© Patricia Grähling, Stadt Marburg
Die Marburger Stadtverordnetenversammlung hatte beschlossen, drei außereuropäische Wissenschaftler zu ehren, indem sie diese im Stadtbild namentlich verewigen. Auch der Marburger Werner Karry und die deutsche Politikerin und Jüdin Hildegard Hamm-Brücher werden in Neubenennungen gewürdigt. Das Schild am ersten nun neu benannten Weg hat Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies gemeinsam mit den drei Söhnen von Dr. Mansaley Kobba aus Sierra Leone – Dr. Samuel Kobba und Dr. Joseph Kobba und Momoh Kobba – enthüllt. Auch Stadtverordnetenvorsteherin Marianne Wölk und Dr. Gangolf Seitz, Vorstandsvorsitzender von Terra Tech, waren bei der Enthüllung des Schildes dabei.
„In der europäischen Wissenschaft im 19. und 20. Jahrhundert wurden die Leistungen von Wissenschaftler*innen, die nicht aus Europa oder Amerika stammten, weniger gewürdigt. Gerade angesichts der Rassismus-Debatten in den vergangenen Monaten ist es ein richtiges und wichtiges Signal, auch außereuropäische Persönlichkeiten mit Bezug zu Marburg zu würdigen und deren Namen in unserer Stadt sichtbar zu machen“, so Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies, „und wir ehren hier einen Menschen, der gezeigt hat, was Humanität bedeutet“. Wölk ergänzte: „Diese Benennung ist unser Beitrag, die Weltoffenheit der Stadt zu verdeutlichen und zu leben“.
Ein Weg für Dr. Buakarie Mansaley Kobba
Buakarie Mansaley Kobba (Anfang 1930er-2015) wurde in Mobai in Sierra Leone geboren. Er kam nach dem Abitur in den 1950er-Jahren nach Marburg und studierte hier Medizin. Damit war er einer der ersten afrikanischen Studenten in Marburg überhaupt. „Er hat es verstanden, mit seinem Charme und seiner Kontaktfreudigkeit schnell ein Netzwerk innerhalb und außerhalb der Universität zu knüpfen“, so Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies.
Kobba promovierte in Marburg, erhielt in Hamburg das Diplom der Tropenmedizin, machte in Berlin ein Diplom in öffentlichem Gesundheitswesen. Als er nach Sierra Leone zurückkehrte, erzielte er dort wegweisende Fortschritte in der medizinischen Versorgung – unterstützt von zahlreichen Marburger*innen und dem Verein Terra Tech. Seine Freunde aus aller Welt halfen ihm mit Spenden für den Bau eines Krankenhauses, führt Spies aus. Die „Eastern Clinic“ wurde 1968 eröffnet, das Personal bildete Kobba selbst aus. „Kobba setzte außerdem auf eine prophylaktische Medizin“, so Spies. „Auf seine Initiative hin wurden mehr als hundert Dörfer mit hygienischen Brunnen und Latrinen ausgestattet. Eine mobile Einheit der Klinik besuchte zudem regelmäßig die Dörfer in der Umgebung, um dort kleine Kinder zu untersuchen und zu impfen und die Mütter in Fragen der Ernährung und Hygiene zu beraten.“ Um für den Betrieb der Klinik nicht dauerhaft auf Spenden angewiesen zu sein, begann Kobba, die Kosten durch den Anbau von Reisfeldern und Ölplantagen abzusichern.
Die Erfolgsgeschichte der „Eastern Clinic“ nahm 1991 im Bürgerkrieg ein jähes Ende. Rebellen überrannten die Klinik, Kobba musste mit seiner Familie und dem Personal fliehen. Kobba lebte zehn Jahre als Flüchtling, monatelang von Rebellen inhaftiert. Nach Kriegsende praktizierte Kobba weiter als Arzt, zog sich in den letzten Jahren seines Lebens in seinen Geburtsort zurück und behandelte dort Kranke, kümmerte sich um die Palmölplantagen. „Bukarie Mansaley Kobba hat nie persönlichen Reichtum besessen. Seine unendliche Energie schenkte er seinem Land und den Menschen aus seinem Dorf. Mit der Benennung dieses Weges wollen wir einen außergewöhnlichen Mann ehren“, so Stadtoberhaupt Spies.
