im ersten Schritt die Überflutungsvorsorge und das Risikomanagement, ebenso aber eine wasser- und klimasensible Stadtentwicklung und nicht zuletzt die Öffentlichkeitsarbeit, um Bürger*innen zu informieren, was sie beitragen und wie sie Eigenvorsorge betreiben können.
Was kann Marburg aus dem Handlungskonzept zur Klimaanpassung ableiten?
Jan Benden (Büro must) hat Stadtplanung unter anderem in Spanien und den Niederlanden gemacht. „Marburg hat nun eine gute Wissensbasis, was Klimawandel und seine Gefahren mit Hitze und Starkregen betrifft. Nun stellt sich die Frage: Was macht man mit diesem Wissen?“ Sein Büro sei damit beauftragt, aus diesem neuen Wissen ein Handlungskonzept zur Klimaanpassung zu entwickeln. Gebäudebegrünung, Verschattungen, Wasser im Stadtraum seien beispielsweise Elemente, um Hitzevorsorge bei der Stadtgestaltung zu unterstützen. Bei der Starkregenvorsorge gehe das etwa mit Retentionsräumen und Versickerungsflächen an vielen Stellen – auch auf Dächern. In verdichteten Innenstadtbereichen müssten dafür kleinteilige Möglichkeiten gefunden werden. „Das ist eine absolute Gemeinschaftsaufgabe. Alle müssen ihren Beitrag leisten“, sagte Benden.
Die Lokalpolitik könne Grundsätze beschließen, etwa dass Städtebau immer auf Minimierung klimawandelbedingter Effekte auszurichten sei. Es können auch Vorgaben für private Bauprojekte festgelegt werden.
Die Stadtverwaltung könne bei Planungen den Klimawandel frühzeitiger mitdenken – bei Siedlungsplanung etwa direkt Hitzevorsorge mit einberechnen.
Bauträger*innen können ebenso Klimaanpassung mehr einbinden – und vielfältige Begrünung inklusive Dachbegrünung einplanen.
Die Stadtgesellschaft könne Klimaanpassung von der Politik einfordern, könne sich aber auch selbst engagieren – etwa mit Entsiegelungsaktionen und Baum- und Gießpatenschaften.
„Man kann jeden Tag an den richtigen Stellschrauben drehen. Aber wir müssen jetzt anfangen, damit unsere Kinder die Früchte ernten können“, so Benden.
Wie geht’s weiter?
„Wir sind im intensiven Austausch mit Bürger*innen, Expert*innen und anderen Kommunen“, so der Klimaschutzbeauftragte Achim Siehl. Im Frühjahr 2022 soll dann das Konzept zur Klimaanpassung vorgestellt werden. „Die Frage Klimafolgenanpassung ist eine Notwendigkeit, der wir uns nicht verweigern dürfen“, betonte OB Spies. Es sei aber auch eine Veränderung, die Marburg haben wolle: „Die Frage, wie wir die Lebensqualität in Marburg weiter verbessern, passt sehr gut zu den Notwendigkeiten.“