Zum Auftakt begrüßte Bürgermeister Dr. Franz Kahle Vertreter aus Kindertagesstätten der Stadt und von freien Trägern im Historischen Saal des Marburger Rathauses. Bisher haben sich 34 Kindertagesstätten (75 Prozent der Marburger Kindertagesstätten) in freier, kirchlicher und kommunaler Trägerschaft dem Konzept angeschlossen. Mit der Auftaktveranstaltung wurde nun das vom Fachdienst Kinderbetreuung der Stadt Marburg in enger Abstimmung mit den freien Trägern entwickelte Konzept vorgestellt. Es soll zum Querschnittsthema der pädagogischen Arbeit in den Marburger Kindertagesstätten werden und einen übergreifender Austausch ermöglichen.
„Die Frage, wie Sprachentwicklung eigentlich funktioniert, ist noch nicht wirklich erklärt, aber in jedem Fall ist es ein intensiver Prozess", erklärte Kahle. Für Kinder sei es normal, täglich neue Wörter zu lernen. Anliegen der Kindertagesstätten sei es deshalb, neben der Betreuung, die Kinder darin zu unterstützen. Bürgermeister Kahle verwies auch darauf, dass heute anders als früher in nicht deutschsprachigen Familien auch die Muttersprache gesprochen werden soll. Für die Kinder bedeute dies eine große Chance, aber für die Einrichtungen auch die Herausforderung, beim Erwerb der deutschen Sprache zu helfen. „Das Marburger Sprachförderkonzept ist ein kleiner aber wichtiger Bestandteil darin, die Kinder fürs Leben fit zu machen", betonte der Bürgermeister.
Sprache eröffnet Kindern das Tor zur Welt, weil sie in den Austausch mit ihrer vielfältigen Umwelt treten, sie besser verstehen und sie auch wiederum durch Kommunikation gestalten können. Sprache ist der Schlüssel für Kinder zu Teilhabe und zur Gemeinschaft, hoben die Leiterinnen des Fachdienstes Kinderbetreuung Monika Stein und Stefanie Lambrecht hervor. „Was möchte ich, was nicht, und was wollen die anderen", das zu äußern und zu erfahren gehe nur mit Sprache, so Stein. Sprachentwicklung bedürfe aber des Dialogs und das sei die Aufgabe der Erzieherinnen und Erzieher.
© Heiko Krause, Stadt Marburg„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt", zitierte Lambrecht den Philosophen Ludwig Wittgenstein. Finanziert wird das Marburger Sprachförderkonzept mit Fördergeldern des Landes Hessen, die für die qualitative konzeptionelle Weiterentwicklung der Kindertageseinrichtungen zu verwenden sind. Und sie sei dem Land Hessen daher dankbar, dass „etwas so Wegweisendes vorangetrieben wird", so Lambrecht. Lobende Worte fand auch die Beauftragte für die Evangelischen Kindertagesstätten, Birte Schlesselmann. „Jedes Kind hat das Recht auf gute Bildung", hob sie hervor.
Inge Holler-Zittlau von der Universität Gießen, die das Projekt wissenschaftlich begleitet, hielt einen Impulsvortrag zur Frage, warum es überhaupt ein Sprachförderkonzept geben muss. „Es funktioniert doch alles von alleine", sei eine oft gehörte Meinung. Der Spracherwerb von Kindern hänge aber von einigen Faktoren ab, sodass nicht alle die gleichen Chancen hätten. Wörter nur zu hören, etwa beim Fernsehen, reiche nicht aus, so die Expertin. Den aktiven Wortschatz zu erweitern, bedürfe vielmehr der Kommunikation und zwar von Kindern untereinander, aber auch im Gespräch mit Erwachsenen. Wörter müssten für ein Kind wichtig sein, nicht umsonst seien häufig die ersten Mama, Papa und Auto.
Frühkindliche Bildung erhöht Chancengleichheit
Eltern hätten aber heute viel weniger Zeit, mit dem Nachwuchs zu sprechen, sagte Holler-Zittlau. Schlechtere Voraussetzungen hätten vor allem Kinder aus armen Familien, bildungsfernen Schichten und mit Migrationshintergrund. Umso wichtiger sei die frühkindliche Bildung. Studien hätten ergeben, dass bei Kindern; die bereits im Kleinkindalter in der Krippe waren, die Chance später das Gymnasium zu besuchen, um 40 Prozent höher ist, mit Migrationshintergrund gar 55 Prozent.