„Diese Straßenbenennung ist eine große Ehre für uns“, sagte Dr. Samuel Kobba. „Unser Vater hat viel von Marburg für sein Wirken mitgenommen – und er hat hier viel Unterstützung bekommen.“ Sein Bruder Momoh Kobba ergänzte: „Wir wollen die Arbeit von Mansaley Kobba weiterführen. Seine Klinik ist marode – wir werden sie wieder in Gang setzen. Es gilt, Aufbau zu leisten, damit der Name unseres Vaters auch in unserem Heimatland weiterlebt.“
Neue Straßenschilder und deren entsprechende, feierliche Enthüllungen wird es in diesem Jahr außerdem geben für:
Kreisverkehr für Sunao Tawara
Sunao Tawara (1873-1952) war ein japanischer Pathologe. Er kam 1903 als Student der Medizin nach Marburg. Als Schüler von Ludwig Aschoff, dem Leiter des Pathologischen Instituts Marburg, entdeckte er den sogenannten Aschoff-Tawara-Knoten, der eine zentrale Funktion im Reizleitungssystem des menschlichen Körpers hat. Der Knoten befindet sich im Bereich der Muskelfasern des Herzens. Und die Grundlagenforschung für diese bedeutende Entdeckung erfolgte in Marburg. „Wir wollen die herausragende medizinische Leistung von Sunao Tawara ehren und gleichzeitig auch die traditionsreiche wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen Japan und Marburg würdigen“, erklärt Spies. Daher erhält der Verkehrskreisel in der Baldingerstraße auf den Lahnbergen den Namen Tawara-Aschoff-Knoten. Die Geschäftsführung des Universitätsklinikums Gießen Marburg (UKGM) und die Philipps-Universität haben den Vorschlag ebenfalls positiv begleitet.
Platz auf den Lahnberge für Dr. Tada Urata
Dr. Tada Urata (1873-1936) war eine japanische Augenärztin und die erste Medizinerin, die in Marburg ihren Doktortitel erhielt. Die in Japan ausgebildete Wissenschaftlerin arbeitet in Tokio am Forschungsinstitut des Bakteriologen Shisabura Kitasato, einem Kollegen und Freund des Impfpioniers Emil von Behring. Zum Sommersemester 1903 kam sie dann nach Marburg, um Augenheilkunde zu studieren. „Sie machte 1905 ihren Doktortitel – als erste Frau in Marburg und als erste Japanerin in Deutschland. Damit war sie eine wichtige Wegbereiterin“, so Spies. Das Frauenstudium wurde in Marburg erst zum Wintersemester 1908/09 offiziell eingeführt – ein Erlass von 1900 ermöglichte es jedoch Frauen, die im Ausland studiert haben, auch im Deutschen Reich eine Zulassung zur medizinischen, zahnärztlichen oder pharmazeutischen Staatsprüfung zu erhalten. Nach ihrer erfolgreichen Prüfung und der Erlangung des Doktortitels in Marburg kehrte Urata nach Japan zurück. Sie ließ sich als Augenärztin nieder, später eröffnete sie mit ihrem Ehemann eine Klinik.
Marburger Werner Karry im Stadtteil Hansenhaus verewigt
Ein Teilstück des Konrad-Baier-Wegs erhält den Namen Werner-Karry-Weg. Die Anregung dazu kam von der Hansenhaus-Gemeinde. Die Marburger Stadtverordnetenversammlung stimmte dem zu. Karry war langjähriges Mitglied der Hansenhausgemeinde, von 1994 bis 2000 Vorsitzender und bis zu seinem Tod 2009 Ehrenvorsitzender. „Er hat sich um die Entwicklung des Stadtteils und der Stadtteilgemeinde verdient gemacht. Darüber hinaus war er in vielen anderen Bereichen für die Marburger*innen ehrenamtlich tätig – unter anderem als ehrenamtlicher Richter am Amtsgericht Marburg“, so OB Spies. 2004 erhielt Karry das Bundesverdienstkreuz am Bande.
Hildegard Hamm-Brücher bekommt einen Platz in Marburg
Der bisherige Karl-Theodor-Bleek-Platz und der Karl-Theodor-Bleek-Steg erhalten einen neuen Namen: Hildegard-Hamm-Brücher-Platz und Hildegard-Hamm-Brücher-Steg werden sie künftig heißen. Die Ehrung von Karl-Theodor Bleek wird auf Beschluss der Stadtverordnetenversammlung aufgrund seiner Vergangenheit im Nationalsozialismus zurückgenommen.
Hildegard Hamm-Brücher (1921-2016) war Jüdin und Politikerin. 1948 trat Hamm-Brücher der FDP bei und machte sich als Bildungspolitikerin einen Namen im Landtag und im Bundestag. Sie war Staatssekretärin im hessischen Kultusministerium, Staatssekretärin im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, Staatsministerin im Auswärtigen Amt. „Bis ins hohe Alter engagierte Hildegard Hamm-Brücher sich für liberale Werte, Bürgerrechte, Frauenrechte, Zivilcourage und demokratische Kultur. Sie kämpfte gegen Antisemitismus. Deswegen möchten wir mit dieser Umbenennung eine überaus engagierte, kluge und starke Frau ehren“, so Spies.