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Rathaus und Altstadt
Rathaus und Marktplatz: Wenn alle, die Rat suchen, wirklich hierher kommen würden, hätten Oberbürgermeister und Magistrat „keine ruhige Minute mehr“.
Längst reicht das Rathaus allein nicht mehr aus als Sitz der Stadtverwaltung mit knapp 1.000 Beschäftigten. Doch das historische Rathaus (erbaut 1512 bis 1527) und der Marktplatz sind noch immer Mittelpunkt städtischen Lebens. Wer die Oberstadt – also die auf dem Schlossberg oberhalb der Lahn gelegene Altstadt – besucht, schaut fast immer auch schnell einmal am Markt vorbei. Sei es zum Einkaufen an den Markttagen Mittwoch und Samstag oder um an beliebigen Wochentagen zur vollen Stunde den Gockel oben auf der Rathausuhr zu beobachten.
Den Renaissance-Turm mit dem Uhrgiebel hat 1581 der Baumeister Eberhard Baldewein an das gotische Rathaus angebaut, das den Marburgern bis dahin zu schlicht erschien.
Der Marburger Marktplatz war außerdem der Überlieferung nach Schauplatz der Gründung des Landes Hessen im Jahr 1248. Sophie von Brabant, älteste Tochter der Heiligen Elisabeth, soll hier am Marktbrunnen nach dem Tod des letzten Ludowingers Heinrich Raspe IV. ihren damals vierjährigen Sohn Heinrich zum Landgrafen ausgerufen haben. Tatsächlich erlangte dieser nach längeren Erbstreitigkeiten die hessische Landesherrschaft und 1292 auch die Landgrafenwürde. Damit machte Heinrich I., der zeitlebens den Beinamen „das Kind“ trug, Marburg zur Residenzstadt.
Öffentliche Führungen Altstadt:
April bis Oktober mittwochs um 15 Uhr und samstags um 11 Uhr (deutsch), 1. Freitag im Monat um 17 Uhr (englisch).
Der Kilian ist Marburgs älteste Kirche - und seit fast 500 Jahren ist er überhaupt keine Kirche mehr.
Am Schuhmarkt steht das Steingebäude mit dem Fachwerkaufsatz, dem man auf den ersten Blick zumindest von drei Seiten her sein hohes Alter gar nicht ansieht. Im Laufe der Jahrhunderte wurde sowohl die Fassade umgebaut als auch der Dachbereich komplett verändert, so dass der romanische Baustil des etwa 1180 errichteten Gebäudes hinter diesen Umbauten optisch zurücktritt. Da der Kilian keinen Turm mehr besitzt, ist auch nicht sofort zu erkennen, dass er als Kirche erbaut wurde.
Nur an der Westseite, vom Rathaus her kommend, macht der große romanische Rundbogen des früheren Haupteingangs sofort auf sich aufmerksam und verrät dem Betrachter, dass er ein wirklich historisches Bauwerk vor sich hat. Heute fehlt allerdings die Treppe, durch die man früher in die Kirche gelangte. Der teilweise vermauerte und außerdem zum Fenster umfunktionierte Rundbogen wirkt daher nicht mehr wie ein Eingangstor.
Die dem Märtyrer St. Kilian geweihte Kirche gab es hier schon, bevor die noch sehr kleine Stadt Marburg 1227 auch eine eigenständige Pfarrei wurde. 1527 ließ Landgraf Philipp der Großmütige nach der Einführung der Reformation in Hessen zusammen mit den meisten anderen Kirchen und Klöstern aber auch den Kilian schließen und umwidmen. Lediglich die Marienkirche (heute Lutherische Pfarrkirche) blieb als Kirche in Gebrauch und wurde "die" evangelische Pfarr- und Universitätskirche für ganz Marburg. Eine Ausnahme bildete die Elisabethkirche, die nicht im Hoheitsbereich des Landgrafen lag.Seine wechselvolle Nutzungsgeschichte machte den Kilian dann zunächst zur Zunftstube der Schuhmacher-Gilde, wodurch aus dem Kirchhof der "Schuhmarkt" wurde. So wird der Platz auch heute noch genannt.
Der Turm und ein Teil des Chores wurden abgerissen, um die 1552 schwer vom Hochwasser beschädigte Lahnbrücke (heute Weidenhäuser Brücke) wieder aufzubauen. Danach wurde der Kilian sogar als Schweinestall genutzt, bis dies 1567 ausdrücklich untersagt wurde.
Später war der Kilian unter anderem auch Schule, Waisenhaus, Polizei- oder Gestapo-Quartier.
