© Simone Schwalm, Stadt Marburg
„In der Universitätsstadt Marburg ist uns die gleichberechtigte Teilhabe aller Bürger*innen ein sehr wichtiges Anliegen. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir uns immer wieder klarmachen: Menschen sind nicht behindert, sie werden behindert. Wir wollen aber, dass in Marburg alle Bürger*innen gleichberechtigt und chancengleich leben können“, sagt Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies. So ist ein Ziel der Stadt, Barrieren jeglicher Art weiter abzubauen: „Menschen mit Beeinträchtigungen sollen in allen Lebensbereichen die gleichen Beteiligungsmöglichkeiten haben“, sagt der OB und verweist auf den bewusst gewählten Titel des Zweiten Teilhabeberichts der Universitätsstadt, der nun nach eineinhalb Jahren intensiver Arbeit veröffentlicht wurde: „Beeinträchtigung, Behinderung – Teilhabe“.
Der Bericht stellt eine aktuelle Bestandsaufnahme zur Teilhabe von Menschen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen in Marburg dar. Noch vorhandene Barrieren und Bedarfe sind von den Mitwirkenden identifiziert und benannt worden. Dabei ist Teilhabe das große Thema. So sind Informationen und die Ziele der Stadt als Leit-Ideen durchgängig in Leichter Sprache formuliert, um die Inhalte des Berichts möglichst allen Interessierten vereinfacht zugänglich zu machen.
Teilhabe spiegelt sich auch im gesamten Prozess der Entstehung des Zweiten Teilhabeberichts wider. So waren an der Erarbeitung zahlreiche Menschen als feste Mitglieder einer Projektgruppe beteiligt, auch beratende Gäste haben an den Arbeitstreffen mitgewirkt. Expert*innen aus dem Behindertenbeirat, aus verschiedenen Bereichen der Stadtgesellschaft und der Stadtverwaltung haben den Bericht der Sozialplanung intensiv mitgestaltet und eng begleitet. Der Bericht wurde auf Initiative des Behindertenbeirats und im Auftrag des Magistrats erstellt.
Mitgearbeitet haben Menschen, die selbst Beeinträchtigungen und Behinderungen erfahren; Institutionen, Vereine, Selbsthilfegruppen, die Philipps-Universität Marburg und verschiedene städtische Fachdienste. Auch viele neue Kooperationspartner*innen wurden gewonnen, etwa einzelne Schulen, Träger von Angeboten und vor allem Betroffene. In enger Kooperation mit der Philipps-Universität gab es eigens für den Bericht eine Befragung von Menschen mit Beeinträchtigungen. Die Marburger*innen haben von ihren Vorstellungen von „Teilhabe“ und Veränderungswünschen für die Stadt Marburg erzählt. Ein wegweisendes Zitat aus den anonymisierten Interviews: „Mein Traum ist es, dass man sich ergänzt und man nicht sagt: Das ist der Behinderte und das der Normale.“
Alle Beteiligten haben durch ihr Wissen, ihre Erfahrungsberichte und Interviews dazu beigetragen, einen besseren Einblick in die aktuellen Strukturen der Universitätsstadt zu erhalten und Verbesserungsideen zu gewinnen. Damit ist der Bericht für die kommunale Teilhabeplanung unerlässlich: „Der Teilhabebericht 2020 ist richtungsweisend und impulsgebend für weitere Entwicklungen in unserer Stadt“, betont der OB und dankt der Projektgruppe für den umfassenden Bericht, der unterschiedlichste Blickrichtungen zusammenbringt.
Der Teilhabebericht 2020 baut auf dem Ersten aus dem Jahr 2015 auf, in dem erstmalig das breite Angebotsspektrum für Menschen mit Behinderungen in Marburg dargestellt wurden. Diese erste Bestandsaufnahme zeigte Lebenslagen von Menschen mit Behinderungen, Teilhabemöglichkeiten sowie Barrieren, Bedarfe und Verbesserungspotentiale auf. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen folgte 2017 ein Aktionsplan, der Ziele zur Stärkung der Teilhabe und konkrete Maßnahmen festlegte. Es wurde von 2017 bis 2019 umgesetzt. Aufbauend auf dem ersten Bericht wurde nun der Zweite Teilhabebericht erarbeitet, der die Entwicklungen der vergangenen fünf Jahre einbezieht und wesentlich breiter gefasst ist. So wurden erstmalig auch Beeinträchtigungen wie chronische Erkrankungen und Hörbeeinträchtigungen betrachtet.
