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Gründung im Jahr 1916

Themeninsel 1
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Ohne sie wäre Marburg nie zur „Blindenhauptstadt“ Deutschlands geworden. Die Folgen des Ersten Weltkrieges waren es, die zwei geniale und höchst engagierte Persönlichkeiten zusammenführte: Alfred Bielschowsky und Carl Strehl.

Alfred Bielschowsky (1971 -1940), Sohn jüdischer Kaufleute und herausragender Schielforscher, war 1912 als Direktor der Augenklinik nach Marburg gekommen. Dort wurde er mit dem Leid der Soldaten konfrontiert, die während des Ersten Weltkrieges durch Granatsplitter, Explosionen und Giftgas erblindet waren. Um den verzweifelten Menschen wieder eine Lebens- und Berufsperspektive zu eröffnen, richtete er 1915 Kurse für Kriegsblinde ein. Er engagierte den blinden Studenten Carl Strehl (1886 – 1971), um den erblindeten Soldaten die Blindenschrift zu lehren.

Gemeinsam mit Gleichgesinnten riefen sie 1916 den Verein blinder Akademiker Deutschlands ins Leben. Denn die „Erschwerung des Hochschulstudiums der Blinden war nach übereinstimmender Erklärung … dadurch bedingt, dass die wissenschaftliche Fachliteratur bis auf verschwindende Ausnahmen noch nicht in der Blindenpunktschrift vorlag.“

Durch ihre Initiative und Tatkraft wurde noch im gleichen Jahr mit der Gründung der „Hochschulbücherei, Studienanstalt und Beratungsstelle für blinde Akademiker e.V.“ (heute: Deutsche Blindenstudienanstalt e.V. - blista) in Deutschland erstmals höhere Bildung für blinde Menschen möglich.

Durch ihre Initiative und Tatkraft wurde noch im gleichen Jahr mit der Gründung der „Hochschulbücherei, Studienanstalt und Beratungsstelle für blinde Akademiker e.V.“ (heute: Deutsche Blindenstudienanstalt e.V. - blista) in Deutschland erstmals höhere Bildung für blinde Menschen möglich.

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Exponate Themeninsel 1

Die blista während der NS-Zeit

Themeninsel 2
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Der Machtantritt des NS-Regimes brachte eingreifende Veränderungen. Neue, systemnahe Mitglieder kamen in die Gremien. Satzungen von Blindenvereinigungen wurden geändert, sodass sog. nichtarischen Menschen die Mitgliedschaft versagt wurde.

Der Anteil von NSDAP-Mitgliedern an der Belegschaft der blista war mit deutlich unter 20 % eher niedrig. Blinden jüdischen Schülern war die Aufnahme nicht gestattet. Der Schulalltag änderte sich entsprechend den NS-Vorgaben. Z. B. finden sich politisch einschlägige Aufgabenstellungen in den Abitur-Prüfungen und in der Bibliothek wurden regimekonforme Lehrmittel eingestellt.

Ein frühes NS-Gesetz forderte die Sterilisation von als erbkrank angesehenen Menschen. Auch die blista kam in den Fokus. Die Leitung stellte sich ausdrücklich hinter die NS-Forderungen. Zwangssterilisationen von mindestens 2 blinden Mitarbeitern sind belegt. Schüler brauchten einen Nachweis, nicht erbkrank im Sinne der NS-Regelungen zu sein.

Im Zweiten Weltkrieg mussten mindestens 4 französische Kriegsgefangene Zwangsarbeit leisten. Sie waren u.a. in den mechanischen Werkstätten eingesetzt. Sie lebten nicht vor Ort, sondern in einem Kriegsgefangenen Lager in der Ockerhäuser Allee. Ab 1940 gab es eine enge Zusammenarbeit mit der Wehrmacht. Im Gebäude Wörthstr. 11 (heute Liebigstr.) gab es ein Reservelazarett für Kriegsblinde. Die blista profitierte von Arisierungsmaßnahmen – vor allem durch Einrichtungsgegenstände und Geschirr.

Nach der Befreiung Ende März 1945 ging der Schulbetrieb ohne große Unterbrechung weiter.

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Exponate Themeninsel 2

Aufbruch, Emanzipation, Protest und Pragmatismus – die spannenden 70er

Themeninsel 3
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„1968“ und die Studentenrevolte stehen gerade in der Universitätsstadt Marburg für eine Aufbruchsbewegung - weit über die Hochschule hinaus. So rücken auch Fragen von Selbstbestimmung und Selbstständigkeit, Heimerziehung und Emanzipation von Menschen mit Handicaps auf die Tagesordnung und machen die 70er Jahre zu äußerst bewegten Zeiten.

An der blista protestieren Schüler und Eltern. Sie sagen „Nein!“ zu dem geplanten „Zentralbau mit Kegelbahn und Kiosk“ auf dem Gelände und beeinflussen damit bis heute das aktuelle Internat- Konzept mit über ganz Marburg verteilten Wohngruppen.

Die aus den USA importierte Idee von systematischen Schulungen für Orientierung, Mobilität und lebenspraktische Fähigkeiten unterstützen diese Entwicklung. Der Langstock wird auch in Marburg weiterentwickelt. Und die blista trifft für die Carl-Strehl-Schule weitreichende Entscheidungen.

