Bürgermeister Dr. Franz Kahle betonte bei der Vorstellung des neuen Gründachkatasters im Marburger Rathaus: „Nicht allen ist bewusst, wie viele Vorteile eine Dachbegrünung wirklich hat." Neben dem Klima-, Hochwasser- und Naturschutz, profitieren Eigentümerinnen und Eigentümer von Häusern auch ganz unmittelbar davon, berichtete der Umweltdezernent. „Das Gebäude wird optisch aufgewertet und kann als Ersatz oder Ergänzung für den Garten genutzt werden. Auch reduzieren sich die Abwassergebühren durch eine Dachbegrünung", so der Bürgermeister. Zudem sei die Lebensdauer im Vergleich zu einem bekiesten Flachdach ungefähr doppelt so lang. „Eine interessante Variante ist auch die Kombination einer Dachbegrünung mit einer Photovoltaikanlage, da sich durch den kühlenden Effekt der Bepflanzung der Wirkungsgrad der PV-Anlage steigert", erläuterte Prof. Dr. Martina Klärle von der Frankfurt University of Applied Sciences, die das Gründachkataster gemeinsam mit Björn Ament und Friederike Popp für Marburg entwickelt hat. Denn bei zu hoher Betriebstemperatur reduziere sich die Leistung einer Solaranlage mit jedem weiteren Grad. „Im Gegensatz zu reinen Ziegel-, Kies- oder Metalldächern, die sich stärker energetisch aufladen, reflektieren Pflanzen Sonnenstrahlen kaum – ein gut nutzbarer Synergieeffekt", so die Professorin für Landmanagement.
Das Gründachkataster, zu finden auf der städtischen Website im Bereich Umwelt und Klima unter www.marburg.de/gruendachkataster, ist in das seit vielen Jahren bewährte Marburger Solardachkataster integriert, mit dem sich Interessierte über die Möglichkeiten der Stromerzeugung zum Eigenverbrauch informieren können. Genau wie dieses ist auch das neue Datensystem hessenweit das erste intelligente seiner Art, berichtete Prof. Klärle: „Einige wenige andere Städte haben colorierte Luftbilder, das Marburger Gründachkataster erkennt anhand der Neigung, Ausrichtung, Verschattung sowie Art des Daches, welche Pflanzen dort am besten wachsen und kann für Hausbesitzerinnen und -besitzer eine Menge wertvoller Informationen ermitteln". Die Mehrfachnutzung von bereits vorhandenem Wissen aus dem Solarkataster, wie dreidimensionale Laserscannerdaten oder Luftbilder, waren für die Effizienz bei der Erstellung des Gründachkatasters besonders von Vorteil, freute sich Bürgermeister Kahle.
Optik und Anwendung sind fast identisch und ermöglichen einen schnellen Einstieg in das Programm. Aber auch ohne sich schon einmal mit dem Marburger Solardachkataster befasst zu haben, ist die Handhabung des Pendants für Gründächer sehr eingängig und schnell zu verstehen, waren sich alle Beteiligten einig. Es zeigt auf einer interaktiven Karte die Universitätsstadt Marburg aus der Vogelperspektive. Über die Auswahl von Straße und Hausnummer kann man zügig zum eigenen Gebäude navigieren. Anhand der Dachneigung wird bestimmt, wie gut das Gebäude sich für ein Gründach eignet, angezeigt durch unterschiedliche Einfärbungen.
„In der Detailanalyse werden für das angeklickte Haus jeweils pro Jahr die eingesparte Abwassermenge und -gebühr sowie die Kohlenstoffdioxid-Absorption und der gehaltenen Feinstaub errechnet", berichtete Björn Ament. Zusätzlich könne man sich eine ausführliche Pflanzliste anzeigen lassen, die sich nach dem Beschattungsgrad und der eingestellten Stärke des Gründachaufbaus richte. Mit der detailreichen Kennzeichnung der heimischen Arten möchte die Universitätsstadt Marburg zudem das Thema Biodiversität im Innenstadtbereich verstärkt in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken. Wie die Artenvielfalt von einer Dachbegrünung profitieren kann, machen Untersuchungen auf Gründächern in Neubrandenburg und Berlin deutlich, berichtete der Klimaschutzbeauftragte der Stadt Marburg, Achim Siehl: „Dort wurden mehr als 50 verschiedene Honig- und Wildbienenarten gezählt. In Basel hat man auf einem einzigen Gründach 79 Insekten- und 40 Spinnenarten nachgewiesen, darunter auch viele gefährdete Arten."
Zu den zahlreichen positiven Aspekten für den Klimaschutz zählt die Verbesserung des Mikro- und Stadtklimas durch die Verdunstungskälte sowie die Bindung von CO2 und Feinstaub. Die Errichtung eines Gründaches bedeutet auch aktiven Hochwasserschutz. Bis zu 80 Prozent des Jahresniederschlags kann dort zurückgehalten werden.
Weiterführende Informationen über Statik und Lastreserven des individuellen Daches können Architekten, Statiker oder erfahrenen Dachdecker geben. Bei der Planung und dem Aufbau des Gründaches unterstützen Landschaftsgärtner, die auf Dachbegrünung spezialisiert sind. Die Dachdichtung und Wärmedämmung übernehmen meistens Dachdecker.