„Wir wollen in Marburg, dass alle Menschen bei Politik mitsprechen – und ich freue mich, wenn Sie mitsprechen“, begrüßte Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies die Teilnehmenden im Historischen Rathaussaal. Eine Gruppe kam aus dem Projekt des Lebenshilfewerks „Wir.Sprechen.Mit“, andere waren Schüler der Mosaikschule. Dabei waren auch Vertreter*innen der Ergänzenden Unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB), des Netzwerkes für Teilhaben und Beratung (NTB e.V.) sowie Vertreter*innen des Vereins zur Förderung der Inklusion behinderter Menschen (fib). Die Stadtverwaltung hatte sie ins Rathaus zu einem Gespräch mit dem Rathaus-Chef eingeladen. Dieser direkte Informationsaustausch zwischen politischer Verwaltungsspitze und Menschen mit Lernschwächen ist ein Ziel des Projektes „Kommunalwahl 21 – Verstehen und Mitmachen“ und reiht sich in die Aktivitäten der Bürger*innenbeteiligung ein.
In diesem Zusammenhang hatte Spies bereits erläutert: „Der Universitätsstadt Marburg ist die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an stadtpolitischen Diskussionen und Entscheidungen sehr wichtig und von großem Wert. Doch soll Beteiligung nicht nur einer kleinen Gruppe möglich sein, sondern allen Marburger Bürgerinnen und Bürgern. Unsere Aufgabe als Stadt ist es, Sie dazu in die Lage zu versetzen und Sie dabei zu unterstützen, Ihre Interessen einbringen zu können.“ Das Ziel, möglichst viele und unterschiedliche Marburger*innen an stadtpolitischen Belangen zu beteiligen – auch jene, die schwerer erreichbar sind – ist als „Barrierefreiheit und Vielfalt“ eines der fünf Ziele, die die Stadt mit dem Konzept zur Bürger*innenbeteiligung in Marburg umsetzen möchte.
Dazu gehört, auch den Menschen, die sich und ihre Meinung aus unterschiedlichen Gründen weniger einbringen, Zugänge zu ermöglichen und Hürden abzubauen. Mit dem neuen Projekt „Kommunalwahl 21 – Verstehen und Mitmachen“ sollen besonders diejenigen Menschen direkt angesprochen werden, für die Sprache eine Barriere darstellt. Das Projekt hat zum Ziel, Menschen mit Lernschwächen zur (politischen) Teilhabe zu mobilisieren. An der Umsetzung arbeitet federführend der Fachdienst Bürger*innenbeteiligung. Mit dabei sind außerdem der Fachdienst Soziale Leistungen und das Referat für die Gleichberechtigung von Frau und Mann.
Mira Wiessalla als Peer-Beraterin der Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB) und Bernd Gökeler als Vorsitzender des Netzwerks für Teilhabe und Beratung (NTB) begleiten das Projekt „Kommunalwahl 21 – Verstehen und Mitmachen“. Darüber hinaus haben die Fachdienste maßgebliche Unterstützung von „Wir.Sprechen.Mit“ erhalten: Gertrud Nagel vom Lebenshilfewerk berichtete, dass sie die Teilnehmenden mit Lernschwächen dabei unterstützten, die Fragen für das Gespräch mit dem Oberbürgermeister vorzubereiten.
Für das Gespräch mit dem Stadtoberhaupt hatte die Bürger*innenbeteiligung grüne Karten mit der Aufschrift „Halt! Verständliche Sprache“ vorbereitet, mit denen die Teilnehmenden signalisieren konnten, wenn das Gesagte leichter ausgedrückt werden sollte. Eine der Fragen an den OB bezog sich auch direkt auf die „Leichte Sprache“ – inwieweit diese im Rathaus und in der Stadtverwaltung genutzt wird. Spies berichtete, dass die Stadt Marburg in den vergangenen Jahren vermehrt „Leichte Sprache“ nutzt. Für die Mitarbeiter*innen der Verwaltung gibt es Schulungen. Zukünftig solle es außerdem noch mehr Faltblätter und Infobroschüren in „Leichter Sprache“ geben. Kerstin Hühnlein vom Fachdienst Soziale Leistungen und Mitglied in der „AG Leichte Sprache“ des Behindertenbeirats, fügte hinzu, dass die Stadt bereits Informationen in Leichter Sprache im Internet und im Stadtmagazin „Studier mal Marburg“ veröffentlicht.
Außerdem ist geplant, Materialien zur Kommunalwahl 2021 zu entwickeln, um Menschen mit Lernschwächen und anderen Menschen, für die Sprache eine Hürde darstellt, den Zugang zu erleichtern. Das berichtete Dr. Griet Newiger-Addy, Leitung der Bürgerinnen- und Bürgerbeteiligung. So sollen Informationen rund um das Thema Kommunalwahl, aktives und passives Wahlrecht sowie Zuständigkeiten der Kommune in leichter und verständlicher Sprache entwickelt werden. Erklärfilme, Theater oder Rollenspiele sollen als alternative Formen der veranschaulichenden Informationsweitergabe berücksichtigt werden.
Zum so genannten veranschaulichenden Prinzip gehört auch, Institutionen mit Personen zu verknüpfen und diese erlebbar beziehungsweise nahbar zu machen – wie etwa mit dem Besuch beim Oberbürgermeister. Er antwortete den Fragen der Teilnehmenden in einfacher Sprache. So ging es unter anderem um Themen wie das Oberstadt-Pflaster, Müll und Behindertenparkplätze. Lorenz Ruchholtz von der Mosaikschule etwa interessierte sich zum Beispiel für eine ganz bestimmte Ampelschaltung, die er als verkürzt empfand. Doris Hilberger, Koordinierungsstelle Bürger*innenbeteiligung, versprach, dem nachzugehen und seiner Lehrerin Celina Kranz Rückmeldung zu geben.
Spies berichtete den Besucher*innen außerdem anschaulich, wie bei ihm ein Arbeitstag abläuft und welche Aufgaben er hat. Im Anschluss an das Gespräch im Rathaussaal zeigte der Oberbürgermeister den Gästen sein Amtszimmer sowie mit dem Stadtverordnetensitzungssaal den „Ort, an dem in Marburg entschieden wird“.
Hintergrund
Vor fast genau einem Jahr hat die Stadtverordnetenversammlung der Universitätsstadt den Konzeptentwurf zur Beteiligung von Bürger*innen in Marburg mit großer Mehrheit angenommen. Den Entwurf hatten Einwohner*innen Marburgs mit Mitarbeitenden der Verwaltung, Stadtverordneten und wissenschaftlicher Begleitung in einem rund einjährigen Beteiligungsprozess erarbeitet, der organisiert wurde von Dr. Griet Newiger-Addy, Leiterin der Koordinierungsstelle Bürger/innenbeteiligung der Universitätsstadt Marburg. Das Konzept sieht unter anderem vor, zeitlich befristete Beteiligungsformate zu einzelnen Themen, etwa zur Barrierefreiheit, zu entwickeln.