Welche Form der Bürger/innenbeteiligung an welcher Stelle und für welche Fragestellung für die Zukunft die richtige ist, erarbeiten danach Stadtverordnetenversammlung, Bürgerinnen und Bürger, Magistrat/Stadtverwaltung und Wissenschaft im gemeinsamen Austausch auf Augenhöhe in einem Quatrolog. „Unser Ziel ist es, Barrieren abzubauen und eine repräsentative Teilhabe aller gesellschaftlichen Gruppen zu erreichen“, erklärte Spies einen der Schwerpunkte des Marburger Wegs.
Dabei könne man auf ein gewachsenes Netz an Beteiligungsstrukturen mit über 50 bestehenden Verfahren aufbauen, das „wir weiterentwickeln und mit direkten, persönlichen Beteiligungsformen und digitalen Elementen ergänzen wollen“, so Spies. „In Marburg hat Bürger/innenbeteiligung eine ganz lange Tradition“, betonte der Oberbürgermeister.
Auch das neue BildungsBauProgramm (BiBaP) der Stadt sei als „Inbegriff von Beteiligung“ beispielgebend: zuerst wurde mit den Schulen transparent über Verfahren geredet und der Rahmen festgelegt. Dann meldeten die Schulen Wünsche/Prioritäten an, die mit der Verwaltung besprochen und in einer Projektgruppe mit allen am Thema Schule Beteiligten zu einer gemeinsamen Liste zusammengeführt und vereinbart wurden. Am Ende schließlich steht die Entscheidung der gewählten Stadtverordnetenversammlung.
Im zweijährigen Bürger/innenbeteiligungsprozess gelte es, das Bestehende mit dem Neuen zu verbinden, auf Marburger Erfahrungen aufzubauen und Verfahren weiterzuentwickeln sowie neueste Forschungsergebnisse und auch Impulse aus anderen Städten einzubeziehen. Am Ende des Quatrologs soll eine auf Marburg zugeschnittene Systematik für Bürger/innenbeteiligungsstandards stehen. Bürger/innenbeteiligung fängt dabei mit Bürger/innenbeteiligung an.
In Kooperation mit dem Fachgebiet/der Professur für Demokratieforschung des Instituts für Politikwissenschaft der Philipps-Universität soll zudem die umfangreiche bestehende Marburger Bürger/innenbeteiligung ausgewertet werden, um eine systematische Basis für einen nachhaltigen Prozess zu schaffen. Erste Daten wurden gemäß Stadtverordnetenbeschluss vom April 2015 in der Stadtverwaltung abgefragt. Ein Marburger Konzept zur Bürger/innenbeteiligung kann nur auf der Basis einer Analyse der bestehenden Strukturen erfolgreich sein.
Die Startervorlage wird im Haupt- und Finanzausschuss, im Ausschuss für Soziales, Jugend und Gleichstellung sowie im Stadtparlament beraten. Beschließt die Stadtverordnetenversammlung die Startervorlage, beauftragt sie damit den Magistrat bis zum Herbst die organisatorischen und personellen Voraussetzungen für den Start des Prozesses im Zuge des Nachtragshaushalts zu schaffen und legt die Grundsätze für einen zweijährigen Bürgerbeteiligungsprozess fest.
Dabei sollen die folgenden Grundsätze gelten:
Bürger/innenbeteiligung muss...
- inklusiv sein: aufsuchend und repräsentativ, damit die Wünsche und Vorstellungen aller Bürgerinnen und Bürger unabhängig von Bildung, Einkommen, Herkunft, Migrationshintergrund, Alter, Geschlecht oder sozialem Status angemessen vorkommen. Barrieren in Information, Kommunikation und Beteiligung sind abzubauen.
- dauerhaft, regelmäßig, frühzeitig, verlässlich und zuverlässig sein.
- modern sein: transparent, ansprechend öffentlich präsentiert, digital und auf Papier, interaktiv.
- das Bestehende mit dem Neuen verbinden: mit bewährten Formen wie Beiräten oder Kommissionen arbeiten und sie ggf. fortentwickeln, neue Instrumente für die jeweils passende Aufgabenstellung vereinbaren, aber auch spontan und individuell möglich sein.
- im repräsentativen Quatrolog entwickelt werden: Stadtverordnetenversammlung, Bürgerinnen und Bürger, Magistrat/Stadtverwaltung und Wissenschaft arbeiten auf Augenhöhe miteinander. Das setzt Offenheit und Vertrauen voraus.
- sich dem Bürger/innenurteil stellen und Anregungen sowie repräsentative Meinungen regelmäßig auch zwischen Wahlen aufnehmen. Zusätzliche Ideen stärken so die kommunalen Entscheidungsträger/innen, bieten ihnen bessere Abwägungsmöglichkeiten und den Bürger/innen die Möglichkeit, mitzugestalten und ihre Anregungen sowie ihr Wissen an die Stadt heranzutragen.
- transparent sein: Entscheidungsprozesse, Vorhaben, Informationen und beispielsweise Kartenmaterial sowie Expert/innenwissen müssen verständlich zur Verfügung gestellt werden und auch online einsehbar sein.
- von einer festen Koordination verlässlich begleitet werden.
- Themen betreffen, die Gestaltungsspielräume zulassen.
- Bürger/innenbeteiligung setzt eine professionelle Analyse des Bestandes (Bürger/innenbeteiligungsbericht) voraus.
Der Marburger Weg der Bürger/innenbeteiligung wird mit diesen Grundsätzen als Gesamtkonzept erarbeitet. „Bürger/innenbeteiligung bietet die Chance zur Verbesserung aller Bereiche der Politik“, zeigte sich Spies zuversichtlich. Sie soll dabei die politische Repräsentation und Verantwortung gewählter Entscheidungsgremien nicht ersetzen, sondern Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeiten bieten, an Entscheidungsprozessen teilzuhaben. Es muss dabei für alle klar und nachvollziehbar sein, was anschließend aus den Ergebnissen von Bürger/innenbeteiligung wird. Deshalb sind für die jeweiligen Anlässe der Rahmen und die Einbindung in die Entscheidungsprozesse jeweils vorab verbindlich festzulegen.
Der Bürger/innenbeteiligungsprozess erfordert dabei Zeit, Ressourcen sowie eine professionelle Koordination, Steuerung und Moderation des als Querschnittsaufgabe angelegten zweijährigen Bürger/innenbeteiligungsprozesses.
In der Verantwortung und Entscheidung der Stadtverordnetenversammlung liegt es, auf der Basis des Quatrologs über den Umfang und den Rahmen für die Bürger/innenbeteiligung zu entscheiden und die jeweils dementsprechende Finanzierung zur Realisierung sicherzustellen. Die Stadtverordnetenversammlung hatte den Magistrat beauftragt, einen Prozess der Bürger/innenbeteiligung auf den Weg zu bringen.
Die Startervorlage, auf deren Grundlage die Stadtverordneten beraten, ist auf www.marburg.de auch öffentlich einsehbar.