Nach einer umfassenden Sanierung wird das Gebäude heute als Wohnhaus genutzt.
Tauben lieben den Reis, der hier immer für Hochzeitspaare geworfen wird, und Touristen amüsieren sich besonders über das mittelalterliche Außenklo.
Dabei ist der Toilettenerker natürlich schon lange nicht mehr in Betrieb. Auch das Standesamt ist Ende 2006 ausgezogen. Das Trauzimmer, in dem 90 Prozent der Eheschließungen in Marburg stattfinden, gibt es im Steinernen Haus aber immer noch.
Das gotische Sandsteingebäude wurde kurz nach dem verheerenden Stadtbrand von 1319 erbaut. Die Bezeichnung "Steinernes Haus" deutet schon darauf hin, dass die massive Steinbauweise in Marburg früher etwas ganz Besonderes war. In dem damals nicht sehr reichen Städtchen blieb sie einigen wenigen Wohngebäuden vorbehalten. Typisch war stattdessen der Fachwerkbau.
Von Mitte des 14. bis ins 19. Jahrhundert lebten im Steinernen Haus bedeutende Patrizier- und Bürgerfamilien, landgräfliche Beamte und Professoren. Ungewöhnlich mutet an, dass zwischen 1457 und 1460 hier Tanzfestlichkeiten der Landgrafen Ludwig II. und Heinrich III. stattfanden.
Architektonisch sticht neben dem bereits genannten Toilettenerker der typisch gotische Treppengiebel hervor: Der wie bei einer Treppe in Stufenform ansteigend gemauerte Giebel des Hauses zeigt direkt nach vorn zum Obermarkt und fällt dem Betrachter des Gebäudes daher sofort auf. Im historischen Kellerraum des Gebäudes befindet sich seit Jahren eine typische Studentenkneipe.
Mittelalterlich sieht er nicht aus, der Glaskubus am Ende des Obermarktes neben dem Haus Markt 23. Aber er ist ein Stück "gläserne Geschichte", schützt er doch die bis heute erhaltenen baulichen Reste der mittelalterlichen Marburger Synagoge.
Heute unter dem Glaskubus gut zu sehen ist die Ruine des "jüngsten" von drei Bauwerken. Es handelt sich um einen Bau aus dem frühen 14. Jahrhundert mit den Grundmaßen von etwa 7 x 10 m. Teile des Zugangsbereiches und die Ansätze eines Kreuzrippengewölbes sind noch deutlich zu erkennen. Aus schriftlichen Quellen ist bekannt, dass dieses als "Judenschule" bezeichnete Gebäude 1452 abgebrochen wurde.
Ein Teil der darunterliegenden ältesten Fundamente stammt aus dem 12. Jahrhundert. Allerdings ist nicht sicher, ob es sich schon damals um eine Synagoge gehandelt hat.
Das auf diesen Fundamenten errichtete Gebäude aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts wurde dagegen sicher als Synagoge genutzt. Das ließ sich durch einen glücklichen Zufall anhand der Reste des im Stadtbrand von 1319 zerstörten Baues eindeutig nachweisen: Der erhaltene Gewölbeschlussstein zeigt als Dekoration einen aus Blüten zusammengesetzten sechszackigen Stern ("Davidsstern").
Die archäologische Ausgrabung und Untersuchung der mittelalterlichen Synagoge erfolgte zwischen 1993 und 1998. Die schützende Überdeckung der Grabungsstätte bei gleichzeitiger Sichtbarmachung der Grabungsergebnisse durch den Glaskubus war im Jahr 2001 abgeschlossen. Seitdem gehört die alte Synagoge zu den vielbesuchten Marburger Sehenswürdigkeiten.
Bei Führungen ist auch der Eintritt in den unter dem Glaskubus liegenden Synagogenraum möglich (Buchungen von individuellen Gästeführungen bei Marburg Stadt und Land Tourismus GmbH,
Tel. 06421 9912-0).
© Georg KronenbergDie Lutherische Pfarrkirche oder Marienkirche prägt mit ihrem markanten schiefen Turm die Silhouette der Marburger Oberstadt entscheidend mit.
Der 1297 der Jungfrau Maria geweihte gotische Chor ist der älteste Bauabschnitt der heutigen Pfarrkirche. Er wurde vom Deutschen Orden als Bauherr errichtet und der damals bereits bestehenden romanischen Kirche angefügt. Erst 20 Jahre später begann der Neubau des Langhauses, noch viel später der Turmbau. Die Stadtgemeinde als neuer Bauherr hatte sich offenbar mit diesem Großprojekt finanziell übernommen. Erst 1488 wurden die Arbeiten abgeschlossen.
