© Jennifer Weber IMPULSE
„Da gibt es kein Messen mit der Zeit, da gilt kein Jahr und zehn Jahre sind nichts. Künstler sein heißt: nicht rechnen und zählen; reifen wie ein Baum [...]“
Rainer Maria Rilke: Briefe an Franz Xaver Kappus
Künstlerisch-gestalterische Erfahrungen und künstlerische Praxis bilden sich in langwierigen Prozessen. Denn tatsächlich geht es ja neben der Auseinandersetzung mit verschiedenen Techniken natürlich auch um die Auseinandersetzung mit sich selbst. Eigene Grenzen zu überschreiten und Neues zu entdecken, das ist oft harte Arbeit. Ungeduldige, die ganz genau wissen „was sie wollen“, unterschätzen das oft. Manchmal differieren dann eigene Vorstellungen mit den Erfahrungen und Ansprüchen der Dozentinnen und Dozenten. Wichtige neue Erfahrungen für die eigene Arbeit zu machen ist selbst in den kurzen Wochen einer Sommerakademie möglich. Viele von Ihnen werden darüber hinaus die Anregungen aus dieser Zeit nutzen und mit neuen Impulsen intensiv weiterarbeiten können.
Voraussetzung für das Gelingen ist die Bereitschaft, sich offen auf die Angebote, auch und gerade über die eigene Vorstellung hinaus, einzulassen und das Eigene zu hinterfragen. Vielleicht möchten die Kursleitenden mehr als einen schnellen Scheinerfolg vermitteln. Im Gegensatz zur Lehre an einer Kunsthochschule bleibt den Lehrenden leider nur wenig Zeit, ihre eigenen Erfahrungen als Künstlerinnen und Künstler weiterzugeben. Aber auch das anregende Miteinander und die gemeinsame Arbeit in den Gruppen schaffen eine besondere Atmosphäre, die eigene Vorhaben beschleunigt und fördert.
Martin Seidemann
Künstlerischer Leiter bildende Kunst
© Anja Beyer OHRENBETÄUBENDE STILLE
Momente der Stille sind ein Luxusgut bei all dem Getöse, das uns umgibt. Immer fährt ein Auto vorbei, ein Telefon klingelt, pfeift oder brummt, irgendjemand redet, flüstert oder schreit. Es gibt so viele Geräusche, dass wir die Stille gar nicht mehr hören. Oft meiden wir auch die Stille. Sie kann langweilen, unheimlich wirken oder sogar Angst einflößen. Das berühmte Pfeifen im Wald … Vielleicht ist das ein Grund, weshalb es überall, wirklich überall, Hintergrundmusik gibt? Doch die Stille ist immer da. Wir müssen nicht in den Wald oder in die Wüste gehen, um sie zu finden. Wir können innehalten, die Welt für einen Augenblick ausblenden und eine eigene Stille schaffen. Dann beginnt die Stille zu sprechen und staunend hören wir, welch unbekannte Regionen wir betreten können. In dem Theater, das ich leite, legen wir Wert darauf, dass sich vor Proben- oder Vorstellungsbeginn auf der Bühne Stille ausbreiten kann. Sie ist Voraussetzung für künstlerisches Schaffen. Auch in den Werkstätten der Darstellenden Kunst braucht es Momente der Stille, um sich dann laut oder ganz leise auszudrücken. Je stiller es wird, desto mehr können wir hören. „Ohrenbetäubende“ Stille lässt uns Raum und Zeit vergessen. Ideen und Vorstellungen tauchen auf, über die wir staunen können. Ihnen folgen und sie im Spiel weiterentwickeln und verwandeln, diese Möglichkeiten bieten sich in den Werkstätten der Darstellenden Kunst. Das Reich der Fantasie ist grenzenlos, man muss nur hineinhören.
Anemone Poland
Künstlerische Leiterin darstellende Kunst