Die Palette der Themen von „Marburg800 weiter denken“ reicht vor dem Hintergrund einer 800-jährigen Geschichte als Stadt von sozialen Themen über Digitalisierung bis zur Frage, wie wir uns ernähren wollen oder zur Zukunft nach Corona. Denn, so die Idee des Stadtjubiläums, Marburg ist schon immer eine Stadt der Welt- und Gesellschaftsdeutungen mit praktisch orientierter Anwendung. Für diese lange Tradition steht nicht zuletzt das Wirken der Heiligen Elisabeth. Und so richtet sich ganz bewusst zum Auftakt der Blick auf Marburg als soziale Stadt und auf die Lebenssituation wohnsitzloser Menschen.
Alle Interessierten sind zum Start am 12. Januar ab 19 Uhr herzlich eingeladen, am Livestream teilzunehmen und digital natürlich auch Fragen zu stellen. Begrüßen wird die Gäste Marburgs Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies. Denn „Marburg800 weiter denken“ ist Teil des Jubiläumsschwerpunktes „Marburg erfinden“ im Zukunfslab. Die Livestream-Übertragung kann über die Seite www.marburg800.de sowie über den Link www.flashlight.video/marburg800 und www.facebook.com/marburg800 abgerufen werden.
Prominente Gäste von Gehl und Göpel bis Horx und Hagner kommen
Wie Hagner Lösungen verwirklicht, die den Bedürfnissen der Menschen Rechnung tragen, welche Erfahrungen er mit niederschwelligen, alternativen Wohnangeboten für Wohnsitzlose gemacht hat, will der internationale Wiener Architekt berichten und im Austausch mit den Marburger*innen besprechen.
Bekannt geworden ist er durch das Pilotprojekt VinziRast-mittendrin, in dem vormals obdachlose Menschen mit Studierenden unter einem Dach leben sowie durch weitere Vinzi-Projekte, wie das VinziDorf Wien für alkoholkranke obdachlose Männer. Seit 2016 ist Hagner Stiftungsprofessor für Soziales Bauen an der Fachhochschule Kärnten.
„Es ist einfach sinnstiftend, dass durch unsere Arbeit weniger Leute auf der Straße schlafen müssen“, so der Architekt, der inzwischen sein sechstes Vinzi-Projekt umsetzt. „Das ist durch nichts auf der Welt ersetzbar.“ Der Grund dafür, dass so viele Menschen auf der Straße lebten, sei nicht ein Mangel an Plätzen, sondern - dass Plätze fehlten, die diese Menschen akzeptieren könnten, berichtet er aus seiner Praxis. „Es geht hier um Menschen ganz am Rand der Gesellschaft.“
Ein Vinzi-Dorf besteht aus Ein-Raum-Minihäusern von sieben bis acht Quadratmetern für eine Person. Benannt wurde es nach den noch heute ehrenamtlich engagierten Vinzenzgemeinschaften. Als Begründer gilt der Gelehrte und und katholische Selige Frédéric Ozanam. Er lebte zur Zeit der Industriellen Revolution und der Arbeiteraufstände in Paris. Neben seinem Engagement zur Behebung ärgster Not, hat er Forderungen an die Gesellschaft gerichtet, um die Lebenssituation armer Menschen zu verändern.
Als Planer gelte es, den Menschen als den Eremiten, zu dem er geworden ist, anzunehmen, erläutert Vordenker Hagner. „Ich kann so jemanden nur abholen, wenn ich ihm einen Ort anbiete, an dem er sich erst einmal zurückziehen kann“, erklärt er. Die Stadt Marburg hat einen Runden Tisch von Verwaltung, sozialen Trägern und Wohnungsbaugesellschaften zur Zukunft der Wohnungslosenhilfe eingerichtet und berät dort auch über alternative Wege aus der Obdachlosigkeit.
Die Veranstaltung „Häuser für die Unbehausten - Architektur für Obdachlose“ wird zusammen mit der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GeWoBau ausgerichtet.