Als im Frühjahr 1527 Landgraf Philipp der Großmütige in Marburg den evangelischen Gottesdienst einführte, machte er die Marienkirche zu "der" evangelischen Pfarrkirche der Stadt und zugleich zur Universitätskirche der im selben Jahr von ihm gegründeten Hochschule.
Nach 1605 kurzzeitig zwangsreformiert und 1624 offiziell zur "Lutherischen Pfarrkirche" gemacht, hat das historische Bauwerk schon viele konfessionelle Wechsel hinter sich. Heute ist es eine evangelische Pfarrkirche.
Die hervorragende Akustik macht die häufig stattfindenden Orgelkonzerte in diesem Gotteshaus zu einem besonderen Erlebnis.
Das massive steinerne Taufbecken, das noch aus dem romanischen Vorgängerbau der Kirche stammt, hat vermutlich schon die Heilige Elisabeth bei ihren Kirchenbesuchen 1228 bis 1231 gesehen.
Öffnungszeiten:
Täglich 8 bis 18 Uhr.
Öffentliche Führungen:
April bis Oktober letzter Samstag im Monat um 12 Uhr.
Die kleine spätgotische Kugelkirche verdanken wir einer Reformationsbestrebung des ausgehenden 15. Jahrhunderts.
Etwa zwei Generationen vor dem großen Reformator Martin Luther entstand eine neue Bruderschaft von Mönchen und Laienbrüdern, die sich nicht in Klöstern, sondern in lockeren Konventen zusammenfanden und ihre Aufgabe besonders in der Erziehung der Jugend sahen.
Ein schlichter schwarzer Kapuzenumhang war das typische Kleidungsmerkmal der "Brüder vom gemeinsamen Leben". Diese auch in weiten Teilen der Bevölkerung verbreitete lange Kapuze als Kopfbedeckung wurde Gugel (auch Kogel oder Kugel) genannt. Nach ihr bezeichnete man die Brüder bald überall als "Kugelherren".
Sie gründeten in Marburg 1476 einen Konvent, begannen aber erst um 1515 mit dem Bau der Kugelkirche. 1517 wurde das Dach fertiggestellt und anschließend das beeindruckende Netzgewölbe (mit durchgesteckten Rippen) errichtet.
Die Kirche konnte aber vor der Reformation nicht vollendet werden. Es fehlten beispielsweise die Schlusssteine der Gewölbe. Das ist eine architektonische Besonderheit: Normalerweise würde ein Gewölbebogen ohne Schlussstein in sich zusammenstürzen. Hier stützen sich aber die einzelnen wabenförmigen Zellen des sehr flachen Gewölbenetzes gegenseitig ab, so dass sich das Gewölbe selbst trägt und eigentlich weder Rippen noch Schlusssteine für die Standsicherheit erforderlich sind.
Schon wenige Jahre nach der Einführung der Reformation in Hessen wurde die Brüdergemeinschaft der Kugelherren aufgelöst und die Kugelkirche zum Hörsaal und Disputierraum der Theologischen Fakultät der 1527 gegründeten Universität umfunktioniert.
Eine katholische Gemeinde gibt es in der Kugelkirche wieder seit 1827.
Öffnungszeiten:
Montag bis Freitag 8 – 18 Uhr, Samstag und Sonntag 10 – 18 Uhr, keine Besichtigung während der Gottesdienste.
Marburgs einziges heute zugängliches mittelalterliches Stadttor diente nicht etwa der Anlieferung von Schlachtvieh, auch wenn der Name Kalbstor das vielleicht vermuten ließe.
Es ist vielmehr nach der ursprünglich für seine Bewachung zuständigen Ritterfamilie "von Kalb" benannt, deren Hof sich in der Straßengabelung hinter dem Tor befand.
Allerdings hat allein die Tatsache, dass Marburg eine gut befestigte kleine Stadt war, zur Abschreckung von Feinden bis ins ausgehende Mittelalter völlig ausgereicht. Man erlebte verhältnismäßig friedliche Zeiten.
1222 wurde Marburg erstmals als Stadt erwähnt. 1227 war das Städtchen dann eigenständige Pfarrei. Im Zuge einer Stadterweiterung um 1230/35 wurde auch das Kalbstor gebaut. Das von einer starken Mauer umgebene Marburg erstreckte sich danach zwischen vier Stadttoren etwa halbkreisförmig um das Schloss herum. Die damit erreichten Stadtgrenzen blieben Marburg dann bis weit über das Mittelalter hinaus erhalten. Größere Stadterweiterungen erfolgten erst wieder ab dem 19. Jahrhundert.