Neben den primären Lebensbereichen Bildung, Arbeit, Wohnen und Freizeit wurden nun auch spezielle Themen wie die psychische Gesundheit, Kommunikation und politische Mitbestimmung in den Blick genommen. Aufbauend auf dem Aktionsplan aus 2017 wurden im aktuellen Teilhabebericht neue Schwerpunkte gesetzt. Im Bericht 2020 werden insbesondere die geschlechtersensible Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und geschlechtsbezogene Angebote thematisiert. So geht es in einem Kapitel beispielsweise um Unterstützung bei Gewalt gegen Menschen mit Behinderungen und geschlechtsbezogene Gewaltprävention. Zugehörige Unterkapitel beschäftigen sich sowohl mit Gewalt gegen Mädchen und Frauen als auch gegen Jungen und Männer mit Behinderungen.
Als weitere Schwerpunkte wird die Teilhabe im Alter und von geflüchtete Menschen mit Beeinträchtigungen in den Fokus genommen. Ebenfalls neu ist ein Kapitel, in denen Angehörige zu Wort kommen und von ihrer Lebenssituation berichten. Solche Erfahrungsberichte und Handlungsempfehlungen ergänzen die Darstellungen der Themenbereiche und Strukturen. Diese erneute Bestandsaufnahme zeigt weitere Handlungspotentiale auf – als Grundlage der zukünftigen kommunalen Teilhabeplanung, die an den Gestaltungsideen aller Mitwirkenden ausgerichtet ist.
Weitere Informationen zum Thema sind auf der städtischen Homepage zu finden unter www.marburg.de/teilhabe. Auf dieser Seite stehen auch der erste sowie der Zweite Teilhabebericht als pdf-Dokumente zum Download zur Verfügung, ebenso der Marburger Aktionsplan aus dem Jahr 2017 sowie weitere Dokumente und Protokolle. Der Zweite Teilhabebericht kann auch als Druckversion zur Verfügung gestellt werden. Interessierte wenden sich bitte per E-Mail an Monique.Meier@marburg-stadt.de.
Hintergrund
Die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) verfolgt das Ziel, die Rechte von Menschen mit Behinderungen weiter zu stärken. Es geht dabei um die Förderung der Chancengleichheit und um eine allesumfassende gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft. In der Universitätsstadt Marburg wird die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) kontinuierlich durch kommunale Berichterstattung und Teilhabeplanung umgesetzt. Menschen mit Beeinträchtigungen sollen in allen Lebensbereichen die gleichen Beteiligungsmöglichkeiten haben und Barrieren jeglicher Art weiter abgebaut werden.
Der aktuelle Teilhabebericht 2020 zeigt, wie die bisherige Umsetzung der UN-BRK vor Ort erfolgt ist und derzeit weitergeführt wird. Ebenso sind gesetzliche Änderungen (Bundesteilhabegesetz) und neue Strukturen dargestellt, wie beispielsweise die „Ergänzende Unabhängige Teilhabeberatung“ (EUTB) des Netzwerks für Teilhabe und Beratung.
Mitwirkende der Projektgruppe zur Erarbeitung des Zweiten Teilhabeberichtes sind:
- Eugen Anderer, Musikschule Marburg
- Heinz Willi Bach, DVBS, Mitglied des Behindertenbeirats
- Josef Bardelmann, Deutsche Parkinson-Vereinigung
- Roland Böhm, Mitglied des Behindertenbeirats
- Bernhard Conrads, Freunde des Museums für Kunst und Kulturgeschichte Marburg
- Tina Dürrbaum, Frauennotruf Marburg
- Bernd Duve-Papendorf, Sozialverband VdK Hessen-Thüringen
- Sabine Failing, Epilepsie-Selbsthilfegruppe Marburg
- Pia Tana Gattinger, Bewohnernetzwerk für Soziale Fragen
- Bernd Gökeler, Netzwerk für Teilhabe und Beratung, Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung
- Kerstin Hühnlein, Behindertenhilfe der Stadt Marburg
- Sven D. Jerschow, Agentur für Arbeit
- Heike Klewinghaus, Angebot „Raus ins Leben“ der Stadt Marburg
- Doris Kroll, Frauennotruf Marburg, Wendo Marburg
- Tanja Luft, AG „Leichte Sprache“ des Behindertenbeirats
- Anneliese Mayer, Mitglied des Behindertenbeirats
- Monique Meier, Sozialplanung der Stadt Marburg (Organisation, Koordinierung)
- Amélie Methner, Ex-In Hessen, Netzwerk für Teilhabe und Beratung
- Katharina Nickel, Frauennotruf Marburg
- Hilde Rektorschek, BC Basketball Club, Handicap-Basketball-Team
- Marion Richter, Soziale Hilfe Marburg, Zentrum für Psychose und Sucht
- Tanja Strobel, Soziale Hilfe Marburg, Zentrum für Psychose und Sucht
- Carolin Tillmann, Philipps-Universität, Institut für Erziehungswissenschaft
- Sabine Wendt, Deutscher Schwerhörigenbund, Ortsverein Gießen