Um eine ganz andere Zukunftsfrage geht es dann am 6. Mai 2021: Professorin Dr. Maja Göpel, als Autorin des Buches „Unsere Welt neu denken“ aus TV-Talks bekannt, Transformationsforscherin und Mitbegründerin von „Scientists4Future“ spricht über „Open Government, Digitalisierung und Beteiligungskultur“. Als Politökonomin fragt sie nach den Grenzen des Wachstums und fordert, die Diskussion um Digitalisierung und Nachhaltigkeit zu verbinden. Der Vortrag erfolgt in Kooperation mit dem Landkreis Marburg-Biedenkopf anlässlich der Jahrestagung der „Allianz vielfältige Demokratie“.
Matthias Horx, Trend- und Zukunftsforscher sowie Autor von „Die Zukunft nach Corona. Wie eine Krise die Gesellschaft, unser Denken und unser Handeln verändert“ greift am 18. März 2021 um 19.30 Uhr in Marburg ein Thema auf, das uns alle bewegt. „Ich werde derzeit oft gefragt, wann Corona denn ,vorbei sein wird´, und alles wieder zur Normalität zurückkehrt. Meine Antwort: Niemals“, formuliert es der Publizist auf www.horx.com. „Es gibt historische Momente, in denen die Zukunft ihre Richtung ändert. Wir nennen sie Bifurkationen. Oder Tiefenkrisen. Diese Zeiten sind jetzt.“, so Horx.
Die Dynamik dieses Themas steht stellvertretend für „Marburg800 weiter denken“. Bewusst werden deshalb nicht alle Veranstaltungen vorab festgelegt. Die Reihe soll bis zum Sommer 2022 somit die Möglichkeit eröffnen, aktuelle Fragen und Formen aufzugreifen - mit allen Sinnen.
Und weil dafür beispielhaft ein Höhepunkt steht, der am Pfingstsonntag im Jubiläumsjahr 2022 stattfindet, sei dieser bereits erwähnt. Auf der gesperrten B3a soll es dann als Teil des großen Marburg800-Events „Tischlein deck dich“ beim Essen, Trinken, Diskutieren und Informieren auch um die „Zukunft der Ernährung“ gehen – mit Genusspartnern aus der ganzen Region.
Was ist schon so gut, dass wir noch viel mehr davon möchten? Und was sollte eingeführt, verbessert, ausgebaut werden? Wieviel Zukunft kann und muss Marburg schon heute riskieren? „Marburg800 weiter denken“ möchte Denkanstöße geben. „Wir wollen mit ,Marburg800 weiter denken´ eine Plattform bieten, um Zukunftsfragen zu diskutieren und Zukunftsperspektiven zu entwickeln“, lädt Marburgs Oberbürgermeister ein.
Dafür steht keineswegs zuletzt die neueste Zusage für das Veranstaltungsformat. Jan Gehl, international bekannter Architekt und Städteplaner aus Kopenhagen, wird für „Marburg800 weiter denken“ im Herbst 2021 nach Marburg kommen. Seit mehr als 40 Jahren befasst sich der Autor des Buches „Städte für Menschen“ mit eben diesem Thema und steht für eine Stadtplanung nach menschlichen Maß.
Hintergrund
„Marburg erinnern“, „Marburg erleben“ und „Marburg erfinden“ – das sind die drei Themen des Stadtjubiläums. Für den Blick in die Zukunft geht es mit der Stadtgesellschaft um die Frage „Wie wollen wir gut und glücklich zusammen leben?“. Dafür steht „Marburg erfinden“ mit kreativen und innovativen Wegen, im Dialog, mit Beteiligung. Die Projekte werden hier in den nächsten Monaten vorgestellt. Ob im Zukunftslab die „Marburg-Typen“, Kunst im Stadtraum, Denkfabrik, Patchworkvorhaben oder wie heute die Reihe „Marburg800 weiter denken“ – es geht darum, mit allen Sinnen zu begreifen und Ideen zu entwickeln.