Das Kalbstor erlangte allerdings nie große Bedeutung. Es wurde aus Sicherheitsgründen zu Beginn des dreißigjährigen Krieges (1618 bis 1648) geschlossen und erst 1874 wieder geöffnet.
Im Bereich des Kalbstors sind auf beiden Seiten noch große Teile der alten Stadtmauer erhalten. Damit ist dieser Ort ganz besonders geeignet, den Relikten des mittelalterlichen Marburg nachzuspüren.
Autofahrern ist die Nutzung des engen Kalbstors nicht unbedingt zu empfehlen. Für Fußgänger und Radfahrer ist es dagegen bequem passierbar.
An der Wasserscheide wacht "Christian", der letzte Marburger Dienstmann, über den Trubel in der viel besuchten Fußgängerzone.
1988 wurde dem beliebten Marburger Original durch den Bildhauer Paul Wedepohl hier ein Denkmal aus Bronze gesetzt. Gestiftet von Hermann Reidt, Lessing-Kolleg, gegossen durch die Firma Barth, Rinteln.
Die Geschichte der Wasserscheide reicht weit bis in das Mittelalter zurück.
Im 13. Jahrhundert betrat hier die Heilige Elisabeth die Stadt durch die Hiltwinspforte, einen kleinen Nebeneingang. Schon kurz nach ihrem Tod 1231 strömten so viele Menschen nach Marburg, dass nicht nur aus der Nebenpforte ein Haupttor in Richtung ihrer Grabstätte wurde, sondern auch bereits ab 1235 vor dem Tor die Neustadt gebaut werden konnte. Noch heute weist der Straßenname "Neustadt" auf diese Stadterweiterung hin.
Reste der alten Stadtmauer führen noch bergseits bis zum Schloss hinauf und sind hinter dem Trinkwasserbrunnen zu sehen. Hinter der Brunnenwand befindet sich ein Kellerraum, früher ein großes Wasserbecken, in das Trinkwasser in Rohren aus einer über zwei Kilometer entfernten Quelle geleitet wurde. Bis 1883 verteilte sich das Wasser von hier aus auf die unterhalb liegenden Brunnen.
In der historischen Brunnenkammer verbirgt sich eine ungewöhnliche kleine Ausstellung: Sie beschreibt die Geschichte der Wasserversorgung in Marburg. Der Raum ist zugänglich im Rahmen einzelner Veranstaltungen sowie bei Gästeführungen (Buchungen bei Marburg Stadt und Land Tourismus GmbH, Tel. 06421 9912-0).
Die Ortsbezeichnung Wasserscheide geht hier übrigens auf die Straßenentwässerung (Abwasser und Regenwasser) zurück, die vom höchsten Punkt aus - ungefähr beim "Christian" - in zwei verschiedene Richtungen erfolgte, und das noch bis etwa 1898 oberirdisch.
Die Wendelgasse - oder der Weg nach oben.
Die engen Gassen und die steilen Treppen machen viel von Marburgs mittelalterlichem Flair aus. In der Wendelgasse hat man beides.
Etwa auf halbem Wege zwischen Lahn und Landgrafenschloss liegt das nicht einmal 100 Meter lange Gässchen, das auf beiden Seiten von den in Marburg typischen Fachwerkhäusern gesäumt wird. Der Weg hindurch erfordert nur das Steigen einiger weniger Stufen. Am anderen Ende geht es dann aber eine enge Wendeltreppe steil hinauf - und schon steht man auf dem Lutherischen Kirchhof. Bis zum Schloss sind es dann "nur" noch ein paar weitere Treppen - allerdings auch auf kürzestem Wege 175 Treppenstufen. Treppauf, treppab seine Beine rühren - schon die Brüder Grimm fanden das während ihres Studiums von 1802 bis 1805 typisch für Marburg. Dabei ist nicht sicher überliefert, ob sie von ihrem ersten Quartier in der Barfüßerstraße 35 bzw. ihrem zweiten in der Wendelgasse 4 die Wendeltreppe hoch in Richtung Ritterstraße zur Wohnung ihres Professors Friedrich Carl von Savigny wählten. Es ist aber sehr wahrscheinlich, denn es war der direkte Weg.
Auch eine andere "Berühmtheit" lebte als Student in der Wendelgasse: der russische Gelehrte und Schriftsteller Michail W. Lomonossow (1711 bis 1765), Gründer der Moskauer Universität. An ihn erinnert heute eine städtische Hinweistafel am Wohnhaus Wendelgasse 2, die auch ins Russische übersetzt wurde.