© Melanie Weiershäuser, i.A.d. Stadt Marburg
„In einer Stadt wie Marburg mit der weltbekannten historischen Fachwerkarchitektur freue ich mich ganz besonders, dass die Bürger*innen und Besucher*innen in diesem Jahr auf den Spuren von Umbrüchen in Kunst und Architektur der Moderne unterwegs sind“, sagte Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies. Beim diesjährigen Tag des offenen Denkmals wurden in Marburg die durch das Bauhaus beeinflussten parallelen wie auch nachfolgenden Architektur- und Kunstströmungen der 1920er-Jahre beleuchtet. Der Bogen reichte dabei von Museumsbauten über Bauwerke für Freiluft-Kulturveranstaltungen bis hin zu expressionistischen Bauten, wie dem heute als Synagoge genutzten früheren AOK-Verwaltungsgebäude von 1930/31.
OB Spies sprach davon, dass ein Tag des Denkmals eigentlich ein Marburg-Tag sei, denn in Wahrheit sei die ganze Stadt ein Denkmal. In dieser Stadt habe der Erhalt von dem, was Menschen schufen und was auf natürliche Weise geschaffen wurde, eine zentrale Bedeutung, so Spies. „Heute geht es nicht um die ganz alten Schätze, sondern um die jüngeren Schätze dieser Stadt“. Der Tag des offenen Denkmals hat in diesem Jahr bundesweit Bauhaus besonders ins Auge gefasst. In Marburg jedoch finde man die Bauhaus-Architektur eher nicht, stattdessen liege die Konzentration auf den Bauten der 1920er- und 1930er-Jahre – in der Bauweise der Weimarer Republik.
Das Klinikviertel hat die Stadt Marburg geprägt und als Lazarett-Ort zugleich geschützt. Im Vortrag von Ulrich Klein vom Freien Institut für Bauforschung und Dokumentation wird deutlich, worin das Besondere liegt, auch im Hinblick auf den Wandel der Funktionen des Klinikviertels in Marburg. Klein spricht über „Neues Bauen in Marburg der 1920er-Jahren“ und die Entstehung des Bauhaus 1907 in Weimar. Der Architekt Henry van de Velde gab den Impuls zur Gründung die Großherzoglich-Sächsische Kunstgewerbeschule Weimar, die zum direkten Vorläufer des Bauhauses wurde. 1925 erfolgte der Umzug nach Dessau und 1932 musste das Bauhaus nach Berlin umziehen, wo es 1933 geschlossen wurde.
© Melanie Weiershäuser, i.A.d. Stadt Marburg
Bauhaus wurde oft mit der Moderne in der Architektur gleichgesetzt. Die Bauhaus-Architektur zeichnet sich durch klare moderne Formen und funktionale Entwürfe aus. Die Gebäude sind meist Industriebauten, charakteristisch mit Flachdach. In Marburg ist die klassische Bauhaus-Architektur wenig bis gar nicht anzutreffen. „Das Neue Bauen in Marburg werde ich Ihnen jetzt am Beispiel der Klinikbauten näherbringen. Marburg hat sehr vom Engagement des Preußischen Staates profitiert, der hier für die Universität vor allem im Nordviertel im großen Umfang seit den 1880er-Jahren Klinikbauten neu errichtet hat“, so Klein. Der Neubau der Hautklinik 1924 zeigt eine eher zurückhaltende Architektur. Ebenfalls weisen die ehemalige Kinderklinik und auch die Hals-, Nasen- und Ohren-Klinik die Weiterführung des Heimatschutzstils auf – eines Architekturstils, der 1904 erstmals beschrieben wurde und bis 1945 seine Blüte hatte. Nach dem Krieg entstanden so verschiedene Bauten noch bis etwa 1960.
Am Beispiel der Klinik Sonnenblick, die eher im Stil moderner Architektur errichtet wurde, zeigte der junge Architekt Werner Hebebrand gemeinsam mit seinem Partner Willy Kleinertz sein Können. Errichtet wurde das Sanatorium in den 1930er-Jahren. Bis in die 1980er-Jahre diente sie als Tuberkulose-Klinik. „Viele Marburger*innen haben die Klinik nie gesehen“, sagt Klein, denn sie lag soweit außerhalb, dass sie dem kritisch konservativem Marburg mehr oder weniger entgangen sei. Ein Bau umgeben von Wald in schlichter Architektur im Terrassenhausstil mit Liegemöglichkeiten nach Süden. Zwei Erweiterungen folgten in den 1950er- und 1980er-Jahren, bis zum Neubau von 2012 bis 2015. Der Abriss des alten Gebäudes der Klinik Sonnenblick erfolgte im Jahr 2016.
Im Anschluss an den Vortrag hatten Interessierte die Möglichkeit, an Führungen beispielsweise im Alten Botanischen Garten, im Kunstmuseum und im Erwin-Piscator-Haus (EPH) teilzunehmen. Das im Jahr 2016 neu eröffnete Erwin-Piscator-Haus bot den Teilnehmer*innen spannende Einblicke in die architektonische Gestaltung eines Hauses, das ein multifunktionales Konzept abbildet. Öffentlich zugängliche wie sogenannte backstage-Bereiche mit dazugehörender Bühnentechnik wurden während der Führung durch das Haus erläutert.
Gleichfalls der Moderne kann das Ökumenische Zentrum Richtsberg/Thomaskirche, Baujahr 1972/73, des Architekten Georg Solms zugeordnet werden. Solms selbst bot Führungen an, somit enstand ein direkter Austausch mit ihm und spannende Einblicke in Entwurfshintergründe und Bauausführung wurden greifbar. Als besondere Überraschung wurde Solms zum diesjährigen Tag des offenen Denkmals von Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies mit dem Historischen Stadtsiegel ausgezeichnet.
Auch diesmal wurden wieder hessenweit besondere Familienführungen zu Emil von Behring angeboten. Der Titel der diesjährigen Führungen lautete „Emil von Behring und die Behringwerke“ und setzte den Fokus auf die Themen Gesundheitsvorsorge, Trinkwasserversorgung und hygienische Einbauten. Für die Familienführungen wurde das Marburger Veranstaltungsprogramm bereits im Jahre 2017 von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz besonders gewürdigt.