© Birgit Heimrich, Stadt Marburg
„Zu einer lebenswerten Stadt gehören unbedingt gute Rahmenbedingungen für Familien. Diese beinhalten unter anderem ausreichend viele Kinderbetreuungsplätze und gute Schulen. Wichtig ist auch, dass wir uns mit den Rollenzuschreibungen an Mütter und Väter auseinandersetzen“, sagt Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies. Diese Auseinandersetzung ermöglicht die Tagung „Elternschaft und Gender Trouble“ vom 21. bis 23. Juni. Grundlage ist, dass Familie zunehmend als paradoxer Ort erscheine, an dem einerseits vielfältige Familienformen diskutiert und gelebt werden, andererseits traditionelle Geschlechterrollen weiterbestehen. Dementsprechend zeigen sich im öffentlichen Diskurs widersprüchliche kulturelle Vorstellungen davon, was Mutterschaft, Vaterschaft und Elternschaft bedeuten: Die traditionellen Anforderungen an „gute“ Mütter und Anforderungen an Frauen als Arbeitnehmerinnen existieren nebeneinander und führen im Alltag oft zu Überlastung. Gleichzeitig wird der „neue Vater“ als partnerschaftliches Idealmodell gesehen, ohne an traditionellen Konzepten von Männlichkeit wie dem Mann als Ernährer zu rütteln.
Die Tagung „Elternschaft und Gender Trouble“ schließt thematisch an die Veranstaltung „Mutterschaft zwischen Konstruktion und Erfahrung“ an, die 2016 in Marburg stattgefunden hat. „Wir wollen Sichtweisen auf Mutterschaft mit Konzepten von Vaterschaft und der Vielfalt von Familienformen in einen Dialog bringen“, beschreibt Dr. Helga Krüger-Kirn, eine der Organisatorinnen, das Ziel der Tagung. Bisher habe die Familienforschung diese Bereiche weitestgehend getrennt erforscht. Ein Zusammendenken sei nötig, um dem gesellschaftlichen Wandel in Bezug auf Elternschaft gut zu begegnen. „Wir brauchen Ansätze für integrative und geschlechterübergreifende Formen von Elternschaft. Denn die Gleichberechtigung der Geschlechter zeigt sich auch daran, wie Care Arbeit verteilt ist“, betont die Leiterin des städtischen Gleichberechtigungsreferats, Dr. Christine Amend-Wegmann. „Care Arbeit“ umschreibt Tätigkeiten des Sorgens und sich Kümmerns, etwa die Kinderbetreuung oder die Pflege älterer Menschen.
Die Tagung findet in Kooperation mit dem Zentrum für Gender Studies und feministische Zukunftsforschung und dem Forschungsprojekt REVERSE der Philipps-Universität Marburg statt. Zu den Unterstützer*innen zählen das Gleichberechtigungsreferat und der Fachdienst Gesunde Stadt der Universitätsstadt, die Initiative „Gesundheit fördern – Versorgung stärken“ von Stadt und Landkreis, die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte der Philipps-Universität Marburg, der Fachdienst Prävention und Beratung des Marburger Gesundheitsamtes sowie der Fachbereich 21, Sozial- und Rehapädagogik der Philipps-Universität.
Programm
Eröffnet wird die Tagung am Freitag, 21. Juni, um 9.30 Uhr von Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies, von der Leiterin des städtischen Gleichberechtigungsreferats, Dr. Christine Amend-Wegmann, und von der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten der Philipps-Universität, Dr. Nina Schumacher. An insgesamt drei Tagen geht es um die Themen „Mutterbilder und Geschlechterrollen“ (Freitag), „Vätermythen und Arbeitsteilung“ (Samstag) sowie „Familienformen und Geschlechterrollen“ (Sonntag). Dabei kommen sowohl gesellschaftliche und sozioökonomische Rahmenbedingungen als auch psychosoziale und geschlechtsspezifische Wirkfaktoren in den Blick.