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Exponate Themeninsel 3

100 Jahre Arbeitswelt

Themeninsel 4
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Artikel 27 der UN-Behindertenrechtskonvention beschreibt das Recht behinderter Menschen auf Arbeit auf der Grundlage der Gleichberechtigung mit anderen. Berufliche Arbeit dient nicht nur dem Broterwerb, sondern wirkt sinnstiftend und lebenserfüllend. Dies gilt für alle Menschen gleichermaßen.

In den 100 Jahren seit der Gründung der blista hat sich die Arbeitswelt für Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung grundlegend gewandelt: Zu „klassischen Blindenberufen“ wie Korbmacher, Bürstenbinder und Musiker kamen, dank technischer Innovationen, gesellschaftspolitischem Fortschritt und dem Engagement von Betroffenen zahlreiche neue Berufsbilder hinzu. So sind heute in Deutschland zum Beispiel rund 70 blinde Richter aktiv.

Andere Berufsbilder verschwanden. Die zunehmende Digitalisierung unserer Arbeitswelt eröffnet Chancen für Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung und stellt sie zugleich vor neue Herausforderungen. Das Recht auf Arbeit von Menschen mit Behinderungen bedarf also nach wie vor der Anstrengung vonseiten des Staates, der Wirtschaft und der Gesellschaft, um die berufliche und gesellschaftliche Teilhabe zu sichern.

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Exponate Themeninsel 4

„Was Sie einen Blinden schon immer mal fragen wollten“

Themeninsel 5
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Wie sehen blinde Menschen fern?

Wie gehen blinde Menschen einkaufen?

Wie lesen blinde Menschen?

Welche Sportarten sind bei blinden Menschen beliebt?

Wie verliebt man sich, wenn man nichts sieht?

Haben Farben eine Bedeutung für Sie?

Wie träumen Blinde?

Finden Sie Blindenwitze lustig …?

Diese Themeninsel liefert Antworten zu Fragen, die Sie einem blinden Menschen vielleicht schon immer einmal stellen wollten.

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Exponate Themeninsel 5

Sehbehinderung ist vielfältig

Themeninsel 6
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In Marburg leben proportional zur Bevölkerung mehr Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung als in jeder anderen deutschen Stadt. An der blista lernen und leben derzeit rund 280 Schülerinnen und Schüler. An der Universität studieren rund 150 Menschen mit Seheinschränkungen. Und in der Stadt leben und arbeiten noch viele weitere. Bundesweit sind vor allem ältere Menschen von einem massiven Sehverlust betroffen.

Doch was bedeutet Blindheit eigentlich? Juristisch gilt man als „blind“, wenn das Sehvermögen um mindestens 98 Prozent vermindert ist. Die meisten blinden Menschen leben also nicht – wie Sehende oft glauben – in völliger Dunkelheit. Viele haben noch optische Eindrücke, etwa die Wahrnehmung von hell und dunkel oder die Umrisse einer Person. Viele spät erblindete Menschen können zudem auf - unterschiedlich intensive - „optische Erinnerungen“ zurückgreifen.

Etwa 80 % der Informationen über die Umwelt erhalten wir über die Augen. An der Verarbeitung dieses Impulses ist etwa ein Viertel des Gehirns beteiligt. Damit wird deutlich, wie groß die Auswirkungen von Sehbehinderung und Blindheit für Menschen sein können! Wie sich das Blindsein für Betroffene anfühlen kann, beschreibt der mit acht Jahren erblindete Philosophieprofessor Jacques Lusseyran in seiner Autobiografie „Das wiedergefundene Licht“ (1966):

„Seitdem ich blind war, konnte ich keine Bewegung mehr machen, ohne nicht eine Flut von Geräuschen auszulösen. Wenn ich einen Schritt machte, weinte oder sang der Fußboden. Wenn ich unvermittelt sprach, dann zitterten die Scheiben. Jedes Möbelstück knarrte, einmal zweimal, zehnmal. Ich konnte die kleinste Vertiefung in den Wänden von Ferne vernehmen.“

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Exponate Themeninsel 6

Blindenschrift – was ist das?

Themeninsel 7
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Man sieht sie auf Medikamentenverpackungen oder auf den Tasten im Fahrstuhl: die tastbaren Punkte, die wie ein geheimer Code wirken. Tatsächlich sind sie eine weltweit bekannte Schrift. Blinde Menschen lesen sie mit den Fingern wie die Schrift der Sehenden auch von links nach rechts.

Der vor rund 200 Jahren von dem erblindeten Schüler Louis Braille in Frankreich erfundene Punkte-Code hat viele Namen: Brailleschrift, Punktschrift oder auch Blindenschrift. Jedes Zeichen besteht aus 1-6 Punkten, angeordnet wie auf einem Würfel.

In Deutschland gibt es drei Versionen der Brailleschrift: Die Basisschrift mit allen Buchstaben des Alphabets sowie den Zahl- und Satzzeichen. Die Vollschrift mit weiteren Zeichen für au, eu, äu, st, ch, sch, ei, ie.

Und die Kurzschrift, eine Art von Stenographie mit 289 Kürzungen für Worte, Lautgruppen, Silben etc. zum schnelleren Lesen. Zusätzlich gibt es noch eine Reihe von Spezialschriften etwa für für Mathematik, Musik, Chemie und Physik. Für das Arbeiten am Computer mit der Braillezeile hat man u. a. das sogenannte Computerbraille oder 8-Punkt-Braille erfunden, bei der eine Zelle nicht nur 6, sondern 8 Punkte hat.

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Exponate Themeninsel 7