© Heiko Krause, Stadt Marburg„Der Kindergarten fällt in eine ganz wichtige Entwicklungszeit", verdeutlichte Holler-Zittlau. Denn der Spracherwerb sei bis zum fünften Lebensjahr abgeschlossen. Die deutsche Sprache sollte deshalb am besten spätestens ab dem zweiten Lebensjahr erlernt werden. Sprache ermögliche Teilhabe an Gemeinschaften. Mehr Sprachkompetenz führe auch zu mehr sozialer Kompetenz, wenn in Konflikten etwa keine „schlagenden Argumente" gebraucht werden. Kommunikation stärke auch verantwortliches Handeln.
Cornelia Hain (Fachdienst Kinderbetreuung) und Carla Sack (Fachberatung für das Marburger Sprachförderkonzept), erläuterten das Konzept. Wegweisend am Sprachförderkonzept ist nach ihren Angaben nach, dass Kitas in freier und kommunaler Trägerschaft in die Entwicklung und Planung des Konzeptes einbezogen sind und somit ein gesamtstädtischer, trägerübergreifender und langfristiger Prozess eingeleitet wird. Die alltagsintegrierte sprachliche Bildung von Kindern in Marburg stellt damit einen Kernbereich des pädagogischen Handelns dar. Dieser Prozess wird durch eine Fachberatung für alle Kindertageseinrichtungen und weitere zeitliche Kapazitäten der Fachkräfte in den Kitas flankiert.
Zentrale Anlaufstelle ist die neu geschaffene Stelle der Fachberatung für das Marburger Sprachförderkonzept. Sie leitet die monatlich für drei Stunden stattfindenden AG Sprache mit sechs teilnehmenden Kindertageseinrichtungen, sie führt gemeinsam mit Inge Holler-Zittlau die Schulungen für Fachkräfte in den Kindertageseinrichtungen zum Thema Sprache durch und kann für eine intensivere Beratung im Modul „Zusammenarbeit mit der Fachberatung" in den einzelnen Kitas und der Teams mit ihrer Expertise direkt vor Ort alltagspraktisch hinzugezogen werden.
In jeder teilnehmenden Kindertageseinrichtung wird eine Fachkraft für das Thema Sprachförderung benannt, die die Funktion als Multiplikator/in einnimmt und für die Weiterentwicklung der sprachlichen Bildung von Kindern in der jeweiligen Einrichtung zuständig ist.
Das gesamte Konzept basiert auf drei Modulen, Schulungen, Teilnahme an der AG Sprache, sowie Zusammenarbeit mit der Fachberatung der Marburger Sprachförderkonzeptes, die jeweils einzeln von den Einrichtungen gebucht werden können. Die Schulungen werden in enger Kooperation mit der Justus-Liebig-Universität Gießen durchgeführt und beinhalten eine Basisschulung zu den Themen Kommunikation und Sprache, Frühkindlicher Spracherwerb sowie Sprachstörungen, je eine Schulung zur Sprachstanderhebung im Kindergarten- und im Krippenalter zwei Intensivschulungen mit den Themen Förderung der sprachlichen Kompetenzen Kooperation und Beratung.
Die AG Sprache dient der kontinuierlichen Begleitung der Fachkräfte für Sprachförderung. Sie wird von der Fachberatung des Marburger Sprachförderkonzeptes angeleitet und findet einmal pro Monat in kleinen Gruppen von maximal 8 Fachkräften statt. In diesem Forum werden Schulungsinhalte vertieft, sodass die Fachkräfte regelmäßig weiterqualifiziert werden und ihr Wissen an das Team weitergeben können. Offene Fragen und weiterer Unterstützungsbedarf in den Einrichtungen werden geklärt und regelmäßig zwischen Fachkraft, Team und AG rückgekoppelt. Zudem wird der Austausch zwischen den Fachkräften für Sprachförderung anderer Kitas gefördert, sodass vorhandenes fachliches Wissen, gelungene Praxisbeispiele ausgetauscht und als Anregung für die eigene Arbeit mitgenommen werden kann.
Durch die Zusammenarbeit mit der Fachberatung kann der Prozess der Weiterentwicklung sprachlicher Bildung in den jeweiligen Einrichtungen noch intensiviert werden. Der Fachberatung steht ein Stundenkontingent zur Verfügung, das die einrichtungsspezifische Beratung, Begleitung und Unterstützung ermöglicht.