Den Auftakt machen am Freitag um 10.15 Uhr Dr. Helga Krüger-Kirn und Leila Zoë Tichy mit einem Vortrag zu ihrem aktuellen Forschungsprojekt REVERSE. Im Anschluss ab 11.30 Uhr erörtert Sabine Toppe in ihrem Vortrag, wie die Gleichsetzung von Weiblichkeit und Mütterlichkeit dazu führt, dass Frauen mehr Fürsorge- und Haushaltsarbeit übernehmen. Nach einer Mittagspause spricht Sarah Speck ab 14 Uhr über den Einfluss der Gleichheitsnorm auf die Eltern-Kind-Beziehungen.
Am Samstag führt Lisa Y. Haller ab 10.15 Uhr in ihrem Vortrag „Wie kommt die Politik zu den Eltern?!“ aus, dass die Arbeitsteilung in der Familie häufig keine individuelle Wahl des Lebens- und Familienmodells ist, sondern strukturell bestimmt. Sebastian Winter widmet sich ab 11.30 Uhr „sozialpsychologischen Überlegungen zum Unbehagen moderner Väter“. Christina von Braun geht ab 14 Uhr in ihrem Vortrag den historischen Linien des Mythos der väterlichen Blutslinie nach.
Einen Einblick darin, wie das Thema „Kindeswohl“ zum diskursiven Austragungsort gesellschaftlicher Konfliktfelder wird, bietet Charlotte Busch am Sonntag ab 9.30 Uhr. Traditioneller Arbeitsteilung in der Familie widmet sich Karin Flaake ab 10.45 Uhr. Eine Identifikation von Weiblichkeit mit Mutterschaft gehe mit Abwertungen einher: „weibliche“ Arbeiten werden schlechter bezahlt, weibliche Arbeiten „bedrohen“ aber Konzepte von Männlichkeit und männlicher Autonomie – Rolf Pohl erläutert diese Konfliktlinie ab 12.30 Uhr im Kontext sozial-psychoanalytischer Konzepte.
Zudem werden Nachwuchswissenschaftler*innen am Freitag und am Samstag eigene Forschungsarbeiten vorstellen: am Freitag ab 15 Uhr zum Thema „Elternschaft zwischen Recht und Politik“ und ab 16.45 Uhr zu „Elternschaft zwischen Diskurs/Medien/Wissenschaft“ sowie am Samstag ab 15.15 Uhr zum Thema „Erfahrungsweisen von Elternschaft“. Den Veranstalter*innen ist außerdem wichtig, über Elternschaft nicht alleine als Forschungsgegenstand zu sprechen, sondern eine breitere gesellschaftliche Debatte zu öffnen. So sollen Eltern und Interessierte die Möglichkeit zu Austausch und Vernetzung erhalten, beispielsweise in Form von „Erzählcafes“. Die Leitfrage für die Erzählcafes lautet: „Was ist nötig, um zu ermöglichen, dass Familie aus einer ganzheitlichen Perspektive (Mutterschaft, Vaterschaft, Elternschaft, Kinder, Freunde und andere Verwandte) in Stadt und Landkreis Marburg gut und gesund lebbar ist?“ Dazu sind alle Interessierten und Eltern am Freitag und Samstag von 15.15 bis 17. 30 Uhr herzlich eingeladen.
Um die Planungen zu erleichtern, wird für die einzelnen Termine um eine unverbindliche Anmeldung per E-Mail an elterngt@staff.uni-marburg.de gebeten. Wer Unterstützung, zum Beispiel aufgrund einer Behinderung oder für eine Kinderbetreuung, benötigt, kann diese bei der Anmeldung erfragen.
Weitere Informationen und den Programmplan gibt es am Institut für Erziehungswissenschaft, Bunsenstraße 3, 35032 Marburg, (06421) 28-24703, https://www.uni-marburg.de/de/fb21/erzwinst/arbeitsbereiche/soreha/symposium.